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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Partei der Gebildeten

Durch diese Gebildeten geht ein tiefes konservatives Gefühl, ein Glauben
an feste überindividuelle Mächte, die jenseits aller Nützlichkeiten sind. Dies ist
kein Gegensatz zu einem Aristokratismus, vielmehr entflammen sich aristokratische
Tugenden erst an überindividuellen Ideen. Erst am Überindividuellen entzündet
sich das Individuum.

Es liegt nahe, daß man diese Partei der Gebildeten mit der berüchtigten
Partei der Parteilosen verwechselt. Die neue Schicht aber ist ganz etwas
anderes: sie will gerade hin zur Politik, sie ist davon überzeugt, daß, wer sich
ausschließt von dem Anteil am staatlichen Leben, zur Einflußlosigkeit und
Geducktheit verurteilt ist. Nicht jene Stillen im Lande, die sehr brave Menschen
sein mögen, aber sehr schlechte Musikanten sind, umfaßt die neue Partei, und
auch nicht jene immerwährenden Außenseiter, die bei keiner Partei unterkommen
können, weil sie ein Reformchen zur Reform hinaufphantasieren. Abstinenz¬
bewegung und Vegetariertum mögen ganz schöne Dinge sein, aber sie sind
vielleicht Gegenstand sozialpolitischer Maßregeln, doch niemals Inhalt der Politik.
Zudem haben alle diese Agitationen den fatalen Nebengeschmack, daß sie von
schwächlichen Menschen ausgehen und auf schwächliche Menschen berechnet sind.
Was uns aber not tut, ist Stärke.

Das Bewußtsein ihrer Stärke, der Wille, gegen Massenbequemlichkeiten
anzurennen, treibt die Gebildeten, die hier gemeint sind, in unserer Zeit zur
Politik. Sie sind politisiert, weil sie empfinden, daß nur Sichregen die allgemeine
Demokratisierung noch verhüten kann. Sie wollen nicht abseits stehen, sondern
eingreifen in das Getriebe.

Aber sie stehen abseits, und zwar, weil sich keine Partei ihrer erbarmt, weil
jede heute radikal ist und auf die Masse rechnet. Zu den linken Parteien, die
aus Weltanschauung, nicht aus Opportunität radikal sind, können sie sich selbst¬
verständlich niemals schlagen. Es bleibt für sie nur die Rechte. Dorthin drängen
sie, aber dort übersieht man sie. Dort muß man sie schließlich auch übersehen,
weil sie noch nicht Macht geworden sind. Die Politik hat es nur mit Kräften
zu tun, was nicht Kraft ist, zählt nicht für sie.

Es gibt aber heute für die rechtsstehenden Parteien keine größere Aufgabe,
als die Partei der Gebildeten zu formieren und zu sich heranzuziehen. Unter
den rechtsstehenden Parteien sind nicht nur die Konservativen und Freikonservativen,
vielmehr auch die wahren Liberalen verstanden. Zwischen Konservatismus nämlich
und Liberalismus ist kein Fundamentalunterschied, da der Liberale stets kon¬
servative, der Konservative stets liberale Elemente enthalten wird. Bülow ahnte
dies wohl, als er seine Blockpolitik begann, aber er wußte die Grenze nicht zu
ziehen. Er wollte in feine Kombination Agrarier ebenso aufnehmen wie Demo¬
kraten, und dies war das Verhängnisvolle. Der radikale Agrarier ist nicht
konservativ, da er die überindividuelle Macht des Staates zugunsten seiner Klasse
aufopfert. Der Demokrat wiederum hat gar nichts zu tun mit den Liberalen,
da er die Masse über den Staat oder an Stelle des Staates setzt. Gemäßigte


Die Partei der Gebildeten

Durch diese Gebildeten geht ein tiefes konservatives Gefühl, ein Glauben
an feste überindividuelle Mächte, die jenseits aller Nützlichkeiten sind. Dies ist
kein Gegensatz zu einem Aristokratismus, vielmehr entflammen sich aristokratische
Tugenden erst an überindividuellen Ideen. Erst am Überindividuellen entzündet
sich das Individuum.

Es liegt nahe, daß man diese Partei der Gebildeten mit der berüchtigten
Partei der Parteilosen verwechselt. Die neue Schicht aber ist ganz etwas
anderes: sie will gerade hin zur Politik, sie ist davon überzeugt, daß, wer sich
ausschließt von dem Anteil am staatlichen Leben, zur Einflußlosigkeit und
Geducktheit verurteilt ist. Nicht jene Stillen im Lande, die sehr brave Menschen
sein mögen, aber sehr schlechte Musikanten sind, umfaßt die neue Partei, und
auch nicht jene immerwährenden Außenseiter, die bei keiner Partei unterkommen
können, weil sie ein Reformchen zur Reform hinaufphantasieren. Abstinenz¬
bewegung und Vegetariertum mögen ganz schöne Dinge sein, aber sie sind
vielleicht Gegenstand sozialpolitischer Maßregeln, doch niemals Inhalt der Politik.
Zudem haben alle diese Agitationen den fatalen Nebengeschmack, daß sie von
schwächlichen Menschen ausgehen und auf schwächliche Menschen berechnet sind.
Was uns aber not tut, ist Stärke.

Das Bewußtsein ihrer Stärke, der Wille, gegen Massenbequemlichkeiten
anzurennen, treibt die Gebildeten, die hier gemeint sind, in unserer Zeit zur
Politik. Sie sind politisiert, weil sie empfinden, daß nur Sichregen die allgemeine
Demokratisierung noch verhüten kann. Sie wollen nicht abseits stehen, sondern
eingreifen in das Getriebe.

Aber sie stehen abseits, und zwar, weil sich keine Partei ihrer erbarmt, weil
jede heute radikal ist und auf die Masse rechnet. Zu den linken Parteien, die
aus Weltanschauung, nicht aus Opportunität radikal sind, können sie sich selbst¬
verständlich niemals schlagen. Es bleibt für sie nur die Rechte. Dorthin drängen
sie, aber dort übersieht man sie. Dort muß man sie schließlich auch übersehen,
weil sie noch nicht Macht geworden sind. Die Politik hat es nur mit Kräften
zu tun, was nicht Kraft ist, zählt nicht für sie.

Es gibt aber heute für die rechtsstehenden Parteien keine größere Aufgabe,
als die Partei der Gebildeten zu formieren und zu sich heranzuziehen. Unter
den rechtsstehenden Parteien sind nicht nur die Konservativen und Freikonservativen,
vielmehr auch die wahren Liberalen verstanden. Zwischen Konservatismus nämlich
und Liberalismus ist kein Fundamentalunterschied, da der Liberale stets kon¬
servative, der Konservative stets liberale Elemente enthalten wird. Bülow ahnte
dies wohl, als er seine Blockpolitik begann, aber er wußte die Grenze nicht zu
ziehen. Er wollte in feine Kombination Agrarier ebenso aufnehmen wie Demo¬
kraten, und dies war das Verhängnisvolle. Der radikale Agrarier ist nicht
konservativ, da er die überindividuelle Macht des Staates zugunsten seiner Klasse
aufopfert. Der Demokrat wiederum hat gar nichts zu tun mit den Liberalen,
da er die Masse über den Staat oder an Stelle des Staates setzt. Gemäßigte


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[0569] Die Partei der Gebildeten Durch diese Gebildeten geht ein tiefes konservatives Gefühl, ein Glauben an feste überindividuelle Mächte, die jenseits aller Nützlichkeiten sind. Dies ist kein Gegensatz zu einem Aristokratismus, vielmehr entflammen sich aristokratische Tugenden erst an überindividuellen Ideen. Erst am Überindividuellen entzündet sich das Individuum. Es liegt nahe, daß man diese Partei der Gebildeten mit der berüchtigten Partei der Parteilosen verwechselt. Die neue Schicht aber ist ganz etwas anderes: sie will gerade hin zur Politik, sie ist davon überzeugt, daß, wer sich ausschließt von dem Anteil am staatlichen Leben, zur Einflußlosigkeit und Geducktheit verurteilt ist. Nicht jene Stillen im Lande, die sehr brave Menschen sein mögen, aber sehr schlechte Musikanten sind, umfaßt die neue Partei, und auch nicht jene immerwährenden Außenseiter, die bei keiner Partei unterkommen können, weil sie ein Reformchen zur Reform hinaufphantasieren. Abstinenz¬ bewegung und Vegetariertum mögen ganz schöne Dinge sein, aber sie sind vielleicht Gegenstand sozialpolitischer Maßregeln, doch niemals Inhalt der Politik. Zudem haben alle diese Agitationen den fatalen Nebengeschmack, daß sie von schwächlichen Menschen ausgehen und auf schwächliche Menschen berechnet sind. Was uns aber not tut, ist Stärke. Das Bewußtsein ihrer Stärke, der Wille, gegen Massenbequemlichkeiten anzurennen, treibt die Gebildeten, die hier gemeint sind, in unserer Zeit zur Politik. Sie sind politisiert, weil sie empfinden, daß nur Sichregen die allgemeine Demokratisierung noch verhüten kann. Sie wollen nicht abseits stehen, sondern eingreifen in das Getriebe. Aber sie stehen abseits, und zwar, weil sich keine Partei ihrer erbarmt, weil jede heute radikal ist und auf die Masse rechnet. Zu den linken Parteien, die aus Weltanschauung, nicht aus Opportunität radikal sind, können sie sich selbst¬ verständlich niemals schlagen. Es bleibt für sie nur die Rechte. Dorthin drängen sie, aber dort übersieht man sie. Dort muß man sie schließlich auch übersehen, weil sie noch nicht Macht geworden sind. Die Politik hat es nur mit Kräften zu tun, was nicht Kraft ist, zählt nicht für sie. Es gibt aber heute für die rechtsstehenden Parteien keine größere Aufgabe, als die Partei der Gebildeten zu formieren und zu sich heranzuziehen. Unter den rechtsstehenden Parteien sind nicht nur die Konservativen und Freikonservativen, vielmehr auch die wahren Liberalen verstanden. Zwischen Konservatismus nämlich und Liberalismus ist kein Fundamentalunterschied, da der Liberale stets kon¬ servative, der Konservative stets liberale Elemente enthalten wird. Bülow ahnte dies wohl, als er seine Blockpolitik begann, aber er wußte die Grenze nicht zu ziehen. Er wollte in feine Kombination Agrarier ebenso aufnehmen wie Demo¬ kraten, und dies war das Verhängnisvolle. Der radikale Agrarier ist nicht konservativ, da er die überindividuelle Macht des Staates zugunsten seiner Klasse aufopfert. Der Demokrat wiederum hat gar nichts zu tun mit den Liberalen, da er die Masse über den Staat oder an Stelle des Staates setzt. Gemäßigte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/569>, abgerufen am 24.07.2024.