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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Partei der Gebildeten

Diese Monarchie aber steht allein, nul sie herum wogt das Gewühl. Auch
der mächtigste Turm muß fallen, wenn er nicht Männer hat, die sich an seine
Schießscharten stellen. Es ist die Gefahr, nicht daß die Monarchie verschwindet
-- das scheint für absehbare Zeit ausgeschlossen in Deutschland --, wohl aber,
daß sie geschwächt und so dem Parlamentarismus ausgeliefert wird. Parla¬
mentarismus aber wäre bei uns, wo zu dem Kampf der Interessen noch der¬
jenige der Stämme und Konfessionen tritt, gleichbedeutend mit Desorganisation.

Niemand kann wollen, daß die wirtschaftlichen Gegensätze einschlafen. Selbst
der riesige Kampf zwischen Landwirtschaft und Industrie ist zum Segen für
beide Teile. Hätte sich die Landwirtschaft, wie in England, einfach darein
ergeben, daß unser Staat Industriestaat wird, hätte sie sich nicht zusammen¬
geschlossen und bis zum äußersten für ihre Existenz gestritten, so wäre sie heute
ruiniert und den Getreidefabriken Amerikas ausgeliefert, und Deutschland hätte
gleichsam seine Wurzeln in der Luft, statt in der Erde. Es gibt aber eine
Grenze des Kampfes und einen Anfang der Hetze.

Als Glied einer Hetze schwindet dem einzelnen der Staat aus den Augen,
und er sieht allein den Vorteil seiner Schicht und sein allerpersönlichstes Ziel.
Damit aber wird sein Glücksbedürfnis ärmlichster Art. Indem er seine Interessen
bis zum letzten Blutstropfen versieht, scheint er individualistisch zu handeln und
handelt doch nur als Splitter einer Masse; denn sein Verlangen, ob es sich
auch vielleicht auf andere Gegenstände richtet als das seines Nachbarn, ist immer
von den gleichen schematischen Instinkten der bloßen Nützlichkeit beherrscht.
Hierin verstehen und finden sich ohne 'weiteres alle Teile der Masse. Es ist
einem richtigen Kaufmann ganz gleich, ob er Felle verkauft oder Nähnadeln;
er wechselt auch, wenn es sich gerade so macht, leicht von einer Branche in die
andere. Genau so ist es heute mit den sogenannten individuellen Wünschen
der einzelnen: sie entspringen nicht ihrem inneren Menschen, sondern sind
äußerlich aufgeklebt, je nach dem Beruf, in dem die Personen sich gerade
befinden. Und so kann man mit vollen: Recht sagen, daß alle den einen
Massenwunsch haben, für sich Terrain zu gewinnen.

Dies ist der demokratische Zug, der durch unsere Zeit geht und von dem
die Fortschrittsleute so lobend reden. Gewiß, er ist vorhanden, er ist in
ungeheuersten Maße vorhanden, und er macht alle Parteien, von rechts nach
links, ohne Ausnahme, demokratisch und demagogisch. Alles ist eine demokratische
Masse. Im Parlament redet man aus dem Fenster hinaus, in dem Wahl¬
kampf ist immer der Gegner der Abschaum der Menschheit, in Volksversammlungen
schreit man, als ob man am Spieße steckte. Demokratismus und Verpöbelung!

Langsam aber wächst in diesen Wirren eine neue Partei empor, eine Partei,
bisher ohne Programme und Organisation, positiv allein in ihrer Liebe zum
Vaterlande und negativ in der Abwehr des Massenbegehrens, eine Partei,
die aristokratisch ist und antidemokratisch, vor allem aber patriotisch. Es ist die
Partei der Gebildeten.


Die Partei der Gebildeten

Diese Monarchie aber steht allein, nul sie herum wogt das Gewühl. Auch
der mächtigste Turm muß fallen, wenn er nicht Männer hat, die sich an seine
Schießscharten stellen. Es ist die Gefahr, nicht daß die Monarchie verschwindet
— das scheint für absehbare Zeit ausgeschlossen in Deutschland —, wohl aber,
daß sie geschwächt und so dem Parlamentarismus ausgeliefert wird. Parla¬
mentarismus aber wäre bei uns, wo zu dem Kampf der Interessen noch der¬
jenige der Stämme und Konfessionen tritt, gleichbedeutend mit Desorganisation.

Niemand kann wollen, daß die wirtschaftlichen Gegensätze einschlafen. Selbst
der riesige Kampf zwischen Landwirtschaft und Industrie ist zum Segen für
beide Teile. Hätte sich die Landwirtschaft, wie in England, einfach darein
ergeben, daß unser Staat Industriestaat wird, hätte sie sich nicht zusammen¬
geschlossen und bis zum äußersten für ihre Existenz gestritten, so wäre sie heute
ruiniert und den Getreidefabriken Amerikas ausgeliefert, und Deutschland hätte
gleichsam seine Wurzeln in der Luft, statt in der Erde. Es gibt aber eine
Grenze des Kampfes und einen Anfang der Hetze.

Als Glied einer Hetze schwindet dem einzelnen der Staat aus den Augen,
und er sieht allein den Vorteil seiner Schicht und sein allerpersönlichstes Ziel.
Damit aber wird sein Glücksbedürfnis ärmlichster Art. Indem er seine Interessen
bis zum letzten Blutstropfen versieht, scheint er individualistisch zu handeln und
handelt doch nur als Splitter einer Masse; denn sein Verlangen, ob es sich
auch vielleicht auf andere Gegenstände richtet als das seines Nachbarn, ist immer
von den gleichen schematischen Instinkten der bloßen Nützlichkeit beherrscht.
Hierin verstehen und finden sich ohne 'weiteres alle Teile der Masse. Es ist
einem richtigen Kaufmann ganz gleich, ob er Felle verkauft oder Nähnadeln;
er wechselt auch, wenn es sich gerade so macht, leicht von einer Branche in die
andere. Genau so ist es heute mit den sogenannten individuellen Wünschen
der einzelnen: sie entspringen nicht ihrem inneren Menschen, sondern sind
äußerlich aufgeklebt, je nach dem Beruf, in dem die Personen sich gerade
befinden. Und so kann man mit vollen: Recht sagen, daß alle den einen
Massenwunsch haben, für sich Terrain zu gewinnen.

Dies ist der demokratische Zug, der durch unsere Zeit geht und von dem
die Fortschrittsleute so lobend reden. Gewiß, er ist vorhanden, er ist in
ungeheuersten Maße vorhanden, und er macht alle Parteien, von rechts nach
links, ohne Ausnahme, demokratisch und demagogisch. Alles ist eine demokratische
Masse. Im Parlament redet man aus dem Fenster hinaus, in dem Wahl¬
kampf ist immer der Gegner der Abschaum der Menschheit, in Volksversammlungen
schreit man, als ob man am Spieße steckte. Demokratismus und Verpöbelung!

Langsam aber wächst in diesen Wirren eine neue Partei empor, eine Partei,
bisher ohne Programme und Organisation, positiv allein in ihrer Liebe zum
Vaterlande und negativ in der Abwehr des Massenbegehrens, eine Partei,
die aristokratisch ist und antidemokratisch, vor allem aber patriotisch. Es ist die
Partei der Gebildeten.


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[0568] Die Partei der Gebildeten Diese Monarchie aber steht allein, nul sie herum wogt das Gewühl. Auch der mächtigste Turm muß fallen, wenn er nicht Männer hat, die sich an seine Schießscharten stellen. Es ist die Gefahr, nicht daß die Monarchie verschwindet — das scheint für absehbare Zeit ausgeschlossen in Deutschland —, wohl aber, daß sie geschwächt und so dem Parlamentarismus ausgeliefert wird. Parla¬ mentarismus aber wäre bei uns, wo zu dem Kampf der Interessen noch der¬ jenige der Stämme und Konfessionen tritt, gleichbedeutend mit Desorganisation. Niemand kann wollen, daß die wirtschaftlichen Gegensätze einschlafen. Selbst der riesige Kampf zwischen Landwirtschaft und Industrie ist zum Segen für beide Teile. Hätte sich die Landwirtschaft, wie in England, einfach darein ergeben, daß unser Staat Industriestaat wird, hätte sie sich nicht zusammen¬ geschlossen und bis zum äußersten für ihre Existenz gestritten, so wäre sie heute ruiniert und den Getreidefabriken Amerikas ausgeliefert, und Deutschland hätte gleichsam seine Wurzeln in der Luft, statt in der Erde. Es gibt aber eine Grenze des Kampfes und einen Anfang der Hetze. Als Glied einer Hetze schwindet dem einzelnen der Staat aus den Augen, und er sieht allein den Vorteil seiner Schicht und sein allerpersönlichstes Ziel. Damit aber wird sein Glücksbedürfnis ärmlichster Art. Indem er seine Interessen bis zum letzten Blutstropfen versieht, scheint er individualistisch zu handeln und handelt doch nur als Splitter einer Masse; denn sein Verlangen, ob es sich auch vielleicht auf andere Gegenstände richtet als das seines Nachbarn, ist immer von den gleichen schematischen Instinkten der bloßen Nützlichkeit beherrscht. Hierin verstehen und finden sich ohne 'weiteres alle Teile der Masse. Es ist einem richtigen Kaufmann ganz gleich, ob er Felle verkauft oder Nähnadeln; er wechselt auch, wenn es sich gerade so macht, leicht von einer Branche in die andere. Genau so ist es heute mit den sogenannten individuellen Wünschen der einzelnen: sie entspringen nicht ihrem inneren Menschen, sondern sind äußerlich aufgeklebt, je nach dem Beruf, in dem die Personen sich gerade befinden. Und so kann man mit vollen: Recht sagen, daß alle den einen Massenwunsch haben, für sich Terrain zu gewinnen. Dies ist der demokratische Zug, der durch unsere Zeit geht und von dem die Fortschrittsleute so lobend reden. Gewiß, er ist vorhanden, er ist in ungeheuersten Maße vorhanden, und er macht alle Parteien, von rechts nach links, ohne Ausnahme, demokratisch und demagogisch. Alles ist eine demokratische Masse. Im Parlament redet man aus dem Fenster hinaus, in dem Wahl¬ kampf ist immer der Gegner der Abschaum der Menschheit, in Volksversammlungen schreit man, als ob man am Spieße steckte. Demokratismus und Verpöbelung! Langsam aber wächst in diesen Wirren eine neue Partei empor, eine Partei, bisher ohne Programme und Organisation, positiv allein in ihrer Liebe zum Vaterlande und negativ in der Abwehr des Massenbegehrens, eine Partei, die aristokratisch ist und antidemokratisch, vor allem aber patriotisch. Es ist die Partei der Gebildeten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/568>, abgerufen am 24.07.2024.