Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.vergessene Lücher und vergessene Dichter zu Hilfe eilen wollte. Ohne Weib und ohne Kind, ein nahezu Unbekannter, ist vergessene Lücher und vergessene Dichter zu Hilfe eilen wollte. Ohne Weib und ohne Kind, ein nahezu Unbekannter, ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318159"/> <fw type="header" place="top"> vergessene Lücher und vergessene Dichter</fw><lb/> <p xml:id="ID_2446" prev="#ID_2445"> zu Hilfe eilen wollte. Ohne Weib und ohne Kind, ein nahezu Unbekannter, ist<lb/> er am 13. April 1908 aus einem feindseligen und doch geliebten Leben geschieden.<lb/> Und nun bietet sein Freund Roman Woerner, unterstützt von der vor kurzem<lb/> verstorbenen Dichterin U. Carolina Woerner, seine „Gesammelten Werke" in drei<lb/> Bänden dar (München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung). Gelangt man nach<lb/> der liebevoll spürenden Lebensbeschreibung und den geistfunkelnden Aphorismen<lb/> zu den Dramen der beiden letzten Bände, so offenbart sich eine Dichterkraft größten<lb/> Stils. Wie eine locker komponierte Ouvertüre wirkt das Lustspiel „Der Schwarz¬<lb/> künstler", das in der Fassung von Gustav Manz unter dem Titel „Verbotene<lb/> Früchte" einst über viele Bühnen gegangen ist. In einer jedes überflüssige Wort<lb/> sparenden Sprache lebt ein heiterer Vorgang vor uns auf, dessen Erfindung nicht<lb/> besonders originell ist, und den doch jede einzelne Wendung zu etwas ganz<lb/> Eigenem macht. Die alte Fabel vom eifersüchtigen Cerberus, der die junge Frau,<lb/> wenn er verreist, am liebsten einsperren möchte und hernach beschämt und bekehrt<lb/> wird, wird mit allen Geistern guter Laune echt lustspielmäßig neu gedichtet. Den<lb/> Schritt zur Tragödie, die freilich in neuer Bezwingung des Lebens endet, tut<lb/> dann Gotts Meisterwerk, das dramatische Gedicht „Edelwild". Ein glühender<lb/> Mensch, zerrissen und nach jedem kaum gelöschten Brande aufs neue lodernd,<lb/> steht im Mittelpunkt des in Bagdad lokalisierten Stücks. Und ihn, der einst gegen<lb/> den Sultan kämpfte, führt der große Harun al Raschid, sich selbst bezwingend und<lb/> von so edel angelegter Menschlichkeit bezwungen, einem neuen Leben zu. Mit<lb/> eiuer Sicherheit des Erfühlens letzter menschlicher Regungen, die uns immer wieder<lb/> an Hebbel denken läßt, wird in dem Rahmen der im Grunde einfachen Handlung<lb/> Stück für Stück das Drama aufgebaut, Schleier nach Schleier fällt, bis Jeder<lb/> enthüllt in seiner eigentlichen Menschlichkeit dasteht und nun das Feld für neues<lb/> Leben frei ist. Töne des wirklichen Heroendramas, nach dem wir uns nun so<lb/> lange wieder sehnen, klingen auf, wenn etwa Ali, der in einer ihm anvertrauten<lb/> Schlacht furchtbar gegen den Sultan und sein Heer, gegen das eigene Land also,<lb/> gesiegt hat, den Tod wählt anstatt der Gnade:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_32" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0546]
vergessene Lücher und vergessene Dichter
zu Hilfe eilen wollte. Ohne Weib und ohne Kind, ein nahezu Unbekannter, ist
er am 13. April 1908 aus einem feindseligen und doch geliebten Leben geschieden.
Und nun bietet sein Freund Roman Woerner, unterstützt von der vor kurzem
verstorbenen Dichterin U. Carolina Woerner, seine „Gesammelten Werke" in drei
Bänden dar (München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung). Gelangt man nach
der liebevoll spürenden Lebensbeschreibung und den geistfunkelnden Aphorismen
zu den Dramen der beiden letzten Bände, so offenbart sich eine Dichterkraft größten
Stils. Wie eine locker komponierte Ouvertüre wirkt das Lustspiel „Der Schwarz¬
künstler", das in der Fassung von Gustav Manz unter dem Titel „Verbotene
Früchte" einst über viele Bühnen gegangen ist. In einer jedes überflüssige Wort
sparenden Sprache lebt ein heiterer Vorgang vor uns auf, dessen Erfindung nicht
besonders originell ist, und den doch jede einzelne Wendung zu etwas ganz
Eigenem macht. Die alte Fabel vom eifersüchtigen Cerberus, der die junge Frau,
wenn er verreist, am liebsten einsperren möchte und hernach beschämt und bekehrt
wird, wird mit allen Geistern guter Laune echt lustspielmäßig neu gedichtet. Den
Schritt zur Tragödie, die freilich in neuer Bezwingung des Lebens endet, tut
dann Gotts Meisterwerk, das dramatische Gedicht „Edelwild". Ein glühender
Mensch, zerrissen und nach jedem kaum gelöschten Brande aufs neue lodernd,
steht im Mittelpunkt des in Bagdad lokalisierten Stücks. Und ihn, der einst gegen
den Sultan kämpfte, führt der große Harun al Raschid, sich selbst bezwingend und
von so edel angelegter Menschlichkeit bezwungen, einem neuen Leben zu. Mit
eiuer Sicherheit des Erfühlens letzter menschlicher Regungen, die uns immer wieder
an Hebbel denken läßt, wird in dem Rahmen der im Grunde einfachen Handlung
Stück für Stück das Drama aufgebaut, Schleier nach Schleier fällt, bis Jeder
enthüllt in seiner eigentlichen Menschlichkeit dasteht und nun das Feld für neues
Leben frei ist. Töne des wirklichen Heroendramas, nach dem wir uns nun so
lange wieder sehnen, klingen auf, wenn etwa Ali, der in einer ihm anvertrauten
Schlacht furchtbar gegen den Sultan und sein Heer, gegen das eigene Land also,
gesiegt hat, den Tod wählt anstatt der Gnade:
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