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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

dadurch zu rechtfertigen ist, das; sie nicht später
als am Tage der gerichtlichen Bestätigung
des Testaments Tolstois erfolgte, laut welchem
der gesamte liternrische Nachlaß, einschließlich
der Privatbriefe, der Gräfin Alexandra Tolstoi
zufiel. Diese Verfügung war Sergejenko
offenbar bekannt, da sein Sohn das Testament
als Zeuge unterschrieben hatte. Wenn also
ein Konflikt mit den Gerichten vermieden
werden sollte, war für Scrgcjenko die in der
Tat auffällige Eile bei der Herausgabe der
Briefe geboten. Es muß dahingestellt bleiben,
ob Scrgejenko imstande ist sich moralisch zu
,
M. Aelchncr-Berlin rechtfertigen.

Bildende Runst

In Oskar Mi'mstervergs "Chinesischer
Kunstgeschichte" (Bd. I. Eßlingen 1910) liegt
zum ersten Male der Versuch bor, im Zu¬
sammenhange den Entwicklungsgang der
chinesischen Runst darzustellen. Daß dieser
Versuch unternommen wurde, ist mit Freude
zu begrüße"; dennoch sei gleich hier die einzige
Einschränkung meines sonst ungeteilten Lobes
über dieses Buch gesagt: Das Werk darf nur
als Vorposten aufgefaßt werden. Noch ist die
Kenntnis und Übersicht über Kunstwerke
Chinas verhältnismäßig gering, noch nehmen
wir diese Kenntnis aus zweiter und dritter
Hand" von Japan und England. Erst wenn
der chinesischen Sprache mächtige Kunstgelehrte
in China selbst überall Zutritt haben werden,
dann wird sich uns diese Kunst in all ihrem
Reichtum, in ihrer eigenen Schönheit enthüllen,
wie wir Nghptens Kunst den Aghptologen
danken.

Das Interesse an China hat in Europa
zu allen Zeiten Frankreich geweckt. Wir
wissen zwar aus italienischen Historikern der
Renaissance, daß Reisende zu geheimnisvollen
Ländern mit eigenartiger Kunst, wo die
Seidenfabrikation blühte, vorgedrungen seien,
aber der Schluß auf China gilt nur ver¬
mutungsweise. Erst aus 1686 ist uns, wie
Bölüvi'thes-Stmikövitsch in ihrem Buch "l.e
Oout Lninois en Trance su temps cis
l^ouis XIV" nachgewiesen haben, direkter Alls¬
tausch von Kunstwerken, und zwar über Siam,
bekannt. Allerdings wurde die Chinoiscrie
mehr als Spielerei betrieben, wenn auch

[Spaltenumbruch]

Watteaus Kunst kurz nach 1697 direkt durch
chinesische Vorbilder beeinflußt wurde, Vor¬
bilder, die durch Jesuiten in Vertrauens¬
stellung als Astronomen, Mathematiker und
Architekten am chinesischen Kaiserhofe nach
Frankreich gebracht waren. Vom Hofe des
Sonnenkönigs verbreitete sich der Geschmack
an Chinakunst über ganz Europa. Doch,
wie gesagt, die Freude an chinesischer Kunst
jener Tage war nicht mit Verständnis für die
künstlerische Bedeutuug gepaart, sondern
Spielerei. Erst die Brüder Goncourt öffneten
nach der erstell Weltausstellung dem kulti¬
vierten Paris die Augen für die eigenartige
Schönheit dieser Kunst, und damit beginnt
auch das shstematische Sammeln chinesischer
Werke in Europa. Japan, das die chinesische
Kunst als ihre Mutterkunst betrachtet, war
uns zuvorgekommen, und über Japan mußten
wir Kenntnisse und Erzeugnisse beziehen.
Wer in die Kunst Chinas eindringen will,
muß den Unterschied europäischer und chine¬
sischer oder japanischer Erziehung kennen
lernen. Uoshio Malmö, ein japanischer Maler,
hat darüber in einem Vortrag in London
folgendes gesagt: "Das europäische Kind, das
fragt: was für eine Blume, für ein Tier ist
dieses? erhält die Antwort: die Blume gehört
zu dieser Klasse, das Tier zu jener, es hat
weniger Gehirn als der Mensch, sein Fleisch
ist eßbar. In Japan hingegen legte und
legt man bei der Unterweisung allein Wert
auf die Poesie. Als erstes, was ein Kind
lernt, sind die Hhakuninshn, hundert Ge¬
dichte, zu rezitieren. Was ihm vom Rotwild
z. B. gelehrt wird, ist dieses: "O, wenn wir
das Rotwild schreien und in den tiefen Tälern
auf fallende Blätter treten hören, dann fühlen
wir, wie traurig der Herbst ist. Alle Vögel
hoch oben sind davongeflogen, und eine flockige,
Weiße Wolke verläßt uns gleichfalls. Doch,
o seht den Berg von Keitel. Du und ich,
wir werden nie müde, einander anzusehen."
Daher in unserer Kunst das Streben nach
richtiger Naturbetrachtung, während die japa¬
nische und chinesische Kunst nicht subjektiv oder
objektiv die Natur schildern will, sondern ihr
Ziel ist, Freude zu bereiten. Lichter die alten
Maler Chinas mit Innigkeit Tiere, so malten
sie Tiere, und wir glauben, daß es wirkliche
Tiere seien. "Ihr Weg zum Erfolg war der,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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dadurch zu rechtfertigen ist, das; sie nicht später
als am Tage der gerichtlichen Bestätigung
des Testaments Tolstois erfolgte, laut welchem
der gesamte liternrische Nachlaß, einschließlich
der Privatbriefe, der Gräfin Alexandra Tolstoi
zufiel. Diese Verfügung war Sergejenko
offenbar bekannt, da sein Sohn das Testament
als Zeuge unterschrieben hatte. Wenn also
ein Konflikt mit den Gerichten vermieden
werden sollte, war für Scrgcjenko die in der
Tat auffällige Eile bei der Herausgabe der
Briefe geboten. Es muß dahingestellt bleiben,
ob Scrgejenko imstande ist sich moralisch zu
,
M. Aelchncr-Berlin rechtfertigen.

Bildende Runst

In Oskar Mi'mstervergs „Chinesischer
Kunstgeschichte" (Bd. I. Eßlingen 1910) liegt
zum ersten Male der Versuch bor, im Zu¬
sammenhange den Entwicklungsgang der
chinesischen Runst darzustellen. Daß dieser
Versuch unternommen wurde, ist mit Freude
zu begrüße»; dennoch sei gleich hier die einzige
Einschränkung meines sonst ungeteilten Lobes
über dieses Buch gesagt: Das Werk darf nur
als Vorposten aufgefaßt werden. Noch ist die
Kenntnis und Übersicht über Kunstwerke
Chinas verhältnismäßig gering, noch nehmen
wir diese Kenntnis aus zweiter und dritter
Hand» von Japan und England. Erst wenn
der chinesischen Sprache mächtige Kunstgelehrte
in China selbst überall Zutritt haben werden,
dann wird sich uns diese Kunst in all ihrem
Reichtum, in ihrer eigenen Schönheit enthüllen,
wie wir Nghptens Kunst den Aghptologen
danken.

Das Interesse an China hat in Europa
zu allen Zeiten Frankreich geweckt. Wir
wissen zwar aus italienischen Historikern der
Renaissance, daß Reisende zu geheimnisvollen
Ländern mit eigenartiger Kunst, wo die
Seidenfabrikation blühte, vorgedrungen seien,
aber der Schluß auf China gilt nur ver¬
mutungsweise. Erst aus 1686 ist uns, wie
Bölüvi'thes-Stmikövitsch in ihrem Buch „l.e
Oout Lninois en Trance su temps cis
l^ouis XIV" nachgewiesen haben, direkter Alls¬
tausch von Kunstwerken, und zwar über Siam,
bekannt. Allerdings wurde die Chinoiscrie
mehr als Spielerei betrieben, wenn auch

[Spaltenumbruch]

Watteaus Kunst kurz nach 1697 direkt durch
chinesische Vorbilder beeinflußt wurde, Vor¬
bilder, die durch Jesuiten in Vertrauens¬
stellung als Astronomen, Mathematiker und
Architekten am chinesischen Kaiserhofe nach
Frankreich gebracht waren. Vom Hofe des
Sonnenkönigs verbreitete sich der Geschmack
an Chinakunst über ganz Europa. Doch,
wie gesagt, die Freude an chinesischer Kunst
jener Tage war nicht mit Verständnis für die
künstlerische Bedeutuug gepaart, sondern
Spielerei. Erst die Brüder Goncourt öffneten
nach der erstell Weltausstellung dem kulti¬
vierten Paris die Augen für die eigenartige
Schönheit dieser Kunst, und damit beginnt
auch das shstematische Sammeln chinesischer
Werke in Europa. Japan, das die chinesische
Kunst als ihre Mutterkunst betrachtet, war
uns zuvorgekommen, und über Japan mußten
wir Kenntnisse und Erzeugnisse beziehen.
Wer in die Kunst Chinas eindringen will,
muß den Unterschied europäischer und chine¬
sischer oder japanischer Erziehung kennen
lernen. Uoshio Malmö, ein japanischer Maler,
hat darüber in einem Vortrag in London
folgendes gesagt: „Das europäische Kind, das
fragt: was für eine Blume, für ein Tier ist
dieses? erhält die Antwort: die Blume gehört
zu dieser Klasse, das Tier zu jener, es hat
weniger Gehirn als der Mensch, sein Fleisch
ist eßbar. In Japan hingegen legte und
legt man bei der Unterweisung allein Wert
auf die Poesie. Als erstes, was ein Kind
lernt, sind die Hhakuninshn, hundert Ge¬
dichte, zu rezitieren. Was ihm vom Rotwild
z. B. gelehrt wird, ist dieses: „O, wenn wir
das Rotwild schreien und in den tiefen Tälern
auf fallende Blätter treten hören, dann fühlen
wir, wie traurig der Herbst ist. Alle Vögel
hoch oben sind davongeflogen, und eine flockige,
Weiße Wolke verläßt uns gleichfalls. Doch,
o seht den Berg von Keitel. Du und ich,
wir werden nie müde, einander anzusehen."
Daher in unserer Kunst das Streben nach
richtiger Naturbetrachtung, während die japa¬
nische und chinesische Kunst nicht subjektiv oder
objektiv die Natur schildern will, sondern ihr
Ziel ist, Freude zu bereiten. Lichter die alten
Maler Chinas mit Innigkeit Tiere, so malten
sie Tiere, und wir glauben, daß es wirkliche
Tiere seien. „Ihr Weg zum Erfolg war der,

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[0054] Maßgebliches und Unmaßgebliches dadurch zu rechtfertigen ist, das; sie nicht später als am Tage der gerichtlichen Bestätigung des Testaments Tolstois erfolgte, laut welchem der gesamte liternrische Nachlaß, einschließlich der Privatbriefe, der Gräfin Alexandra Tolstoi zufiel. Diese Verfügung war Sergejenko offenbar bekannt, da sein Sohn das Testament als Zeuge unterschrieben hatte. Wenn also ein Konflikt mit den Gerichten vermieden werden sollte, war für Scrgcjenko die in der Tat auffällige Eile bei der Herausgabe der Briefe geboten. Es muß dahingestellt bleiben, ob Scrgejenko imstande ist sich moralisch zu , M. Aelchncr-Berlin rechtfertigen. Bildende Runst In Oskar Mi'mstervergs „Chinesischer Kunstgeschichte" (Bd. I. Eßlingen 1910) liegt zum ersten Male der Versuch bor, im Zu¬ sammenhange den Entwicklungsgang der chinesischen Runst darzustellen. Daß dieser Versuch unternommen wurde, ist mit Freude zu begrüße»; dennoch sei gleich hier die einzige Einschränkung meines sonst ungeteilten Lobes über dieses Buch gesagt: Das Werk darf nur als Vorposten aufgefaßt werden. Noch ist die Kenntnis und Übersicht über Kunstwerke Chinas verhältnismäßig gering, noch nehmen wir diese Kenntnis aus zweiter und dritter Hand» von Japan und England. Erst wenn der chinesischen Sprache mächtige Kunstgelehrte in China selbst überall Zutritt haben werden, dann wird sich uns diese Kunst in all ihrem Reichtum, in ihrer eigenen Schönheit enthüllen, wie wir Nghptens Kunst den Aghptologen danken. Das Interesse an China hat in Europa zu allen Zeiten Frankreich geweckt. Wir wissen zwar aus italienischen Historikern der Renaissance, daß Reisende zu geheimnisvollen Ländern mit eigenartiger Kunst, wo die Seidenfabrikation blühte, vorgedrungen seien, aber der Schluß auf China gilt nur ver¬ mutungsweise. Erst aus 1686 ist uns, wie Bölüvi'thes-Stmikövitsch in ihrem Buch „l.e Oout Lninois en Trance su temps cis l^ouis XIV" nachgewiesen haben, direkter Alls¬ tausch von Kunstwerken, und zwar über Siam, bekannt. Allerdings wurde die Chinoiscrie mehr als Spielerei betrieben, wenn auch Watteaus Kunst kurz nach 1697 direkt durch chinesische Vorbilder beeinflußt wurde, Vor¬ bilder, die durch Jesuiten in Vertrauens¬ stellung als Astronomen, Mathematiker und Architekten am chinesischen Kaiserhofe nach Frankreich gebracht waren. Vom Hofe des Sonnenkönigs verbreitete sich der Geschmack an Chinakunst über ganz Europa. Doch, wie gesagt, die Freude an chinesischer Kunst jener Tage war nicht mit Verständnis für die künstlerische Bedeutuug gepaart, sondern Spielerei. Erst die Brüder Goncourt öffneten nach der erstell Weltausstellung dem kulti¬ vierten Paris die Augen für die eigenartige Schönheit dieser Kunst, und damit beginnt auch das shstematische Sammeln chinesischer Werke in Europa. Japan, das die chinesische Kunst als ihre Mutterkunst betrachtet, war uns zuvorgekommen, und über Japan mußten wir Kenntnisse und Erzeugnisse beziehen. Wer in die Kunst Chinas eindringen will, muß den Unterschied europäischer und chine¬ sischer oder japanischer Erziehung kennen lernen. Uoshio Malmö, ein japanischer Maler, hat darüber in einem Vortrag in London folgendes gesagt: „Das europäische Kind, das fragt: was für eine Blume, für ein Tier ist dieses? erhält die Antwort: die Blume gehört zu dieser Klasse, das Tier zu jener, es hat weniger Gehirn als der Mensch, sein Fleisch ist eßbar. In Japan hingegen legte und legt man bei der Unterweisung allein Wert auf die Poesie. Als erstes, was ein Kind lernt, sind die Hhakuninshn, hundert Ge¬ dichte, zu rezitieren. Was ihm vom Rotwild z. B. gelehrt wird, ist dieses: „O, wenn wir das Rotwild schreien und in den tiefen Tälern auf fallende Blätter treten hören, dann fühlen wir, wie traurig der Herbst ist. Alle Vögel hoch oben sind davongeflogen, und eine flockige, Weiße Wolke verläßt uns gleichfalls. Doch, o seht den Berg von Keitel. Du und ich, wir werden nie müde, einander anzusehen." Daher in unserer Kunst das Streben nach richtiger Naturbetrachtung, während die japa¬ nische und chinesische Kunst nicht subjektiv oder objektiv die Natur schildern will, sondern ihr Ziel ist, Freude zu bereiten. Lichter die alten Maler Chinas mit Innigkeit Tiere, so malten sie Tiere, und wir glauben, daß es wirkliche Tiere seien. „Ihr Weg zum Erfolg war der,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/54>, abgerufen am 04.07.2024.