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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Landes, der stolze Baron Bellino Ricasoli. Auf Ersuchen der neuen Regierungen
übernahm König Viktor Emanuel den Oberbefehl über ihre Streitkräfte und
sandte ihnen seine Kommissare; die toskanische Division brach sogar nach dem
Kriegsschauplatze auf. Nach der Schlacht von Solferino am 24. Juni schien
alles im besten Gange; da schlug der Waffenstillstand und der Vorfriede von
Villafranca am 11. Juli alle die stolzen Hoffnungen zu Boden, und Cavour
trat am 14. Juli zurück; denn nur die Lombardei sollte an Piemont fallen,
Venezien österreichisch bleiben, die verjagten Fürsten zurückkehren. Viktor Emanuel
mußte seine Kommissare abberufen, die Provinzen südlich des Po sich selbst
überlassen. Da griff wieder der entschlossene und klare Wille des mittelitalienischen
Volkes entscheidend ein; es schritt eigenmächtig über den Vorfrieden von Villa-
franca hinweg. Die Landschaften stellten Diktatoren an ihre Spitze, bildeten gegen
die drohenden Reaktionsversuche Österreichs eine allmählich auf 50 000 Mark
steigende Armee, die in der Nummerierung ihrer Regimenter und Divistonen
sich an das piemontestsche Heer anschloß, vereinigten sich am 10. August zur
"mittelitalienischen Liga" (I^eZa acti' Italia centrale), sprachen die förmliche
Entsetzung der alten Dynastien aus und beschlossen die Vereinigung mit Piemont.
Denn sie wollten kurzab die Einheit Italiens und keinen selbständigen mittel¬
italienischen Staat zum Schutze irgendwelcher Stammesart, der diese Einheit ver¬
hindert und vielleicht einen Bonaparte oder Murat als König hätte annehmen
müssen.

So stand es, als der Friede am 10. November die Rückkehr der Dynastien
und die Errichtung eines italienischen Staatenbundes unter dem Vorsitze des
Papstes verfügte. Doch kein Gedanke daran, daß Mittelitalien sich ihm unter¬
worfen hätte: es ging auch über ihn mit ruhiger Selbstverständlichkeit hinweg.

Am 1. Januar 1860 konstituierten sich "die königlichen Provinzen der
Emilia", am 16. trat Cavour wieder ins Amt, am 15. März beschloß in ihnen
wie in Toskana ein allgemeines Plebiszit die Vereinigung mit Piemont mit
überwältigender Mehrheit. Es war ganz unzweifelhaft der wahre Ausdruck der
Volksstimmung; keine Rede kann bei diesem Stimmverhültnis (in Toskana
W6 000 gegen 15000. in der Emilia gar 426000 gegen 750) davon sein,
daß es künstlich gemacht worden sei. Jetzt nahm der König die Annexion an
und zog am 16. April, umrauscht von den nationalen Bannern, in den ehr¬
würdigen Palazzo vecchio von Florenz ein.

"Toskana hat Italien gemacht", so schrieb im März 1869 mit stolzem
Selbstbewußtsein Ricasoli. In der Tat, was wäre ohne die klare, unerschütter¬
liche Entschlossenheit der Mittel-Italiener geworden? Die Rückkehr der verjagten
Dynastien und der Staatenbund hätte doch keine dauerhaften Zustände geschaffen,
sondern bei ihrer sicher nicht veränderten Gesinnung und ihrer alten Verbindung
wie Österreich, das ja nach wie vor in Venezien und im Festungsviereck stand,
"ur eine neue Reaktion vorbereitet und jede wirkliche, wahrhaft nationale
Einigung Italiens verhindert.


Landes, der stolze Baron Bellino Ricasoli. Auf Ersuchen der neuen Regierungen
übernahm König Viktor Emanuel den Oberbefehl über ihre Streitkräfte und
sandte ihnen seine Kommissare; die toskanische Division brach sogar nach dem
Kriegsschauplatze auf. Nach der Schlacht von Solferino am 24. Juni schien
alles im besten Gange; da schlug der Waffenstillstand und der Vorfriede von
Villafranca am 11. Juli alle die stolzen Hoffnungen zu Boden, und Cavour
trat am 14. Juli zurück; denn nur die Lombardei sollte an Piemont fallen,
Venezien österreichisch bleiben, die verjagten Fürsten zurückkehren. Viktor Emanuel
mußte seine Kommissare abberufen, die Provinzen südlich des Po sich selbst
überlassen. Da griff wieder der entschlossene und klare Wille des mittelitalienischen
Volkes entscheidend ein; es schritt eigenmächtig über den Vorfrieden von Villa-
franca hinweg. Die Landschaften stellten Diktatoren an ihre Spitze, bildeten gegen
die drohenden Reaktionsversuche Österreichs eine allmählich auf 50 000 Mark
steigende Armee, die in der Nummerierung ihrer Regimenter und Divistonen
sich an das piemontestsche Heer anschloß, vereinigten sich am 10. August zur
„mittelitalienischen Liga" (I^eZa acti' Italia centrale), sprachen die förmliche
Entsetzung der alten Dynastien aus und beschlossen die Vereinigung mit Piemont.
Denn sie wollten kurzab die Einheit Italiens und keinen selbständigen mittel¬
italienischen Staat zum Schutze irgendwelcher Stammesart, der diese Einheit ver¬
hindert und vielleicht einen Bonaparte oder Murat als König hätte annehmen
müssen.

So stand es, als der Friede am 10. November die Rückkehr der Dynastien
und die Errichtung eines italienischen Staatenbundes unter dem Vorsitze des
Papstes verfügte. Doch kein Gedanke daran, daß Mittelitalien sich ihm unter¬
worfen hätte: es ging auch über ihn mit ruhiger Selbstverständlichkeit hinweg.

Am 1. Januar 1860 konstituierten sich „die königlichen Provinzen der
Emilia", am 16. trat Cavour wieder ins Amt, am 15. März beschloß in ihnen
wie in Toskana ein allgemeines Plebiszit die Vereinigung mit Piemont mit
überwältigender Mehrheit. Es war ganz unzweifelhaft der wahre Ausdruck der
Volksstimmung; keine Rede kann bei diesem Stimmverhültnis (in Toskana
W6 000 gegen 15000. in der Emilia gar 426000 gegen 750) davon sein,
daß es künstlich gemacht worden sei. Jetzt nahm der König die Annexion an
und zog am 16. April, umrauscht von den nationalen Bannern, in den ehr¬
würdigen Palazzo vecchio von Florenz ein.

„Toskana hat Italien gemacht", so schrieb im März 1869 mit stolzem
Selbstbewußtsein Ricasoli. In der Tat, was wäre ohne die klare, unerschütter¬
liche Entschlossenheit der Mittel-Italiener geworden? Die Rückkehr der verjagten
Dynastien und der Staatenbund hätte doch keine dauerhaften Zustände geschaffen,
sondern bei ihrer sicher nicht veränderten Gesinnung und ihrer alten Verbindung
wie Österreich, das ja nach wie vor in Venezien und im Festungsviereck stand,
"ur eine neue Reaktion vorbereitet und jede wirkliche, wahrhaft nationale
Einigung Italiens verhindert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/523>, abgerufen am 04.07.2024.