Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.^ieichsspicgel sich die einzelnen Parteien angesichts der Neuwahlen ans der Situation heraus¬ Zu den eigentümlichsten Erscheinungen unseres parlamentarischen Lebens ^ieichsspicgel sich die einzelnen Parteien angesichts der Neuwahlen ans der Situation heraus¬ Zu den eigentümlichsten Erscheinungen unseres parlamentarischen Lebens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318123"/> <fw type="header" place="top"> ^ieichsspicgel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2312" prev="#ID_2311"> sich die einzelnen Parteien angesichts der Neuwahlen ans der Situation heraus¬<lb/> winden werden, wird vielleicht eine ganz scherzhafte Episode in unserer sonst so<lb/> wenig lustigen Zeit abgeben. Einstweilen läutet der Vorwärts gegen die neuen<lb/> Bestimmungen Sturm und nennt sie eine Entrechtung der Arbeiter. In der<lb/> Kommission haben Konservative, die Wirtschaftliche Vereinigung, Zentrum und<lb/> Nationalliberale zusammengehalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2313"> Zu den eigentümlichsten Erscheinungen unseres parlamentarischen Lebens<lb/> gehören die Debatten zum Heeresetat des Reichstags. Man sollte meinen,<lb/> in einem Volk, dessen Staat schließlich nur möglich geworden ist durch die<lb/> glänzenden Leistungen des Heeres, dessen friedliche Entwicklung auf alleu Gebieten<lb/> offensichtlich nur gewährleistet wird durch den Respekt, den sein Heer und neuer¬<lb/> dings auch seine Flotte in der übrigen Welt genießen, — man sollte meinen, in<lb/> einem solchen Volke dürfte die Frage nach der Notwendigkeit von Heeresausgaben<lb/> überhaupt nicht aufgeworfen werden können. Und doch, trotz aller Lehren eines<lb/> Jahrhunderts von Erfolgen, trotz wiederholter augenfälliger Bestätigung, welch<lb/> ein Friedensbollwerk gerade das deutsche Heer ist, gibt es uicht uur einzelne<lb/> Menschen, sondern ganze Parteien in Deutschland, die die Abschaffung des<lb/> stehenden Heeres fordern. Die preußischen Kriegsminister müssen dem Reichstage<lb/> von Jahr zu Jahr vorrechnen, daß die Lasten des Heeresetats im Vergleich zu<lb/> dem Nutzen der Armee doch nur die Bedeutung einer geringfügigen Versicherungs¬<lb/> summe haben. —Auch die diesjährigen Verhandlungen des Reichstages beanspruchten<lb/> viel Zeit für die Führung des Beweises, daß die Ausgaben für das Heer not¬<lb/> wendig seien. Immerhin hat die unermüdliche Arbeit sämtlicher Kriegsminister<lb/> allmählich bewirkt, daß uun wenigstens alle bürgerlichen Parteien, einschließlich<lb/> der freisinnigen Gruppen, für den Heeresetat stimmen. Nur die Sozialdemokraten<lb/> verhalten sich dem stehenden Heere gegenüber ablehnend, denn sie wollen an<lb/> die Stelle des nationalen, verantwortungsbewußten „Militarismus" den eigenen,<lb/> den Militarismus der „enterbten" Klasse, der Volkswillkür setzen. Die Rede des<lb/> Herrn Kriegsministers hätte in dieser Richtung vielleicht noch wirksamer sein<lb/> können, wenn er in seiner sonst trefflichen Abwehr der Sozialdemokratie die<lb/> Folgen des Internationalismus gerade für den hochentwickelten deutschen Arbeiter<lb/> mehr in den Vordergrund geschoben hätte. Ein Hinweis auf die slawische<lb/> Konkurrenz würde manchen Arbeiter, der heute um kurzsichtig erfaßter Vorteile<lb/> willen sich der Sozialdemokratie angeschlossen hat, wieder zu den nationalen<lb/> Gewerkschaften zurückführen. Übrigens soll dem Herrn Kriegsminister aus dieser<lb/> Unterlassung kein Vorwurf gemacht werden, da die von uns gewünschte Auf¬<lb/> klärung in ein anderes Ressort gehört. Wohl aber hätten die nationalen<lb/> Parteien den Kampf gegen die Sozialdemokratie gerade in dieser Richtung wirk¬<lb/> samer führen können, als wie es geschehen. Exzellenz v. Liebert, der doch ein<lb/> tüchtiger Kenner des slawischen Problems ist, hätte seine Ausführungen vom<lb/> 23. Februar zweifellos ergänzen können. Immerhin besteht die Hoffnung, daß<lb/> das Versäumte während des Wahlkmnpfes nachgeholt werden wird.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
^ieichsspicgel
sich die einzelnen Parteien angesichts der Neuwahlen ans der Situation heraus¬
winden werden, wird vielleicht eine ganz scherzhafte Episode in unserer sonst so
wenig lustigen Zeit abgeben. Einstweilen läutet der Vorwärts gegen die neuen
Bestimmungen Sturm und nennt sie eine Entrechtung der Arbeiter. In der
Kommission haben Konservative, die Wirtschaftliche Vereinigung, Zentrum und
Nationalliberale zusammengehalten.
Zu den eigentümlichsten Erscheinungen unseres parlamentarischen Lebens
gehören die Debatten zum Heeresetat des Reichstags. Man sollte meinen,
in einem Volk, dessen Staat schließlich nur möglich geworden ist durch die
glänzenden Leistungen des Heeres, dessen friedliche Entwicklung auf alleu Gebieten
offensichtlich nur gewährleistet wird durch den Respekt, den sein Heer und neuer¬
dings auch seine Flotte in der übrigen Welt genießen, — man sollte meinen, in
einem solchen Volke dürfte die Frage nach der Notwendigkeit von Heeresausgaben
überhaupt nicht aufgeworfen werden können. Und doch, trotz aller Lehren eines
Jahrhunderts von Erfolgen, trotz wiederholter augenfälliger Bestätigung, welch
ein Friedensbollwerk gerade das deutsche Heer ist, gibt es uicht uur einzelne
Menschen, sondern ganze Parteien in Deutschland, die die Abschaffung des
stehenden Heeres fordern. Die preußischen Kriegsminister müssen dem Reichstage
von Jahr zu Jahr vorrechnen, daß die Lasten des Heeresetats im Vergleich zu
dem Nutzen der Armee doch nur die Bedeutung einer geringfügigen Versicherungs¬
summe haben. —Auch die diesjährigen Verhandlungen des Reichstages beanspruchten
viel Zeit für die Führung des Beweises, daß die Ausgaben für das Heer not¬
wendig seien. Immerhin hat die unermüdliche Arbeit sämtlicher Kriegsminister
allmählich bewirkt, daß uun wenigstens alle bürgerlichen Parteien, einschließlich
der freisinnigen Gruppen, für den Heeresetat stimmen. Nur die Sozialdemokraten
verhalten sich dem stehenden Heere gegenüber ablehnend, denn sie wollen an
die Stelle des nationalen, verantwortungsbewußten „Militarismus" den eigenen,
den Militarismus der „enterbten" Klasse, der Volkswillkür setzen. Die Rede des
Herrn Kriegsministers hätte in dieser Richtung vielleicht noch wirksamer sein
können, wenn er in seiner sonst trefflichen Abwehr der Sozialdemokratie die
Folgen des Internationalismus gerade für den hochentwickelten deutschen Arbeiter
mehr in den Vordergrund geschoben hätte. Ein Hinweis auf die slawische
Konkurrenz würde manchen Arbeiter, der heute um kurzsichtig erfaßter Vorteile
willen sich der Sozialdemokratie angeschlossen hat, wieder zu den nationalen
Gewerkschaften zurückführen. Übrigens soll dem Herrn Kriegsminister aus dieser
Unterlassung kein Vorwurf gemacht werden, da die von uns gewünschte Auf¬
klärung in ein anderes Ressort gehört. Wohl aber hätten die nationalen
Parteien den Kampf gegen die Sozialdemokratie gerade in dieser Richtung wirk¬
samer führen können, als wie es geschehen. Exzellenz v. Liebert, der doch ein
tüchtiger Kenner des slawischen Problems ist, hätte seine Ausführungen vom
23. Februar zweifellos ergänzen können. Immerhin besteht die Hoffnung, daß
das Versäumte während des Wahlkmnpfes nachgeholt werden wird.
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