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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Gustav Wustmann

damals Gelehrte wie Ratzel, Kretschmar, Philippi, Wülker, Kümmel, hervorragende
Juristen wie Georg Hoffmann und Lobe, Schriftsteller wie Carl Jentsch, Fritz
Anders, Wilhelm Speck, Stellanus (Graf Holtzendorff) u. er. Grunow und Wustmann
verstanden es vortrefflich, diesen Kreis zusammenzuhalten und auf die Zeitschrift
zu konzentrieren, so daß aus den Debatten im Korpsstübchen des Thüringer Hofes
manche segensreiche Anregung auf politischem, literarischem und künstlerischem
Gebiete hervorgegangen ist.

Für Wustmann war die Geschichte der Jungbrunnen des Lebens. Goethes
Ausspruch: "Wer eine Anlage hat, klug zu werden, mag's nächst dem Leben in
der Geschichte suchen", war auch sein Grundsatz. Die Geschichte Leipzigs mit ihren
weitverzweigten kulturgeschichtlichen Fragen machte er zu seinem besonderen Arbeits¬
gebiet. Auch diese gediegenen Studien erschienen zum größten Teil in den "Grenz¬
boten"; aber der Verbreitung der Buchausgabe hätte es mehr genützt, wenn er
der Sammlung dieser allgemein interessanten Arbeiten auch einen allgemeinen
Titel gegeben hätte und nicht den lokalgeschichtlichen "Aus Leipzigs Vergangenheit"
(1885, neue Folge 1898). Diesen Studien widmete Wustmann seine von zahl¬
reichen Amtspflichten noch frei bleibende Zeit, als er im Jahre 1898 aus der
Redaktion der "Grenzboten" auftrat. Eine Frucht literarischer Forschungen ist sein
mit Recht vielgerühmtes Buch: "Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein
Liederbuch für altmodische Leute" (4. Aufl.).

Wustmann war nicht frei von ausgesprochenen Sympathien und unüber¬
windlichen Antipathien, z. B. dem jüdischen Literatentum gegenüber. Alles Undeutsche,
Affektierte und Ungesunde war ihm in der Seele verhaßt; alles, was nach Reklame
aussah, betrachtete er mit argwöhnischen Blicken, und da in der modernen Kunst
und Literatur die Reklame und das Marktschreiertum eine große Rolle spielen,
war sein Verhältnis dazu mehr ablehnend als anerkennend und fördernd. DaS
hat ihm manche Feindschaft eingebracht. Die Einleitung zur ersten Auflage (1891)
der Sprachdummheiten wirkte wie ein rotes Tuch in der Arena, die heftigsten
Angriffe wurden damals gegen ihn gerichtet." Dabei machte er noch eine andere
unerfreuliche Erfahrung: Wer heutzutage neue Ideen veröffentlicht, wird sogleich
von literarischen Buschkleppern rücksichtslos ausgebeutet und muß noch froh sein,
wenn ihm nicht die Kleider vom Leibe gerissen werden und er zum Dank mit
Schmutz beworfen wird. Aber Wustmannverstand es auch, sich zu wehren, und er
hat gelegentlich kritische Hiebe ausgeteilt, die seine Gegner aus allen Konfessionen
nicht vergessen werden. Daß er auch über einen köstlichen Humor verfügte, das
zeigen manches "Maßgebliche und Unmaßgebliche" und mancher Artikel, z. B. der
"Aus Paul Lindaus Flegeljahren" ("Grenzboten" 1909, Ur. 23).

Ein glückliches Familienleben in einem selbsterarbeiteten Landhause und die
teilnehmende Anerkennung seiner Freunde entschädigten ihn für manche Wider¬
wärtigkeiten. Obgleich er niemals ernsthaft krank gewesen war, hat ihn doch ein
Darmleiden sehr schnell dahingerafft. Wustmanns Bedeutung und Verdienste
gehen weit über den Rahmen lokalgeschichtlicher Forschungen hinaus. In der
Geschichte der deutschen Sprache gebührt ihm ein hervorragender Platz. Wir aber,
denen es vergönnt gewesen ist, im persönlichen Verkehr viel von ihm zu lernen
und bei der jahrelangen redaktionellen Arbeit an den "Grenzboten" viele seiner
Ideen zu verwerten, werden seiner stets mit dankbarem Sinne gedenken.


Gustav Wustmann

damals Gelehrte wie Ratzel, Kretschmar, Philippi, Wülker, Kümmel, hervorragende
Juristen wie Georg Hoffmann und Lobe, Schriftsteller wie Carl Jentsch, Fritz
Anders, Wilhelm Speck, Stellanus (Graf Holtzendorff) u. er. Grunow und Wustmann
verstanden es vortrefflich, diesen Kreis zusammenzuhalten und auf die Zeitschrift
zu konzentrieren, so daß aus den Debatten im Korpsstübchen des Thüringer Hofes
manche segensreiche Anregung auf politischem, literarischem und künstlerischem
Gebiete hervorgegangen ist.

Für Wustmann war die Geschichte der Jungbrunnen des Lebens. Goethes
Ausspruch: „Wer eine Anlage hat, klug zu werden, mag's nächst dem Leben in
der Geschichte suchen", war auch sein Grundsatz. Die Geschichte Leipzigs mit ihren
weitverzweigten kulturgeschichtlichen Fragen machte er zu seinem besonderen Arbeits¬
gebiet. Auch diese gediegenen Studien erschienen zum größten Teil in den „Grenz¬
boten"; aber der Verbreitung der Buchausgabe hätte es mehr genützt, wenn er
der Sammlung dieser allgemein interessanten Arbeiten auch einen allgemeinen
Titel gegeben hätte und nicht den lokalgeschichtlichen „Aus Leipzigs Vergangenheit"
(1885, neue Folge 1898). Diesen Studien widmete Wustmann seine von zahl¬
reichen Amtspflichten noch frei bleibende Zeit, als er im Jahre 1898 aus der
Redaktion der „Grenzboten" auftrat. Eine Frucht literarischer Forschungen ist sein
mit Recht vielgerühmtes Buch: „Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein
Liederbuch für altmodische Leute" (4. Aufl.).

Wustmann war nicht frei von ausgesprochenen Sympathien und unüber¬
windlichen Antipathien, z. B. dem jüdischen Literatentum gegenüber. Alles Undeutsche,
Affektierte und Ungesunde war ihm in der Seele verhaßt; alles, was nach Reklame
aussah, betrachtete er mit argwöhnischen Blicken, und da in der modernen Kunst
und Literatur die Reklame und das Marktschreiertum eine große Rolle spielen,
war sein Verhältnis dazu mehr ablehnend als anerkennend und fördernd. DaS
hat ihm manche Feindschaft eingebracht. Die Einleitung zur ersten Auflage (1891)
der Sprachdummheiten wirkte wie ein rotes Tuch in der Arena, die heftigsten
Angriffe wurden damals gegen ihn gerichtet.» Dabei machte er noch eine andere
unerfreuliche Erfahrung: Wer heutzutage neue Ideen veröffentlicht, wird sogleich
von literarischen Buschkleppern rücksichtslos ausgebeutet und muß noch froh sein,
wenn ihm nicht die Kleider vom Leibe gerissen werden und er zum Dank mit
Schmutz beworfen wird. Aber Wustmannverstand es auch, sich zu wehren, und er
hat gelegentlich kritische Hiebe ausgeteilt, die seine Gegner aus allen Konfessionen
nicht vergessen werden. Daß er auch über einen köstlichen Humor verfügte, das
zeigen manches „Maßgebliche und Unmaßgebliche" und mancher Artikel, z. B. der
„Aus Paul Lindaus Flegeljahren" („Grenzboten" 1909, Ur. 23).

Ein glückliches Familienleben in einem selbsterarbeiteten Landhause und die
teilnehmende Anerkennung seiner Freunde entschädigten ihn für manche Wider¬
wärtigkeiten. Obgleich er niemals ernsthaft krank gewesen war, hat ihn doch ein
Darmleiden sehr schnell dahingerafft. Wustmanns Bedeutung und Verdienste
gehen weit über den Rahmen lokalgeschichtlicher Forschungen hinaus. In der
Geschichte der deutschen Sprache gebührt ihm ein hervorragender Platz. Wir aber,
denen es vergönnt gewesen ist, im persönlichen Verkehr viel von ihm zu lernen
und bei der jahrelangen redaktionellen Arbeit an den „Grenzboten" viele seiner
Ideen zu verwerten, werden seiner stets mit dankbarem Sinne gedenken.


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[0051] Gustav Wustmann damals Gelehrte wie Ratzel, Kretschmar, Philippi, Wülker, Kümmel, hervorragende Juristen wie Georg Hoffmann und Lobe, Schriftsteller wie Carl Jentsch, Fritz Anders, Wilhelm Speck, Stellanus (Graf Holtzendorff) u. er. Grunow und Wustmann verstanden es vortrefflich, diesen Kreis zusammenzuhalten und auf die Zeitschrift zu konzentrieren, so daß aus den Debatten im Korpsstübchen des Thüringer Hofes manche segensreiche Anregung auf politischem, literarischem und künstlerischem Gebiete hervorgegangen ist. Für Wustmann war die Geschichte der Jungbrunnen des Lebens. Goethes Ausspruch: „Wer eine Anlage hat, klug zu werden, mag's nächst dem Leben in der Geschichte suchen", war auch sein Grundsatz. Die Geschichte Leipzigs mit ihren weitverzweigten kulturgeschichtlichen Fragen machte er zu seinem besonderen Arbeits¬ gebiet. Auch diese gediegenen Studien erschienen zum größten Teil in den „Grenz¬ boten"; aber der Verbreitung der Buchausgabe hätte es mehr genützt, wenn er der Sammlung dieser allgemein interessanten Arbeiten auch einen allgemeinen Titel gegeben hätte und nicht den lokalgeschichtlichen „Aus Leipzigs Vergangenheit" (1885, neue Folge 1898). Diesen Studien widmete Wustmann seine von zahl¬ reichen Amtspflichten noch frei bleibende Zeit, als er im Jahre 1898 aus der Redaktion der „Grenzboten" auftrat. Eine Frucht literarischer Forschungen ist sein mit Recht vielgerühmtes Buch: „Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für altmodische Leute" (4. Aufl.). Wustmann war nicht frei von ausgesprochenen Sympathien und unüber¬ windlichen Antipathien, z. B. dem jüdischen Literatentum gegenüber. Alles Undeutsche, Affektierte und Ungesunde war ihm in der Seele verhaßt; alles, was nach Reklame aussah, betrachtete er mit argwöhnischen Blicken, und da in der modernen Kunst und Literatur die Reklame und das Marktschreiertum eine große Rolle spielen, war sein Verhältnis dazu mehr ablehnend als anerkennend und fördernd. DaS hat ihm manche Feindschaft eingebracht. Die Einleitung zur ersten Auflage (1891) der Sprachdummheiten wirkte wie ein rotes Tuch in der Arena, die heftigsten Angriffe wurden damals gegen ihn gerichtet.» Dabei machte er noch eine andere unerfreuliche Erfahrung: Wer heutzutage neue Ideen veröffentlicht, wird sogleich von literarischen Buschkleppern rücksichtslos ausgebeutet und muß noch froh sein, wenn ihm nicht die Kleider vom Leibe gerissen werden und er zum Dank mit Schmutz beworfen wird. Aber Wustmannverstand es auch, sich zu wehren, und er hat gelegentlich kritische Hiebe ausgeteilt, die seine Gegner aus allen Konfessionen nicht vergessen werden. Daß er auch über einen köstlichen Humor verfügte, das zeigen manches „Maßgebliche und Unmaßgebliche" und mancher Artikel, z. B. der „Aus Paul Lindaus Flegeljahren" („Grenzboten" 1909, Ur. 23). Ein glückliches Familienleben in einem selbsterarbeiteten Landhause und die teilnehmende Anerkennung seiner Freunde entschädigten ihn für manche Wider¬ wärtigkeiten. Obgleich er niemals ernsthaft krank gewesen war, hat ihn doch ein Darmleiden sehr schnell dahingerafft. Wustmanns Bedeutung und Verdienste gehen weit über den Rahmen lokalgeschichtlicher Forschungen hinaus. In der Geschichte der deutschen Sprache gebührt ihm ein hervorragender Platz. Wir aber, denen es vergönnt gewesen ist, im persönlichen Verkehr viel von ihm zu lernen und bei der jahrelangen redaktionellen Arbeit an den „Grenzboten" viele seiner Ideen zu verwerten, werden seiner stets mit dankbarem Sinne gedenken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/51>, abgerufen am 28.12.2024.