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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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die Wiener volksiüniliche" ilnivcrsitütskurse
von der Universität selbst organisiert ivcrden:
der akademische Senat und die Fakultäten er¬
nennen den Ausschuß, dein die Leitung der
Kurse übertragen wird. Diese stehen, da nur
Forscher und Gelehrte burtragen, auf der Höhe
von Universitätsvorlesungen. Besondere Be-
achtung verdienen die sogenannten, unter
Führung der Dozenten stattfindenden Wcmder-
kurse, geographische, mineralogische, botanische
und geologische Exkursionen, die im Anschlich an
entsprechende Vortrage unternommen werden.
Es ist wirklich staunenswert, daß die Gelehrten
sogar Zeit und Kraft finden, nicht un¬
erhebliche Reisen zu unternehmen, um anch in
der Provinz volkstümliche Hochschulkurse abzu¬
halten. Die Bedeutung solcher von ma߬
gebender Stelle getroffenen Einrichtungen kann
nicht hoch genug veranschlagt werden. Während
sie einerseits für die Gediegenheit der Be¬
handlung der verschiedenen Lehrgegenstände
die denkbar größte Gewähr bieten, müssen
sie anderseits auf die Bevölkerung die stärkste
Anziehungskraft ausüben: es liegt uns doch
nun einmal im Blute, alles Heil von dem
Patentierten Gelehrten zu erwarten. Dieben
dem ideellen Werte der Nolksbelehrnng durch
Hochschullehrer, der darin gegeben ist, daß die
große Masse des Volks mit den wissenschaft¬
lichen Kreisen in Persönliche Berührung tritt,
daß Hand- und Kopfarbeiter einander kennen
und schätzen lernen, ist das wirtschaftliche
Moment, das hier eine Rolle spielt, recht be¬
achtenswert: dnrch die Abhaltung volkstüm¬
licher Hochschnlkurse wird den Privatdozenten,
diesen prädestinierten Märtyrern wissenschaft¬
licher Ideale, eine nicht unerhebliche Ein¬
nahmequelle erschlossen. Jeder Vortragende
"Hält in Wien für einen Kursus von sechs
Abenden 180 Kronen, Exkursionen werden be¬
sonders honoriert, für Vorträge in der Provinz
steigt das Honorar, je nach der Entfernung
des Orts von Wien, auf 240 bis 700 Kronen.
Da der Staat eine nicht unerhebliche Sub¬
vention zahlt, werden die Wiener und die nach
ihrem Muster geschaffenen Volkshochschulkurse
der anderen österreichischen Universitäten zu
einer staatlichen Einrichtung gestempelt, deren
Bedeutung den anderen Veranstaltungen
behufs geistiger Fürsorge von Staats wegen
nicht nachsteht.

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Die zweite Einrichtung, die die Wiener
voraus haben, sind, wie erwähnt, die BoltS-
universitäten, deren es in Wien bereits zwei
gibt, daS "Avlksheim" und das "VoltS-
bildungshnus". Dem Prinzip des Jueiu-
andergreifens möglichst aller der freien Volks¬
bildung dienenden Bestrebungen entsprechend,
ergänzen diese beiden Gründungen einerseits
einander durch zweckmäßige Verteilung der
von ihnen gepflegten Unterrichtsfächer, ander¬
seits bilden sie eine Ergänzung zu den volks¬
tümlichen Hochschulkursen, indem sie Gelegen¬
heit bieten, das dort geschöpfte Wissen durch
seminaristische Übungen und Laboratiums-
arbeit zu vertiefen. Daß die Anleitung zu
selbständigem Denken, dem Ziele jeglicher
Fortbildung, nicht in Borträgen, sondern im
wesentlichen nur in seminaristischer Arbeit ge¬
geben werden kann, und daß das Eindringen
speziell in den Geist naturwissenschaftlicher
Forschung, soweit sie auf experimenteller Grund¬
lage ruht, nur im Laboratorium möglich ist,
ist ja eine in: akademische" Unterricht längst
bewährte Einsicht. Aber der Laboratoriums¬
unterricht setzt voraus, daß man, wie in Wien,
Herr im Hanse ist, denn nur dann ist das
unbefangene Handierer mit Apparaten und
Materialien möglich. Die Bedeutung der
Volkshäuser ist aber damit bei weitem nicht
erschöpft. Sie liegt vielmehr vor allem darin,
daß sie das natürliche Zentrum der Be¬
strebungen, die der freien Volksbildung dienen,
bilden; anch nimmt durch sie die geistige Ge¬
meinschaft der Emporstrebenden greifbare For¬
men an, die ihrerseits wiederum wertvollen
ideellen Beziehungen der Menschen unter¬
einander mächtige Förderung gewähren. Was
in Berlin an Möglichkeiten für freie Fort¬
bildung geboten wird, sei nicht unterschätzt, anch
kommt derWisscnsdurst der Berliner in der stän¬
digen Erweiterung der verschiedenen Institute
und in zahlreichen Neugründungen aufs schönste
zum Ausdruck; aber gerade diese Regsamkeit
läßt es in hohem Grade wünschenswert er¬
scheinen, einen Sammelpunkt zu schaffen, von
dem aus der ganze Reichtum geistigen Be¬
sitzes überschaut und für den einzelnen fruchtbar
gemacht werden könnte. Der moderne Gro߬
betrieb in seiner Intensität und Konzentration
muß, wie ein Pionier des Wiener Volks-
bildungsivesenS mit Recht bemerkt, auch auf

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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die Wiener volksiüniliche» ilnivcrsitütskurse
von der Universität selbst organisiert ivcrden:
der akademische Senat und die Fakultäten er¬
nennen den Ausschuß, dein die Leitung der
Kurse übertragen wird. Diese stehen, da nur
Forscher und Gelehrte burtragen, auf der Höhe
von Universitätsvorlesungen. Besondere Be-
achtung verdienen die sogenannten, unter
Führung der Dozenten stattfindenden Wcmder-
kurse, geographische, mineralogische, botanische
und geologische Exkursionen, die im Anschlich an
entsprechende Vortrage unternommen werden.
Es ist wirklich staunenswert, daß die Gelehrten
sogar Zeit und Kraft finden, nicht un¬
erhebliche Reisen zu unternehmen, um anch in
der Provinz volkstümliche Hochschulkurse abzu¬
halten. Die Bedeutung solcher von ma߬
gebender Stelle getroffenen Einrichtungen kann
nicht hoch genug veranschlagt werden. Während
sie einerseits für die Gediegenheit der Be¬
handlung der verschiedenen Lehrgegenstände
die denkbar größte Gewähr bieten, müssen
sie anderseits auf die Bevölkerung die stärkste
Anziehungskraft ausüben: es liegt uns doch
nun einmal im Blute, alles Heil von dem
Patentierten Gelehrten zu erwarten. Dieben
dem ideellen Werte der Nolksbelehrnng durch
Hochschullehrer, der darin gegeben ist, daß die
große Masse des Volks mit den wissenschaft¬
lichen Kreisen in Persönliche Berührung tritt,
daß Hand- und Kopfarbeiter einander kennen
und schätzen lernen, ist das wirtschaftliche
Moment, das hier eine Rolle spielt, recht be¬
achtenswert: dnrch die Abhaltung volkstüm¬
licher Hochschnlkurse wird den Privatdozenten,
diesen prädestinierten Märtyrern wissenschaft¬
licher Ideale, eine nicht unerhebliche Ein¬
nahmequelle erschlossen. Jeder Vortragende
«Hält in Wien für einen Kursus von sechs
Abenden 180 Kronen, Exkursionen werden be¬
sonders honoriert, für Vorträge in der Provinz
steigt das Honorar, je nach der Entfernung
des Orts von Wien, auf 240 bis 700 Kronen.
Da der Staat eine nicht unerhebliche Sub¬
vention zahlt, werden die Wiener und die nach
ihrem Muster geschaffenen Volkshochschulkurse
der anderen österreichischen Universitäten zu
einer staatlichen Einrichtung gestempelt, deren
Bedeutung den anderen Veranstaltungen
behufs geistiger Fürsorge von Staats wegen
nicht nachsteht.

[Spaltenumbruch]

Die zweite Einrichtung, die die Wiener
voraus haben, sind, wie erwähnt, die BoltS-
universitäten, deren es in Wien bereits zwei
gibt, daS „Avlksheim" und das „VoltS-
bildungshnus". Dem Prinzip des Jueiu-
andergreifens möglichst aller der freien Volks¬
bildung dienenden Bestrebungen entsprechend,
ergänzen diese beiden Gründungen einerseits
einander durch zweckmäßige Verteilung der
von ihnen gepflegten Unterrichtsfächer, ander¬
seits bilden sie eine Ergänzung zu den volks¬
tümlichen Hochschulkursen, indem sie Gelegen¬
heit bieten, das dort geschöpfte Wissen durch
seminaristische Übungen und Laboratiums-
arbeit zu vertiefen. Daß die Anleitung zu
selbständigem Denken, dem Ziele jeglicher
Fortbildung, nicht in Borträgen, sondern im
wesentlichen nur in seminaristischer Arbeit ge¬
geben werden kann, und daß das Eindringen
speziell in den Geist naturwissenschaftlicher
Forschung, soweit sie auf experimenteller Grund¬
lage ruht, nur im Laboratorium möglich ist,
ist ja eine in: akademische» Unterricht längst
bewährte Einsicht. Aber der Laboratoriums¬
unterricht setzt voraus, daß man, wie in Wien,
Herr im Hanse ist, denn nur dann ist das
unbefangene Handierer mit Apparaten und
Materialien möglich. Die Bedeutung der
Volkshäuser ist aber damit bei weitem nicht
erschöpft. Sie liegt vielmehr vor allem darin,
daß sie das natürliche Zentrum der Be¬
strebungen, die der freien Volksbildung dienen,
bilden; anch nimmt durch sie die geistige Ge¬
meinschaft der Emporstrebenden greifbare For¬
men an, die ihrerseits wiederum wertvollen
ideellen Beziehungen der Menschen unter¬
einander mächtige Förderung gewähren. Was
in Berlin an Möglichkeiten für freie Fort¬
bildung geboten wird, sei nicht unterschätzt, anch
kommt derWisscnsdurst der Berliner in der stän¬
digen Erweiterung der verschiedenen Institute
und in zahlreichen Neugründungen aufs schönste
zum Ausdruck; aber gerade diese Regsamkeit
läßt es in hohem Grade wünschenswert er¬
scheinen, einen Sammelpunkt zu schaffen, von
dem aus der ganze Reichtum geistigen Be¬
sitzes überschaut und für den einzelnen fruchtbar
gemacht werden könnte. Der moderne Gro߬
betrieb in seiner Intensität und Konzentration
muß, wie ein Pionier des Wiener Volks-
bildungsivesenS mit Recht bemerkt, auch auf

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[0507] Maßgebliches und Unmaßgebliches die Wiener volksiüniliche» ilnivcrsitütskurse von der Universität selbst organisiert ivcrden: der akademische Senat und die Fakultäten er¬ nennen den Ausschuß, dein die Leitung der Kurse übertragen wird. Diese stehen, da nur Forscher und Gelehrte burtragen, auf der Höhe von Universitätsvorlesungen. Besondere Be- achtung verdienen die sogenannten, unter Führung der Dozenten stattfindenden Wcmder- kurse, geographische, mineralogische, botanische und geologische Exkursionen, die im Anschlich an entsprechende Vortrage unternommen werden. Es ist wirklich staunenswert, daß die Gelehrten sogar Zeit und Kraft finden, nicht un¬ erhebliche Reisen zu unternehmen, um anch in der Provinz volkstümliche Hochschulkurse abzu¬ halten. Die Bedeutung solcher von ma߬ gebender Stelle getroffenen Einrichtungen kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Während sie einerseits für die Gediegenheit der Be¬ handlung der verschiedenen Lehrgegenstände die denkbar größte Gewähr bieten, müssen sie anderseits auf die Bevölkerung die stärkste Anziehungskraft ausüben: es liegt uns doch nun einmal im Blute, alles Heil von dem Patentierten Gelehrten zu erwarten. Dieben dem ideellen Werte der Nolksbelehrnng durch Hochschullehrer, der darin gegeben ist, daß die große Masse des Volks mit den wissenschaft¬ lichen Kreisen in Persönliche Berührung tritt, daß Hand- und Kopfarbeiter einander kennen und schätzen lernen, ist das wirtschaftliche Moment, das hier eine Rolle spielt, recht be¬ achtenswert: dnrch die Abhaltung volkstüm¬ licher Hochschnlkurse wird den Privatdozenten, diesen prädestinierten Märtyrern wissenschaft¬ licher Ideale, eine nicht unerhebliche Ein¬ nahmequelle erschlossen. Jeder Vortragende «Hält in Wien für einen Kursus von sechs Abenden 180 Kronen, Exkursionen werden be¬ sonders honoriert, für Vorträge in der Provinz steigt das Honorar, je nach der Entfernung des Orts von Wien, auf 240 bis 700 Kronen. Da der Staat eine nicht unerhebliche Sub¬ vention zahlt, werden die Wiener und die nach ihrem Muster geschaffenen Volkshochschulkurse der anderen österreichischen Universitäten zu einer staatlichen Einrichtung gestempelt, deren Bedeutung den anderen Veranstaltungen behufs geistiger Fürsorge von Staats wegen nicht nachsteht. Die zweite Einrichtung, die die Wiener voraus haben, sind, wie erwähnt, die BoltS- universitäten, deren es in Wien bereits zwei gibt, daS „Avlksheim" und das „VoltS- bildungshnus". Dem Prinzip des Jueiu- andergreifens möglichst aller der freien Volks¬ bildung dienenden Bestrebungen entsprechend, ergänzen diese beiden Gründungen einerseits einander durch zweckmäßige Verteilung der von ihnen gepflegten Unterrichtsfächer, ander¬ seits bilden sie eine Ergänzung zu den volks¬ tümlichen Hochschulkursen, indem sie Gelegen¬ heit bieten, das dort geschöpfte Wissen durch seminaristische Übungen und Laboratiums- arbeit zu vertiefen. Daß die Anleitung zu selbständigem Denken, dem Ziele jeglicher Fortbildung, nicht in Borträgen, sondern im wesentlichen nur in seminaristischer Arbeit ge¬ geben werden kann, und daß das Eindringen speziell in den Geist naturwissenschaftlicher Forschung, soweit sie auf experimenteller Grund¬ lage ruht, nur im Laboratorium möglich ist, ist ja eine in: akademische» Unterricht längst bewährte Einsicht. Aber der Laboratoriums¬ unterricht setzt voraus, daß man, wie in Wien, Herr im Hanse ist, denn nur dann ist das unbefangene Handierer mit Apparaten und Materialien möglich. Die Bedeutung der Volkshäuser ist aber damit bei weitem nicht erschöpft. Sie liegt vielmehr vor allem darin, daß sie das natürliche Zentrum der Be¬ strebungen, die der freien Volksbildung dienen, bilden; anch nimmt durch sie die geistige Ge¬ meinschaft der Emporstrebenden greifbare For¬ men an, die ihrerseits wiederum wertvollen ideellen Beziehungen der Menschen unter¬ einander mächtige Förderung gewähren. Was in Berlin an Möglichkeiten für freie Fort¬ bildung geboten wird, sei nicht unterschätzt, anch kommt derWisscnsdurst der Berliner in der stän¬ digen Erweiterung der verschiedenen Institute und in zahlreichen Neugründungen aufs schönste zum Ausdruck; aber gerade diese Regsamkeit läßt es in hohem Grade wünschenswert er¬ scheinen, einen Sammelpunkt zu schaffen, von dem aus der ganze Reichtum geistigen Be¬ sitzes überschaut und für den einzelnen fruchtbar gemacht werden könnte. Der moderne Gro߬ betrieb in seiner Intensität und Konzentration muß, wie ein Pionier des Wiener Volks- bildungsivesenS mit Recht bemerkt, auch auf

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/507>, abgerufen am 24.07.2024.