Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Jens Baggesen und Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein er diesen Namen ja längst auch öffentlich angenommen. Kopenhagen ist "Athen" Wenn uns Baggesens Briefe von jener Reise durch Deutschland auch leider Des Herzogs und Dänemarks Hoffnungen hat Baggesen nicht erfüllt. Es Jens Baggesen und Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein er diesen Namen ja längst auch öffentlich angenommen. Kopenhagen ist „Athen" Wenn uns Baggesens Briefe von jener Reise durch Deutschland auch leider Des Herzogs und Dänemarks Hoffnungen hat Baggesen nicht erfüllt. Es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318115"/> <fw type="header" place="top"> Jens Baggesen und Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein</fw><lb/> <p xml:id="ID_2281" prev="#ID_2280"> er diesen Namen ja längst auch öffentlich angenommen. Kopenhagen ist „Athen"<lb/> wie Dänemark „Griechenland", „Arabien" bedeutet Österreich, „Epirus" Schleswig,<lb/> „Mancha" Braunschweig, „Eden" Augustenburg. Die „Kränzgen" sind die geheimen<lb/> Gesellschaften, der „Phönix" ist der Illuminatenorden, auf den der Herzog sein<lb/> besonderes Absehen richtete. Ergötzlich heißen die Minister „Pagoden", Katharina<lb/> die Zweite entweder „die Stierin" oder „die Närrin", auch „Madame Attila" oder<lb/> „die nordische Semiramis". „Grandison" ist Bernstorff, „Saladin" der Graf<lb/> Schimmelmann, die Gräfin „Luna" oder „Chamäleon".</p><lb/> <p xml:id="ID_2282"> Wenn uns Baggesens Briefe von jener Reise durch Deutschland auch leider<lb/> verloren sind, so erzählen uns die Briefe des Herzogs doch von manchem merk¬<lb/> würdigen Ereignis, wie vom Besuch „Peregrins" (Lavaters) in Kopenhagen, und<lb/> weisen eine Reihe stolzer Namen auf. Denn Vaggesen hatte Schiller bestich<lb/> („Enceladus"), der ihn mit dem Taschentuch vorm Munde empfing, — er hatte<lb/> gerade geschwollene Backen. Der Däne führte von der Reise seine Gattin Sophie<lb/> heim, eine Enkelin Albrechts von Haller, er lernt Claudius kennen und Klopstock,<lb/> er schätzt in Wieland einen Vater, und engste Freundschaft verbindet ihn seinen:<lb/> „Agathon" Karl Leonhard Reinhold, dem Schwiegersohn Wielands. „Ein Stamm¬<lb/> buch aus dem Kreise K. L. Reinholds" hat neulich I)r. Karl Hügelmann ver¬<lb/> öffentlicht (Wien 1910. Ambr. Opitz' Nachfolger). Es ist ein Studentenalbum, das<lb/> Reinholds Hörer Wilhelm Josef Kaiman aus Ungarn an den Universitäten Jena<lb/> und Kiel (wohin Reinhold eben durch seine dünischen Beziehungen berufen worden<lb/> war) in den Jahren 1792 bis 1795 führte. In diesem Kreise fehlt natürlich weder<lb/> Baggesen noch seine Sophie, noch Charlotte Wieland. Baggesen schrieb: „Sich nur<lb/> in anderen lieben, durch anderer Glück nur beglückt seyn, nie nach anderen denken,<lb/> noch weniger wollen, ist Menschheit."</p><lb/> <p xml:id="ID_2283" next="#ID_2284"> Des Herzogs und Dänemarks Hoffnungen hat Baggesen nicht erfüllt. Es<lb/> war eine schwere EiUtäuschung, der die sprunghaft fortschreitende Entfremdung und<lb/> der innerliche Bruch zwischen den Freunden folgte. Der tätige, fürs Vaterland<lb/> arbeitende Mann, wie ihn Friedrich Christian sich gedacht hatte, ward Baggesen<lb/> nie. Seine wahre und falsche Genialität, die allzusehr emporschoß, seine unersätt¬<lb/> liche Eitelkeit war ernster Arbeit durchaus abträglich. Ein Mißverhältnis zwischen<lb/> Wollen und Können haftete ihm zeitlebens an, die Ursache des Mißlingens liegt<lb/> zu tiefst und fast ausschließlich in seinem Charakter begründet. Baggesen war eine<lb/> schwankende, unzuverlässige, unstäte Natur, als einen schwachen, leidenschaftlichen,<lb/> phantastischen Menschen hat er sich selbst bezeichnet. „Ihrem Charakter fehlt noch<lb/> Bestimmtheit und Festigkeit, kurz was man Männlichkeit des Charakters nennt",<lb/> konnte der Herzog ihm schreiben. Die Geschichte der Freundschaft zwischen Timoleon<lb/> und Immanuel ist ein in diesem Briefwechsel geformter Roman, wie ihn das Leben<lb/> gestaltet hat, und das Schlußkapitel bilden jene ergreifenden Briefe aus der Schweiz,<lb/> die Immanuel Baggesen nach dem Tode seiner Frau „am Scheidewege seines<lb/> Lebens" in den Jahren 1797 und 1798 an seinen Timoleon „aus der tiefsten<lb/> Tiefe des Abgrundes" gerichtet hat. Erschütternde Selbstbekenntnisse und Selbst¬<lb/> anklagen, Hilferufe: „Retten Sie mich, retten Sie meine KinderI" hat eine subjektiv<lb/> durchaus wahre Verzweiflung aufs Papier geworfen. Da stehen Entschuldigungen,<lb/> die dringliche Bitte um Unterstützung, dazwischen lesen wir von der nötigen<lb/> Eselmilchkur, vom Keuchhusten des Sohnes, der den Schreiber wohl zwanzigmal</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0502]
Jens Baggesen und Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein
er diesen Namen ja längst auch öffentlich angenommen. Kopenhagen ist „Athen"
wie Dänemark „Griechenland", „Arabien" bedeutet Österreich, „Epirus" Schleswig,
„Mancha" Braunschweig, „Eden" Augustenburg. Die „Kränzgen" sind die geheimen
Gesellschaften, der „Phönix" ist der Illuminatenorden, auf den der Herzog sein
besonderes Absehen richtete. Ergötzlich heißen die Minister „Pagoden", Katharina
die Zweite entweder „die Stierin" oder „die Närrin", auch „Madame Attila" oder
„die nordische Semiramis". „Grandison" ist Bernstorff, „Saladin" der Graf
Schimmelmann, die Gräfin „Luna" oder „Chamäleon".
Wenn uns Baggesens Briefe von jener Reise durch Deutschland auch leider
verloren sind, so erzählen uns die Briefe des Herzogs doch von manchem merk¬
würdigen Ereignis, wie vom Besuch „Peregrins" (Lavaters) in Kopenhagen, und
weisen eine Reihe stolzer Namen auf. Denn Vaggesen hatte Schiller bestich
(„Enceladus"), der ihn mit dem Taschentuch vorm Munde empfing, — er hatte
gerade geschwollene Backen. Der Däne führte von der Reise seine Gattin Sophie
heim, eine Enkelin Albrechts von Haller, er lernt Claudius kennen und Klopstock,
er schätzt in Wieland einen Vater, und engste Freundschaft verbindet ihn seinen:
„Agathon" Karl Leonhard Reinhold, dem Schwiegersohn Wielands. „Ein Stamm¬
buch aus dem Kreise K. L. Reinholds" hat neulich I)r. Karl Hügelmann ver¬
öffentlicht (Wien 1910. Ambr. Opitz' Nachfolger). Es ist ein Studentenalbum, das
Reinholds Hörer Wilhelm Josef Kaiman aus Ungarn an den Universitäten Jena
und Kiel (wohin Reinhold eben durch seine dünischen Beziehungen berufen worden
war) in den Jahren 1792 bis 1795 führte. In diesem Kreise fehlt natürlich weder
Baggesen noch seine Sophie, noch Charlotte Wieland. Baggesen schrieb: „Sich nur
in anderen lieben, durch anderer Glück nur beglückt seyn, nie nach anderen denken,
noch weniger wollen, ist Menschheit."
Des Herzogs und Dänemarks Hoffnungen hat Baggesen nicht erfüllt. Es
war eine schwere EiUtäuschung, der die sprunghaft fortschreitende Entfremdung und
der innerliche Bruch zwischen den Freunden folgte. Der tätige, fürs Vaterland
arbeitende Mann, wie ihn Friedrich Christian sich gedacht hatte, ward Baggesen
nie. Seine wahre und falsche Genialität, die allzusehr emporschoß, seine unersätt¬
liche Eitelkeit war ernster Arbeit durchaus abträglich. Ein Mißverhältnis zwischen
Wollen und Können haftete ihm zeitlebens an, die Ursache des Mißlingens liegt
zu tiefst und fast ausschließlich in seinem Charakter begründet. Baggesen war eine
schwankende, unzuverlässige, unstäte Natur, als einen schwachen, leidenschaftlichen,
phantastischen Menschen hat er sich selbst bezeichnet. „Ihrem Charakter fehlt noch
Bestimmtheit und Festigkeit, kurz was man Männlichkeit des Charakters nennt",
konnte der Herzog ihm schreiben. Die Geschichte der Freundschaft zwischen Timoleon
und Immanuel ist ein in diesem Briefwechsel geformter Roman, wie ihn das Leben
gestaltet hat, und das Schlußkapitel bilden jene ergreifenden Briefe aus der Schweiz,
die Immanuel Baggesen nach dem Tode seiner Frau „am Scheidewege seines
Lebens" in den Jahren 1797 und 1798 an seinen Timoleon „aus der tiefsten
Tiefe des Abgrundes" gerichtet hat. Erschütternde Selbstbekenntnisse und Selbst¬
anklagen, Hilferufe: „Retten Sie mich, retten Sie meine KinderI" hat eine subjektiv
durchaus wahre Verzweiflung aufs Papier geworfen. Da stehen Entschuldigungen,
die dringliche Bitte um Unterstützung, dazwischen lesen wir von der nötigen
Eselmilchkur, vom Keuchhusten des Sohnes, der den Schreiber wohl zwanzigmal
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