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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das Problem des Lebens

Das Problem des Lebens
Prof. Dr. Gelo Liebmann- Von

"Was ist Leben? -- Dies ist das große Rätsel der Sphinx, das
noch immer seines Odipus harrt. Wir sehen den Strom des Lebens
' mit allen seinen Strudeln und Wirbeln durch die unabsehbaren Gene¬
rationsreihen unablässig weiterrollen, wir schwimmen selbst mitten ini
Strome, bemüht, uns so gut als möglich über Wasser zu halten; aber
Wir begreifen ihn nicht und kennen seinen Ursprung nicht." Die
Philosophen und Naturforscher aller Zeiten und aller Richtungen haben
mit heißem Bemühen diese Frage zu lösen versucht, keinem ist eS noch
gelungen. Prof. Otto Liebmann macht in seinem vortrefflichen, soeben
bereits in vierter Auflage bei Trübner in Strnßburg erschienenen Werke
"Zur Annlysis der Wirklichkeit, eine Erörterung der Grundprobleme
der Philosophie" im Anschluß an die eben zitierten Worte auf das höchst
charakteristische Eingeständnis des berühmten Physio- und Biologen
Flourens aufmerksam, der offen zugibt, daß die Wissenschaft von? Leben
nicht weiß, wils Leben ist. -- Im Gegensatz zu den Übertreibungen
mancher Darwinisten erscheint die hier folgende, mit Genehmigung des
Verlegers dem genannten Werke entnommene Abhandlung besonders
sachlich und beachtenswert; eindringlich rührt sie um die tiefsten Probleme
Die Schriftltg. der philosophischen Forschung.

> ngenommen, die Deszendenzlehre, welcher von jedem vorurteilsloser
Denker als einer wahrhaft vernunftgemäßen Hypothese aufrichtigster
Beifall gezollt wird, wäre fertig, für immer abgeschlossen und
vollendet; angenommen, der große Stammbaum der organischen
> Naturwesen von der Wurzel bis zum Wipfel, vom Moner bis zum
Menschen, und überhaupt durch alle gröberen und feineren Verzweigungen hindurch
bis zu dem ungeheuren Gestaltenreichtum der gegenwärtig auf der Oberfläche des
Erdballs lebenden, sowie der im steinernen Archiv der Erdrinde als Fossil begrabenen
Flora und Fauna, -- er läge offen vor uns aufgerollt, und zwar nicht als
Hypothese, sondern als historisch festgestellte Tatsache, sozusagen als echtes Pcilimpsest,
was hätten wir dann? -- Eine Ahnengalerie, wie man sie auf fürstlichen Schlössern
auch vorfindet, nur nicht als Fragment, sondern in abgeschlossener Totalität. Da
könnten wir denn gleich dem Edelmann, welcher nachdenklich in seinen Ahnensälen
auf und ab wandelt und die Bilder seiner Vorfahren bis zu den Kreuzzügen oder
noch weiter zurück prüfend betrachtet, genau überblicken, wie unsere Großväter,
Großmütter, Urgroßmutter usf. ausgesehen haben, und wie sich durch die retrograde
Reihe der Generationen, bei mancherlei seitwärts abspringenden Jndividual-
abweichungen, doch im ganzen und großen eine nach rückwärts immer geringer
werdende Familienähnlichkeit hindurchzieht. Das hätten wirt Wir würden dann
durch unzählige Geschlechter, deren jedes folgende aus dem vorangehenden hervor¬
gewachsen ist, die Entstehungsgeschichte der heute so unendlich mannigfaltigen
Pflanzen- und Tierformen und Typen, (Zenera und Species -- (welche ehedem
bei der Arche Noah abbrach) -- bis zum einfachen und indifferenten Protoplasma-
Mmpchen zurückverfolgen können. (Wer das erste El gelegt hat, dies hätte dann
der Chemiker durch Herstellung eines solchen -- künstliche gemei-alio onZiimria --


Das Problem des Lebens

Das Problem des Lebens
Prof. Dr. Gelo Liebmann- Von

„Was ist Leben? — Dies ist das große Rätsel der Sphinx, das
noch immer seines Odipus harrt. Wir sehen den Strom des Lebens
' mit allen seinen Strudeln und Wirbeln durch die unabsehbaren Gene¬
rationsreihen unablässig weiterrollen, wir schwimmen selbst mitten ini
Strome, bemüht, uns so gut als möglich über Wasser zu halten; aber
Wir begreifen ihn nicht und kennen seinen Ursprung nicht." Die
Philosophen und Naturforscher aller Zeiten und aller Richtungen haben
mit heißem Bemühen diese Frage zu lösen versucht, keinem ist eS noch
gelungen. Prof. Otto Liebmann macht in seinem vortrefflichen, soeben
bereits in vierter Auflage bei Trübner in Strnßburg erschienenen Werke
„Zur Annlysis der Wirklichkeit, eine Erörterung der Grundprobleme
der Philosophie" im Anschluß an die eben zitierten Worte auf das höchst
charakteristische Eingeständnis des berühmten Physio- und Biologen
Flourens aufmerksam, der offen zugibt, daß die Wissenschaft von? Leben
nicht weiß, wils Leben ist. — Im Gegensatz zu den Übertreibungen
mancher Darwinisten erscheint die hier folgende, mit Genehmigung des
Verlegers dem genannten Werke entnommene Abhandlung besonders
sachlich und beachtenswert; eindringlich rührt sie um die tiefsten Probleme
Die Schriftltg. der philosophischen Forschung.

> ngenommen, die Deszendenzlehre, welcher von jedem vorurteilsloser
Denker als einer wahrhaft vernunftgemäßen Hypothese aufrichtigster
Beifall gezollt wird, wäre fertig, für immer abgeschlossen und
vollendet; angenommen, der große Stammbaum der organischen
> Naturwesen von der Wurzel bis zum Wipfel, vom Moner bis zum
Menschen, und überhaupt durch alle gröberen und feineren Verzweigungen hindurch
bis zu dem ungeheuren Gestaltenreichtum der gegenwärtig auf der Oberfläche des
Erdballs lebenden, sowie der im steinernen Archiv der Erdrinde als Fossil begrabenen
Flora und Fauna, — er läge offen vor uns aufgerollt, und zwar nicht als
Hypothese, sondern als historisch festgestellte Tatsache, sozusagen als echtes Pcilimpsest,
was hätten wir dann? — Eine Ahnengalerie, wie man sie auf fürstlichen Schlössern
auch vorfindet, nur nicht als Fragment, sondern in abgeschlossener Totalität. Da
könnten wir denn gleich dem Edelmann, welcher nachdenklich in seinen Ahnensälen
auf und ab wandelt und die Bilder seiner Vorfahren bis zu den Kreuzzügen oder
noch weiter zurück prüfend betrachtet, genau überblicken, wie unsere Großväter,
Großmütter, Urgroßmutter usf. ausgesehen haben, und wie sich durch die retrograde
Reihe der Generationen, bei mancherlei seitwärts abspringenden Jndividual-
abweichungen, doch im ganzen und großen eine nach rückwärts immer geringer
werdende Familienähnlichkeit hindurchzieht. Das hätten wirt Wir würden dann
durch unzählige Geschlechter, deren jedes folgende aus dem vorangehenden hervor¬
gewachsen ist, die Entstehungsgeschichte der heute so unendlich mannigfaltigen
Pflanzen- und Tierformen und Typen, (Zenera und Species — (welche ehedem
bei der Arche Noah abbrach) — bis zum einfachen und indifferenten Protoplasma-
Mmpchen zurückverfolgen können. (Wer das erste El gelegt hat, dies hätte dann
der Chemiker durch Herstellung eines solchen — künstliche gemei-alio onZiimria —


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[0497] Das Problem des Lebens Das Problem des Lebens Prof. Dr. Gelo Liebmann- Von „Was ist Leben? — Dies ist das große Rätsel der Sphinx, das noch immer seines Odipus harrt. Wir sehen den Strom des Lebens ' mit allen seinen Strudeln und Wirbeln durch die unabsehbaren Gene¬ rationsreihen unablässig weiterrollen, wir schwimmen selbst mitten ini Strome, bemüht, uns so gut als möglich über Wasser zu halten; aber Wir begreifen ihn nicht und kennen seinen Ursprung nicht." Die Philosophen und Naturforscher aller Zeiten und aller Richtungen haben mit heißem Bemühen diese Frage zu lösen versucht, keinem ist eS noch gelungen. Prof. Otto Liebmann macht in seinem vortrefflichen, soeben bereits in vierter Auflage bei Trübner in Strnßburg erschienenen Werke „Zur Annlysis der Wirklichkeit, eine Erörterung der Grundprobleme der Philosophie" im Anschluß an die eben zitierten Worte auf das höchst charakteristische Eingeständnis des berühmten Physio- und Biologen Flourens aufmerksam, der offen zugibt, daß die Wissenschaft von? Leben nicht weiß, wils Leben ist. — Im Gegensatz zu den Übertreibungen mancher Darwinisten erscheint die hier folgende, mit Genehmigung des Verlegers dem genannten Werke entnommene Abhandlung besonders sachlich und beachtenswert; eindringlich rührt sie um die tiefsten Probleme Die Schriftltg. der philosophischen Forschung. > ngenommen, die Deszendenzlehre, welcher von jedem vorurteilsloser Denker als einer wahrhaft vernunftgemäßen Hypothese aufrichtigster Beifall gezollt wird, wäre fertig, für immer abgeschlossen und vollendet; angenommen, der große Stammbaum der organischen > Naturwesen von der Wurzel bis zum Wipfel, vom Moner bis zum Menschen, und überhaupt durch alle gröberen und feineren Verzweigungen hindurch bis zu dem ungeheuren Gestaltenreichtum der gegenwärtig auf der Oberfläche des Erdballs lebenden, sowie der im steinernen Archiv der Erdrinde als Fossil begrabenen Flora und Fauna, — er läge offen vor uns aufgerollt, und zwar nicht als Hypothese, sondern als historisch festgestellte Tatsache, sozusagen als echtes Pcilimpsest, was hätten wir dann? — Eine Ahnengalerie, wie man sie auf fürstlichen Schlössern auch vorfindet, nur nicht als Fragment, sondern in abgeschlossener Totalität. Da könnten wir denn gleich dem Edelmann, welcher nachdenklich in seinen Ahnensälen auf und ab wandelt und die Bilder seiner Vorfahren bis zu den Kreuzzügen oder noch weiter zurück prüfend betrachtet, genau überblicken, wie unsere Großväter, Großmütter, Urgroßmutter usf. ausgesehen haben, und wie sich durch die retrograde Reihe der Generationen, bei mancherlei seitwärts abspringenden Jndividual- abweichungen, doch im ganzen und großen eine nach rückwärts immer geringer werdende Familienähnlichkeit hindurchzieht. Das hätten wirt Wir würden dann durch unzählige Geschlechter, deren jedes folgende aus dem vorangehenden hervor¬ gewachsen ist, die Entstehungsgeschichte der heute so unendlich mannigfaltigen Pflanzen- und Tierformen und Typen, (Zenera und Species — (welche ehedem bei der Arche Noah abbrach) — bis zum einfachen und indifferenten Protoplasma- Mmpchen zurückverfolgen können. (Wer das erste El gelegt hat, dies hätte dann der Chemiker durch Herstellung eines solchen — künstliche gemei-alio onZiimria —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/497>, abgerufen am 29.12.2024.