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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der ZVertherzeit

Teil vom Neichsrcit zu leisten. In den Delegationen werden sie voraussichtlich
durchgehen, im Reichsrat wird es sast unüberwindliche Schwierigkeiten haben,
nicht wegen der Forderungen an sich -- mit Ausnahme der Sozialdemokraten
wird es keine Partei geben, die nicht bereit wäre, die Mehrsorderungen gegen
einen bestimmten Preis zu bewilligen --, aber gerade diese Preise sind es, die
kein Ministerium bezahlen kann, weil sie sich scharf widersprechen. Aber
nehmen wir an, durch irgendein Wunder ginge die Sache doch; dann muß das
Geld irgendwie beschafft werden, und das geht schließlich doch nur auf dem
Wege neuer Steuern. Das Bewilligen von Steuern ist an sich eine sehr un¬
populäre Geschichte; was für Errungenschaften müßten die einzelnen Parteien
wohl ihren Wählern nach Hause bringen, um dafür Entlastung zu erhalten?

Der Durchschnittszeitungsleser ist vielleicht geneigt, die Dinge in Österreich
mit den parlamentarischen Zuständen in Frankreich zu vergleichen, wo es ja
auch Zeiten gibt, da die Ministerien alle drei Monate wechseln und der Karren
doch recht und schlecht weiter geht; ich glaube, daß die vorstehenden Ausführungen
gegen diesen Irrtum schützen. Es ist vielmehr ein Prozeß fortschreitender Zer¬
setzung des Parlamentarismus in Österreich, den man mit den verschiedensten
Arzneien zu behandeln sucht, die indes immer geringere und kürzer dauernde
Wirkungen haben. Die Dynastie will jetzt eine Periode aktiverer äußerer Politik
eröffnen, die natürlich entsprechender Machtmittel nicht entbehren kann, da
helfen alle die kleinen Mittelchen nicht mehr. Seiner ganzen Zusammensetzung
nach ist das Parlament zur Mitarbeit dabei nicht fähig. Die äußere Politik des
Habsburgerreichs kann nicht großzügig werden ohne eine großzügige Reorgani¬
sation im Innern. Das ist das große Problem, das in nächster Zeit in
Österreich gelöst -- oder auch nicht gelöst werden wird.




Aus Briefen der Wertherzeit
Hermann Bräuning - Gktavio von (Nachdruck verboten.)
II.

Abseits vom Treiben der Darmstädter Empfindsamen, wie abseits von den
Geniestreichen der Stürmer und Dränger steht der oben schon flüchtig erwähnte
Prinzenerzieher Georg Wilhelm Petersen. Das Wenige, was wir über sein
Leben wissen, hat er für Fr. W. Strieders "Grundlage zu einer Hessischen
Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte" (Bd. 10. Kassel 1795, S. 309) aus¬
gezeichnet: 1744 zu Zweybrücker geboren, kehrte er nach vollendeten Studien
in Gießen und Göttingen 1770 in seine Heimat zurück und wurde mit der


Aus Briefen der ZVertherzeit

Teil vom Neichsrcit zu leisten. In den Delegationen werden sie voraussichtlich
durchgehen, im Reichsrat wird es sast unüberwindliche Schwierigkeiten haben,
nicht wegen der Forderungen an sich — mit Ausnahme der Sozialdemokraten
wird es keine Partei geben, die nicht bereit wäre, die Mehrsorderungen gegen
einen bestimmten Preis zu bewilligen —, aber gerade diese Preise sind es, die
kein Ministerium bezahlen kann, weil sie sich scharf widersprechen. Aber
nehmen wir an, durch irgendein Wunder ginge die Sache doch; dann muß das
Geld irgendwie beschafft werden, und das geht schließlich doch nur auf dem
Wege neuer Steuern. Das Bewilligen von Steuern ist an sich eine sehr un¬
populäre Geschichte; was für Errungenschaften müßten die einzelnen Parteien
wohl ihren Wählern nach Hause bringen, um dafür Entlastung zu erhalten?

Der Durchschnittszeitungsleser ist vielleicht geneigt, die Dinge in Österreich
mit den parlamentarischen Zuständen in Frankreich zu vergleichen, wo es ja
auch Zeiten gibt, da die Ministerien alle drei Monate wechseln und der Karren
doch recht und schlecht weiter geht; ich glaube, daß die vorstehenden Ausführungen
gegen diesen Irrtum schützen. Es ist vielmehr ein Prozeß fortschreitender Zer¬
setzung des Parlamentarismus in Österreich, den man mit den verschiedensten
Arzneien zu behandeln sucht, die indes immer geringere und kürzer dauernde
Wirkungen haben. Die Dynastie will jetzt eine Periode aktiverer äußerer Politik
eröffnen, die natürlich entsprechender Machtmittel nicht entbehren kann, da
helfen alle die kleinen Mittelchen nicht mehr. Seiner ganzen Zusammensetzung
nach ist das Parlament zur Mitarbeit dabei nicht fähig. Die äußere Politik des
Habsburgerreichs kann nicht großzügig werden ohne eine großzügige Reorgani¬
sation im Innern. Das ist das große Problem, das in nächster Zeit in
Österreich gelöst — oder auch nicht gelöst werden wird.




Aus Briefen der Wertherzeit
Hermann Bräuning - Gktavio von (Nachdruck verboten.)
II.

Abseits vom Treiben der Darmstädter Empfindsamen, wie abseits von den
Geniestreichen der Stürmer und Dränger steht der oben schon flüchtig erwähnte
Prinzenerzieher Georg Wilhelm Petersen. Das Wenige, was wir über sein
Leben wissen, hat er für Fr. W. Strieders „Grundlage zu einer Hessischen
Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte" (Bd. 10. Kassel 1795, S. 309) aus¬
gezeichnet: 1744 zu Zweybrücker geboren, kehrte er nach vollendeten Studien
in Gießen und Göttingen 1770 in seine Heimat zurück und wurde mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/477>, abgerufen am 29.12.2024.