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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Systematische Lprachbildung

halten oder neue Wörter nach dem alten Geist der Sprache gebildet werden. Oft
führt derselbe Gedanke zu parallelen Ausdrücken in verschiedenen Sprachen, so,
wenn wir z. B. statt telegraphieren "trabten" sagen, genau wie die Engländer in
ihrer Sprache "vile".

War es früher bei der Abgeschlossenheit der Völker und der dadurch bewirkten
Verschiedenheit der Volkskulturen deshalb besonders schwer, eine fremde Sprache
zu lernen, weil man mit ihr einen ganz anderen Geist in sich aufnehmen mußte,
so fällt diese Schwierigkeit allmählich immer mehr weg, weil die Abgeschlossenheit
der Völker aufgehört hat und die Art ihres Denkens innerhalb einer großen
Kulturgemeinschaft wie der europäisch-amerikanischen immer übereinstimmender
wird. Aber das Denken nimmt zu an Inhalt durch immer neue Begriffe, welche
die Entwickelung mit sich bringt, und wenn dafür jede Sprache für sich immer
neue Ausdrücke schafft, so wird es auch immer schwerer, die ganze Begriffswelt
des Kulturlebens mit den Formen verschiedener Sprachen zu beherrschen.

Aus alledem folgt sowohl die Notwendigkeit wie die Möglichkeit, für den
internationalen Verkehr ein von den nationalen Sprachen verschiedenes Ver¬
ständigungsmittel zu schaffen. Die Beherrschung und Weiterentwickelung der
nationalen Sprachen kann nur und muß den einzelnen Völkern überlassen bleiben.
Neben der Muttersprache eine oder mehrere fremde Sprachen ganz zu beherrschen,
wird immer nur in Ausnahmefällen notwendig oder wünschenswert und immer
nur wenigen möglich sein, dagegen wird es für immer mehr Menschen notwendig
oder nützlich, mit Angehörigen anderer Völker unmittelbar verkehren zu können,
ohne ihre Sprache lernen zu müssen.

Bei der sich steigernden Wertschätzung der eigenen Sprache wird es, ganz
abgesehen von anderen Gründen, nie dahin kommen, daß eine der jetzt am meisten
verbreiteten Sprachen, etwa Englisch, Französisch oder Deutsch, von allen Völkern
als allgemeine Verkehrssprache angenommen wird. Wer den Wunsch danach hat --
namentlich haben ihn viele Deutsche hinsichtlich des Englischen - ist sich nie klar
darüber geworden, wie gefährlich für das eigene Leben des Volkes und wie kultur¬
schädlich seine Erfüllung werden würde.

Um den Internationalismus nicht zu einer Gefahr werden zu lassen, gibt
es deshalb keinen anderen Weg, als ein künstliches Verständigungsmittel ein¬
zuführen, das nie an die Stelle einer nationalen Sprache treten kann.

Der Sprachausschuß des Deutschen Luftschifferverbandes hat deutsche Fach¬
ausdrücke eingeführt; genau ebenso könnte ein internationaler Verband für die
internationale Verständigung Ausdrücke einführen, die keiner nationalen Sprache
in dieser Form angehören, aber von allen leicht verstanden werden können.

Was von der Lustfahrt gilt, das trifft auf alle Gebiete zu, die das inter¬
nationale Leben betreffen. Eine Sprache besteht nun aber nicht nur aus Wörtern,
sondern bedarf bestimmter Regeln darüber, wie die verschiedenen Wörter in Be¬
ziehungen zu einander zu setzen sind, um die Vorstellungen unseres Denkens wieder¬
zugeben. Jede Sprache hat in ihrer Grammatik und in ihrer Syntax eine
bestimmte Logik. Man wird also aus den verschiedenen Sprachen die Elemente
entnehmen, welche genügen, um ein internationales Verständnis zu vermitteln,
was, wie erwähnt, immer leichter wird, weil sich mit der höheren Kulturgemeinschaft
eine gleichmäßigere Art des Denkens entwickelt.


Systematische Lprachbildung

halten oder neue Wörter nach dem alten Geist der Sprache gebildet werden. Oft
führt derselbe Gedanke zu parallelen Ausdrücken in verschiedenen Sprachen, so,
wenn wir z. B. statt telegraphieren „trabten" sagen, genau wie die Engländer in
ihrer Sprache „vile".

War es früher bei der Abgeschlossenheit der Völker und der dadurch bewirkten
Verschiedenheit der Volkskulturen deshalb besonders schwer, eine fremde Sprache
zu lernen, weil man mit ihr einen ganz anderen Geist in sich aufnehmen mußte,
so fällt diese Schwierigkeit allmählich immer mehr weg, weil die Abgeschlossenheit
der Völker aufgehört hat und die Art ihres Denkens innerhalb einer großen
Kulturgemeinschaft wie der europäisch-amerikanischen immer übereinstimmender
wird. Aber das Denken nimmt zu an Inhalt durch immer neue Begriffe, welche
die Entwickelung mit sich bringt, und wenn dafür jede Sprache für sich immer
neue Ausdrücke schafft, so wird es auch immer schwerer, die ganze Begriffswelt
des Kulturlebens mit den Formen verschiedener Sprachen zu beherrschen.

Aus alledem folgt sowohl die Notwendigkeit wie die Möglichkeit, für den
internationalen Verkehr ein von den nationalen Sprachen verschiedenes Ver¬
ständigungsmittel zu schaffen. Die Beherrschung und Weiterentwickelung der
nationalen Sprachen kann nur und muß den einzelnen Völkern überlassen bleiben.
Neben der Muttersprache eine oder mehrere fremde Sprachen ganz zu beherrschen,
wird immer nur in Ausnahmefällen notwendig oder wünschenswert und immer
nur wenigen möglich sein, dagegen wird es für immer mehr Menschen notwendig
oder nützlich, mit Angehörigen anderer Völker unmittelbar verkehren zu können,
ohne ihre Sprache lernen zu müssen.

Bei der sich steigernden Wertschätzung der eigenen Sprache wird es, ganz
abgesehen von anderen Gründen, nie dahin kommen, daß eine der jetzt am meisten
verbreiteten Sprachen, etwa Englisch, Französisch oder Deutsch, von allen Völkern
als allgemeine Verkehrssprache angenommen wird. Wer den Wunsch danach hat —
namentlich haben ihn viele Deutsche hinsichtlich des Englischen - ist sich nie klar
darüber geworden, wie gefährlich für das eigene Leben des Volkes und wie kultur¬
schädlich seine Erfüllung werden würde.

Um den Internationalismus nicht zu einer Gefahr werden zu lassen, gibt
es deshalb keinen anderen Weg, als ein künstliches Verständigungsmittel ein¬
zuführen, das nie an die Stelle einer nationalen Sprache treten kann.

Der Sprachausschuß des Deutschen Luftschifferverbandes hat deutsche Fach¬
ausdrücke eingeführt; genau ebenso könnte ein internationaler Verband für die
internationale Verständigung Ausdrücke einführen, die keiner nationalen Sprache
in dieser Form angehören, aber von allen leicht verstanden werden können.

Was von der Lustfahrt gilt, das trifft auf alle Gebiete zu, die das inter¬
nationale Leben betreffen. Eine Sprache besteht nun aber nicht nur aus Wörtern,
sondern bedarf bestimmter Regeln darüber, wie die verschiedenen Wörter in Be¬
ziehungen zu einander zu setzen sind, um die Vorstellungen unseres Denkens wieder¬
zugeben. Jede Sprache hat in ihrer Grammatik und in ihrer Syntax eine
bestimmte Logik. Man wird also aus den verschiedenen Sprachen die Elemente
entnehmen, welche genügen, um ein internationales Verständnis zu vermitteln,
was, wie erwähnt, immer leichter wird, weil sich mit der höheren Kulturgemeinschaft
eine gleichmäßigere Art des Denkens entwickelt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/46>, abgerufen am 28.12.2024.