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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das Sweckverbcmdsgesetz für Groß-Berlin

die Gewährleistung von ein Drittel der Stimmenzahl auf alle Zeiten an Berlin,
und zwar in Hinsicht auf die in Zukunft zu erwartende mehr als doppelte
Einwohnerzahl der Vororte, auf das lebhafteste bekämpft. Aus allgemeinen
Rücksichten versteifte man sich indes nicht darauf; heute werden für Berlin
fünfzig Stimmen verlangt. Damit würde die Mitwirkung der kleineren Kom¬
munen im großen und ganzen illusorisch sein. Im Verbandsausschuß, der aus
dem Oberbürgermeister von Berlin als Vorsitzenden, den ersten Bürgermeistern
und den Vorsitzenden der Kreisausschüsse der dem Verbände angehörigen Gemeinden
und Kreise, einem von dem Oberbürgermeister der Stadt Berlin zu bezeichnenden
Magistratsmitgliede dieser Stadt und zurzeit acht von der Verbandsversammlung
zu wählenden Personen besteht, hat Berlin somit von achtzehn Mitgliedern nur
vier Vertreter. Auf den ersten Blick erscheint dies bei der augenblicklichen
Bevölkerungsziffer etwas gering, anderseits wird aber auch eine andere Regelung
allseitige Befriedigung schwerlich erwecken, denn jede größere Gemeinde wird
ebenfalls im Ausschusse vertreten sein wollen. Die Stellung des Verbands¬
direktors ist der des Landesdirektors nachgebildet, wie überhaupt die wesentlichsten
Bestimmungen über Organisation des Verbandes der Provinzialordnung für
die östlichen Provinzen entnommen sind. Der Forderung nach einem direkten
Wahlrecht für die Verbandsversammlung konnte nicht Gewähr gegeben werden,
weil in den Landkreisen nach Lage der Kreisordnungsbestimmungen über die
Wahlen zum Kreistage die Voraussetzungen für die direkte Wahl nicht gegeben
sind und weil in Gemeinden mit weniger als drei Vertretern (co. Steglitz)
eine gerechte Verteilung der Vertreter auf die drei Wählerklassen ausgeschlossen
sein würde. Der Abgeordnete Cassel hat bei Stellung dieser Forderung wohl
an die Wahlen zum Londoner Grafschaftsrate gedacht, vergißt aber, daß das
englische Städterecht ganz anders ist als das unserige.

Das Gesetz soll bereits am 1. April d. Is. in Kraft treten.

Man sieht, ein großzügiger Gesetzentwurf, der in der Lage ist, die schon
allzu stark fühlbar gewesenen Lücken unserer kommunalen Gesetzgebung auszu¬
füllen und der hoffentlich nun die Einführung für eine neue Ära im kommu¬
nalen Leben bedeutet. Das kommunale Oberhaupt der Gemeinde Grünewald
hat allein die richtigen Worte für den Entwurf gefunden, daß nämlich zur Durch¬
führung der dem Verbände gestellten Aufgaben in die Selbstverwaltung der
Einzelgemeinden beschränkend eingegriffen werden müsse, erscheine selbstverständ¬
lich, wenn statt Kirchturmpolitik die nach Lage der Verhältnisse und im Interesse
der gedeihlichen Weiterentwickelung Groß-Berlins durchaus erforderliche Weltstadt¬
politik getrieben werden solle. Diese Eingriffe seien um so mehr erträglich, als
sie voir einem Verbände ausgingen, der selbst auf dem Prinzip der Selbst¬
verwaltung errichtet würde.




Das Sweckverbcmdsgesetz für Groß-Berlin

die Gewährleistung von ein Drittel der Stimmenzahl auf alle Zeiten an Berlin,
und zwar in Hinsicht auf die in Zukunft zu erwartende mehr als doppelte
Einwohnerzahl der Vororte, auf das lebhafteste bekämpft. Aus allgemeinen
Rücksichten versteifte man sich indes nicht darauf; heute werden für Berlin
fünfzig Stimmen verlangt. Damit würde die Mitwirkung der kleineren Kom¬
munen im großen und ganzen illusorisch sein. Im Verbandsausschuß, der aus
dem Oberbürgermeister von Berlin als Vorsitzenden, den ersten Bürgermeistern
und den Vorsitzenden der Kreisausschüsse der dem Verbände angehörigen Gemeinden
und Kreise, einem von dem Oberbürgermeister der Stadt Berlin zu bezeichnenden
Magistratsmitgliede dieser Stadt und zurzeit acht von der Verbandsversammlung
zu wählenden Personen besteht, hat Berlin somit von achtzehn Mitgliedern nur
vier Vertreter. Auf den ersten Blick erscheint dies bei der augenblicklichen
Bevölkerungsziffer etwas gering, anderseits wird aber auch eine andere Regelung
allseitige Befriedigung schwerlich erwecken, denn jede größere Gemeinde wird
ebenfalls im Ausschusse vertreten sein wollen. Die Stellung des Verbands¬
direktors ist der des Landesdirektors nachgebildet, wie überhaupt die wesentlichsten
Bestimmungen über Organisation des Verbandes der Provinzialordnung für
die östlichen Provinzen entnommen sind. Der Forderung nach einem direkten
Wahlrecht für die Verbandsversammlung konnte nicht Gewähr gegeben werden,
weil in den Landkreisen nach Lage der Kreisordnungsbestimmungen über die
Wahlen zum Kreistage die Voraussetzungen für die direkte Wahl nicht gegeben
sind und weil in Gemeinden mit weniger als drei Vertretern (co. Steglitz)
eine gerechte Verteilung der Vertreter auf die drei Wählerklassen ausgeschlossen
sein würde. Der Abgeordnete Cassel hat bei Stellung dieser Forderung wohl
an die Wahlen zum Londoner Grafschaftsrate gedacht, vergißt aber, daß das
englische Städterecht ganz anders ist als das unserige.

Das Gesetz soll bereits am 1. April d. Is. in Kraft treten.

Man sieht, ein großzügiger Gesetzentwurf, der in der Lage ist, die schon
allzu stark fühlbar gewesenen Lücken unserer kommunalen Gesetzgebung auszu¬
füllen und der hoffentlich nun die Einführung für eine neue Ära im kommu¬
nalen Leben bedeutet. Das kommunale Oberhaupt der Gemeinde Grünewald
hat allein die richtigen Worte für den Entwurf gefunden, daß nämlich zur Durch¬
führung der dem Verbände gestellten Aufgaben in die Selbstverwaltung der
Einzelgemeinden beschränkend eingegriffen werden müsse, erscheine selbstverständ¬
lich, wenn statt Kirchturmpolitik die nach Lage der Verhältnisse und im Interesse
der gedeihlichen Weiterentwickelung Groß-Berlins durchaus erforderliche Weltstadt¬
politik getrieben werden solle. Diese Eingriffe seien um so mehr erträglich, als
sie voir einem Verbände ausgingen, der selbst auf dem Prinzip der Selbst¬
verwaltung errichtet würde.




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[0441] Das Sweckverbcmdsgesetz für Groß-Berlin die Gewährleistung von ein Drittel der Stimmenzahl auf alle Zeiten an Berlin, und zwar in Hinsicht auf die in Zukunft zu erwartende mehr als doppelte Einwohnerzahl der Vororte, auf das lebhafteste bekämpft. Aus allgemeinen Rücksichten versteifte man sich indes nicht darauf; heute werden für Berlin fünfzig Stimmen verlangt. Damit würde die Mitwirkung der kleineren Kom¬ munen im großen und ganzen illusorisch sein. Im Verbandsausschuß, der aus dem Oberbürgermeister von Berlin als Vorsitzenden, den ersten Bürgermeistern und den Vorsitzenden der Kreisausschüsse der dem Verbände angehörigen Gemeinden und Kreise, einem von dem Oberbürgermeister der Stadt Berlin zu bezeichnenden Magistratsmitgliede dieser Stadt und zurzeit acht von der Verbandsversammlung zu wählenden Personen besteht, hat Berlin somit von achtzehn Mitgliedern nur vier Vertreter. Auf den ersten Blick erscheint dies bei der augenblicklichen Bevölkerungsziffer etwas gering, anderseits wird aber auch eine andere Regelung allseitige Befriedigung schwerlich erwecken, denn jede größere Gemeinde wird ebenfalls im Ausschusse vertreten sein wollen. Die Stellung des Verbands¬ direktors ist der des Landesdirektors nachgebildet, wie überhaupt die wesentlichsten Bestimmungen über Organisation des Verbandes der Provinzialordnung für die östlichen Provinzen entnommen sind. Der Forderung nach einem direkten Wahlrecht für die Verbandsversammlung konnte nicht Gewähr gegeben werden, weil in den Landkreisen nach Lage der Kreisordnungsbestimmungen über die Wahlen zum Kreistage die Voraussetzungen für die direkte Wahl nicht gegeben sind und weil in Gemeinden mit weniger als drei Vertretern (co. Steglitz) eine gerechte Verteilung der Vertreter auf die drei Wählerklassen ausgeschlossen sein würde. Der Abgeordnete Cassel hat bei Stellung dieser Forderung wohl an die Wahlen zum Londoner Grafschaftsrate gedacht, vergißt aber, daß das englische Städterecht ganz anders ist als das unserige. Das Gesetz soll bereits am 1. April d. Is. in Kraft treten. Man sieht, ein großzügiger Gesetzentwurf, der in der Lage ist, die schon allzu stark fühlbar gewesenen Lücken unserer kommunalen Gesetzgebung auszu¬ füllen und der hoffentlich nun die Einführung für eine neue Ära im kommu¬ nalen Leben bedeutet. Das kommunale Oberhaupt der Gemeinde Grünewald hat allein die richtigen Worte für den Entwurf gefunden, daß nämlich zur Durch¬ führung der dem Verbände gestellten Aufgaben in die Selbstverwaltung der Einzelgemeinden beschränkend eingegriffen werden müsse, erscheine selbstverständ¬ lich, wenn statt Kirchturmpolitik die nach Lage der Verhältnisse und im Interesse der gedeihlichen Weiterentwickelung Groß-Berlins durchaus erforderliche Weltstadt¬ politik getrieben werden solle. Diese Eingriffe seien um so mehr erträglich, als sie voir einem Verbände ausgingen, der selbst auf dem Prinzip der Selbst¬ verwaltung errichtet würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/441>, abgerufen am 24.07.2024.