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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das Zweckverbandsgesetz für Groß-Berlin

für den es ebenfalls nur eine platonische Liebe übrig hat. Die Bebauungsplan¬
frage kommt nicht so in Betracht; sie hat bei weitem nicht eine derartige finanzielle
Tragweite. Und diese Aussichten lediglich sind es, die den ablehnenden Stand¬
punkt Berlins verständlich machen -- verständlich insbesondere für den, der die
Finanzlage Berlins kennt, auf die ich indes hier nicht weiter eingehen kann.
Näheres hierüber ist aus meiner Abhandlung in: Februarheft der Preußischen
Jahrbücher zu ersehen.

Ähnliche egoistische und partikularistische Tendenzen sind in der Haltung
der westlichen und östlichen Vorortgemeinden bezw. des Kreises Teltow und des
Kreises Niederbarnim zu erkennen.

Die östlichen Vororte mit ihrer Arbeiterbevölkerung sind mit dem Entwürfe
einverstanden, wenn auch die Schullasten mit in den Bereich der Regelung
gezogen werden. Sie verkennen zwar nicht, daß durch die Ausführung der
dem Verbände überwiesenen Aufgaben auch für sie erhebliche finanzielle Gefahren,
d. h. Mehrbelastungen, zu erwarten sind, aber sie erhoffen von der Einbeziehung
der Regelung der Volksschullasten, dem Schmerzenskinds dieser Gemeinden,
andererseits bedeutende Vorteile. Diesen Standpunkt vertreten naturgemäß auch
.der Kreis Niederbarnim und die Stadt Rixdorf.

Anders verhalten sich die westlichen Vororte in Gemeinschaft mit dem Kreise
Teltow. Mit ihrer relativ besseren Finanzlage befürchten sie von den entstehenden
Kosten allein eine ungünstige Beeinflussung des wirtschaftlichen Gedeihens ihrer Ge¬
meinden. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert der Erhöhung der Kommunal-
steuerzuschlagsquote weit über hundert Prozent hinaus, wenn die Kosten für den
Erwerb von Bahnen und eines Wald- und Wiesengürtels gleichmäßig verteilt
werden. Irgendwelche besonderen Vorteile erhoffen sie vom Zwangsverbande
nicht. Die Regelung dieser Fragen haben sie zwar vorher stets für die
Gesamtheit als notwendig anerkannt; da ihre Verwirklichung die einzelne Gemeinde
nunmehr aber mit Kosten zu belasten droht, was bei einem freiwilligen Zweck¬
verbände natürlich auch der Fall gewesen wäre, so erkennen sie auf der Grund¬
lage des von der.Königlichen Staatsregierung vorgelegten Entwurfes ein Be¬
dürfnis für den Erlaß des Zwangsgesetzes nicht an.

Angesichts dieser Sachlage, die in krasser Deutlichkeit wieder einmal den
Partikularismus, die Kirchturmpolitik unserer Groß-Berliner Gemeinden zeigt,
erscheint es angebracht, in kurzen Zügen noch einmal die schweren Schädigungen,
die der Bevölkerung aus der kommunalen Zersplitterung Groß-Berlins erwachsen
find und die sich mit der Zunahme der Bevölkerung in geometrischer Steigerung
vermehren werden, klarzulegen.

Welche ungeheuren Summen sie würden in die Millionen gehen --
hätten gespart werden können, wenn Groß-Berlin durch ein einheitliches System
kanalisiert worden wäre. Das gleiche ist von der Entwässerung zu sagen.
Für die Bildung rationeller Entwässerungssysteme kann eben niemals die poli¬
tische Grenze, sondern nur die natürliche Wasserscheide maßgeblich sein. Die


Das Zweckverbandsgesetz für Groß-Berlin

für den es ebenfalls nur eine platonische Liebe übrig hat. Die Bebauungsplan¬
frage kommt nicht so in Betracht; sie hat bei weitem nicht eine derartige finanzielle
Tragweite. Und diese Aussichten lediglich sind es, die den ablehnenden Stand¬
punkt Berlins verständlich machen — verständlich insbesondere für den, der die
Finanzlage Berlins kennt, auf die ich indes hier nicht weiter eingehen kann.
Näheres hierüber ist aus meiner Abhandlung in: Februarheft der Preußischen
Jahrbücher zu ersehen.

Ähnliche egoistische und partikularistische Tendenzen sind in der Haltung
der westlichen und östlichen Vorortgemeinden bezw. des Kreises Teltow und des
Kreises Niederbarnim zu erkennen.

Die östlichen Vororte mit ihrer Arbeiterbevölkerung sind mit dem Entwürfe
einverstanden, wenn auch die Schullasten mit in den Bereich der Regelung
gezogen werden. Sie verkennen zwar nicht, daß durch die Ausführung der
dem Verbände überwiesenen Aufgaben auch für sie erhebliche finanzielle Gefahren,
d. h. Mehrbelastungen, zu erwarten sind, aber sie erhoffen von der Einbeziehung
der Regelung der Volksschullasten, dem Schmerzenskinds dieser Gemeinden,
andererseits bedeutende Vorteile. Diesen Standpunkt vertreten naturgemäß auch
.der Kreis Niederbarnim und die Stadt Rixdorf.

Anders verhalten sich die westlichen Vororte in Gemeinschaft mit dem Kreise
Teltow. Mit ihrer relativ besseren Finanzlage befürchten sie von den entstehenden
Kosten allein eine ungünstige Beeinflussung des wirtschaftlichen Gedeihens ihrer Ge¬
meinden. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert der Erhöhung der Kommunal-
steuerzuschlagsquote weit über hundert Prozent hinaus, wenn die Kosten für den
Erwerb von Bahnen und eines Wald- und Wiesengürtels gleichmäßig verteilt
werden. Irgendwelche besonderen Vorteile erhoffen sie vom Zwangsverbande
nicht. Die Regelung dieser Fragen haben sie zwar vorher stets für die
Gesamtheit als notwendig anerkannt; da ihre Verwirklichung die einzelne Gemeinde
nunmehr aber mit Kosten zu belasten droht, was bei einem freiwilligen Zweck¬
verbände natürlich auch der Fall gewesen wäre, so erkennen sie auf der Grund¬
lage des von der.Königlichen Staatsregierung vorgelegten Entwurfes ein Be¬
dürfnis für den Erlaß des Zwangsgesetzes nicht an.

Angesichts dieser Sachlage, die in krasser Deutlichkeit wieder einmal den
Partikularismus, die Kirchturmpolitik unserer Groß-Berliner Gemeinden zeigt,
erscheint es angebracht, in kurzen Zügen noch einmal die schweren Schädigungen,
die der Bevölkerung aus der kommunalen Zersplitterung Groß-Berlins erwachsen
find und die sich mit der Zunahme der Bevölkerung in geometrischer Steigerung
vermehren werden, klarzulegen.

Welche ungeheuren Summen sie würden in die Millionen gehen —
hätten gespart werden können, wenn Groß-Berlin durch ein einheitliches System
kanalisiert worden wäre. Das gleiche ist von der Entwässerung zu sagen.
Für die Bildung rationeller Entwässerungssysteme kann eben niemals die poli¬
tische Grenze, sondern nur die natürliche Wasserscheide maßgeblich sein. Die


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[0433] Das Zweckverbandsgesetz für Groß-Berlin für den es ebenfalls nur eine platonische Liebe übrig hat. Die Bebauungsplan¬ frage kommt nicht so in Betracht; sie hat bei weitem nicht eine derartige finanzielle Tragweite. Und diese Aussichten lediglich sind es, die den ablehnenden Stand¬ punkt Berlins verständlich machen — verständlich insbesondere für den, der die Finanzlage Berlins kennt, auf die ich indes hier nicht weiter eingehen kann. Näheres hierüber ist aus meiner Abhandlung in: Februarheft der Preußischen Jahrbücher zu ersehen. Ähnliche egoistische und partikularistische Tendenzen sind in der Haltung der westlichen und östlichen Vorortgemeinden bezw. des Kreises Teltow und des Kreises Niederbarnim zu erkennen. Die östlichen Vororte mit ihrer Arbeiterbevölkerung sind mit dem Entwürfe einverstanden, wenn auch die Schullasten mit in den Bereich der Regelung gezogen werden. Sie verkennen zwar nicht, daß durch die Ausführung der dem Verbände überwiesenen Aufgaben auch für sie erhebliche finanzielle Gefahren, d. h. Mehrbelastungen, zu erwarten sind, aber sie erhoffen von der Einbeziehung der Regelung der Volksschullasten, dem Schmerzenskinds dieser Gemeinden, andererseits bedeutende Vorteile. Diesen Standpunkt vertreten naturgemäß auch .der Kreis Niederbarnim und die Stadt Rixdorf. Anders verhalten sich die westlichen Vororte in Gemeinschaft mit dem Kreise Teltow. Mit ihrer relativ besseren Finanzlage befürchten sie von den entstehenden Kosten allein eine ungünstige Beeinflussung des wirtschaftlichen Gedeihens ihrer Ge¬ meinden. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert der Erhöhung der Kommunal- steuerzuschlagsquote weit über hundert Prozent hinaus, wenn die Kosten für den Erwerb von Bahnen und eines Wald- und Wiesengürtels gleichmäßig verteilt werden. Irgendwelche besonderen Vorteile erhoffen sie vom Zwangsverbande nicht. Die Regelung dieser Fragen haben sie zwar vorher stets für die Gesamtheit als notwendig anerkannt; da ihre Verwirklichung die einzelne Gemeinde nunmehr aber mit Kosten zu belasten droht, was bei einem freiwilligen Zweck¬ verbände natürlich auch der Fall gewesen wäre, so erkennen sie auf der Grund¬ lage des von der.Königlichen Staatsregierung vorgelegten Entwurfes ein Be¬ dürfnis für den Erlaß des Zwangsgesetzes nicht an. Angesichts dieser Sachlage, die in krasser Deutlichkeit wieder einmal den Partikularismus, die Kirchturmpolitik unserer Groß-Berliner Gemeinden zeigt, erscheint es angebracht, in kurzen Zügen noch einmal die schweren Schädigungen, die der Bevölkerung aus der kommunalen Zersplitterung Groß-Berlins erwachsen find und die sich mit der Zunahme der Bevölkerung in geometrischer Steigerung vermehren werden, klarzulegen. Welche ungeheuren Summen sie würden in die Millionen gehen — hätten gespart werden können, wenn Groß-Berlin durch ein einheitliches System kanalisiert worden wäre. Das gleiche ist von der Entwässerung zu sagen. Für die Bildung rationeller Entwässerungssysteme kann eben niemals die poli¬ tische Grenze, sondern nur die natürliche Wasserscheide maßgeblich sein. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/433>, abgerufen am 24.07.2024.