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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Wertherzeit

von Hessen auf seiner Reise nach Lenden und Paris und ewig unterwegs; in Goethes
"Pater Brey" tritt uns das blasse Männchen mit seiner Sucht zu veredeln,
zu bessern entgegen. Er hat sich in Mercks Ehe gedrängt und hat den Bruch
zwischen Merck und Herder heraufbeschworen; er hat zwischen Goethe, Merck
und Caroline Flachsland intrigiert.

Durch Leuchsenring hatte auch Sophie v. La Roche, die Verfasserin der
"Geschichte des Fräuleins v. Sternheim" (1771) von Merck gehört, aus seinen
Briefen an Leuchsenring hatte sie ihn schätzen und lieben gelernt. Am 18. Juli
1771 schreibt sie in einem ungedruckten Briefe an Wieland: re?u uns
Isttrs as NsreK et cZe !a petits I^IaLtisIanä, amio c!e ttercier, ami me
communique touteg les pvesies an Zsrnlör et Is8 Iormr>M8 qu'it aultre
an ton IVielanLnolique as ma Zternlieim", und am 27. Juli 1771: "Merck
aus Darmstadt schreibt mir, daß es ihn freut, daß meine Heldin noch recht
unglücklich wird, daß er es erwartete und wünschte nur zu sehen, wie ich sie
herausführen und sie darin handeln lassen würde." (Nach den Originalen im
Besitz der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden.) Im April 1772
treffen wir auch Sophie v. La Roche mit ihrer Tochter Maximiliane in Darm¬
stadt, in Mercks Hause und am Hofe der Landgräfin.

Der Kreis der Empfindsamen war schon lange aufgelöst, Urania tot,
Caroline Herdern nach Bückeburg gefolgt, die Landgräfin tot, Lila mit dem
preußischen General v. Stockhausen verheiratet, Leuchsenring lebte in Paris,
sein Bruder, der Leibmedikus, in Karlsruhe, als Johann Kaspar Lavater, der
Züricher Prediger und Schwärmer, der Begründer der Physiognomik, zum ersten¬
mal in Darmstadt eintraf. Mit Goethe stand er schon vor der persönlichen
Bekanntschaft (Juni 1774) in lebhaftem Briefwechsel, und Merck wie Goethe
haben Lavaters Hauptwerk über die Physiognomik durch zahlreiche eigene Bei¬
träge gefördert.

Der Herbst desselben Jahres brachte den Besuch Klopstocks, der sich auf
seiner Reise nach Mannheim an Mercks blauen, großen Trauben gütlich tat.
(Vgl. Mercks prächtiges Urteil über ihn in K. Wagner, "Briefe aus dem Freundes¬
kreise", Leipzig 1847, S. 118.)

Mochten auch die folgenden Jahre manchen Gast, so Klinger, Claudius,
Lenz, den hannöverschen Leibarzt Joh. Georg Zimmermann, den Kraftapostel der
Geniezeit Kaufmann -- das unten in Petersens Brief vom 12. Januar 1778
erwähnte "Allerley aus Reden und Handschriften großer und kleiner Männer"
(2 Teile, 1776/77) enthält Aussprüche und Auszüge aus Briefen Kaufmanns,
Lavaters u. a. und ist wahrscheinlich von seinem Jünger Ehrmann (vgl. Bote
für Tirol, 1895, 13./16. April) herausgegeben worden -- die beiden Stolberge,
Maler Müller u. a. nach Darmstadt und in das Mercksche Haus führen, die
Tage der Darmstädter waren lange vorüber, als der "Werther" seinen Siegeszug
durch Deutschland, die Welt nahm. Merck, der ernster, verschlossener geworden,
erkannte den Wechsel, sah, wie ein mißgünstiges Geschick an Weimars Fürstenhof


Aus Briefen der Wertherzeit

von Hessen auf seiner Reise nach Lenden und Paris und ewig unterwegs; in Goethes
„Pater Brey" tritt uns das blasse Männchen mit seiner Sucht zu veredeln,
zu bessern entgegen. Er hat sich in Mercks Ehe gedrängt und hat den Bruch
zwischen Merck und Herder heraufbeschworen; er hat zwischen Goethe, Merck
und Caroline Flachsland intrigiert.

Durch Leuchsenring hatte auch Sophie v. La Roche, die Verfasserin der
„Geschichte des Fräuleins v. Sternheim" (1771) von Merck gehört, aus seinen
Briefen an Leuchsenring hatte sie ihn schätzen und lieben gelernt. Am 18. Juli
1771 schreibt sie in einem ungedruckten Briefe an Wieland: re?u uns
Isttrs as NsreK et cZe !a petits I^IaLtisIanä, amio c!e ttercier, ami me
communique touteg les pvesies an Zsrnlör et Is8 Iormr>M8 qu'it aultre
an ton IVielanLnolique as ma Zternlieim", und am 27. Juli 1771: „Merck
aus Darmstadt schreibt mir, daß es ihn freut, daß meine Heldin noch recht
unglücklich wird, daß er es erwartete und wünschte nur zu sehen, wie ich sie
herausführen und sie darin handeln lassen würde." (Nach den Originalen im
Besitz der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden.) Im April 1772
treffen wir auch Sophie v. La Roche mit ihrer Tochter Maximiliane in Darm¬
stadt, in Mercks Hause und am Hofe der Landgräfin.

Der Kreis der Empfindsamen war schon lange aufgelöst, Urania tot,
Caroline Herdern nach Bückeburg gefolgt, die Landgräfin tot, Lila mit dem
preußischen General v. Stockhausen verheiratet, Leuchsenring lebte in Paris,
sein Bruder, der Leibmedikus, in Karlsruhe, als Johann Kaspar Lavater, der
Züricher Prediger und Schwärmer, der Begründer der Physiognomik, zum ersten¬
mal in Darmstadt eintraf. Mit Goethe stand er schon vor der persönlichen
Bekanntschaft (Juni 1774) in lebhaftem Briefwechsel, und Merck wie Goethe
haben Lavaters Hauptwerk über die Physiognomik durch zahlreiche eigene Bei¬
träge gefördert.

Der Herbst desselben Jahres brachte den Besuch Klopstocks, der sich auf
seiner Reise nach Mannheim an Mercks blauen, großen Trauben gütlich tat.
(Vgl. Mercks prächtiges Urteil über ihn in K. Wagner, „Briefe aus dem Freundes¬
kreise", Leipzig 1847, S. 118.)

Mochten auch die folgenden Jahre manchen Gast, so Klinger, Claudius,
Lenz, den hannöverschen Leibarzt Joh. Georg Zimmermann, den Kraftapostel der
Geniezeit Kaufmann — das unten in Petersens Brief vom 12. Januar 1778
erwähnte „Allerley aus Reden und Handschriften großer und kleiner Männer"
(2 Teile, 1776/77) enthält Aussprüche und Auszüge aus Briefen Kaufmanns,
Lavaters u. a. und ist wahrscheinlich von seinem Jünger Ehrmann (vgl. Bote
für Tirol, 1895, 13./16. April) herausgegeben worden — die beiden Stolberge,
Maler Müller u. a. nach Darmstadt und in das Mercksche Haus führen, die
Tage der Darmstädter waren lange vorüber, als der „Werther" seinen Siegeszug
durch Deutschland, die Welt nahm. Merck, der ernster, verschlossener geworden,
erkannte den Wechsel, sah, wie ein mißgünstiges Geschick an Weimars Fürstenhof


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[0430] Aus Briefen der Wertherzeit von Hessen auf seiner Reise nach Lenden und Paris und ewig unterwegs; in Goethes „Pater Brey" tritt uns das blasse Männchen mit seiner Sucht zu veredeln, zu bessern entgegen. Er hat sich in Mercks Ehe gedrängt und hat den Bruch zwischen Merck und Herder heraufbeschworen; er hat zwischen Goethe, Merck und Caroline Flachsland intrigiert. Durch Leuchsenring hatte auch Sophie v. La Roche, die Verfasserin der „Geschichte des Fräuleins v. Sternheim" (1771) von Merck gehört, aus seinen Briefen an Leuchsenring hatte sie ihn schätzen und lieben gelernt. Am 18. Juli 1771 schreibt sie in einem ungedruckten Briefe an Wieland: re?u uns Isttrs as NsreK et cZe !a petits I^IaLtisIanä, amio c!e ttercier, ami me communique touteg les pvesies an Zsrnlör et Is8 Iormr>M8 qu'it aultre an ton IVielanLnolique as ma Zternlieim", und am 27. Juli 1771: „Merck aus Darmstadt schreibt mir, daß es ihn freut, daß meine Heldin noch recht unglücklich wird, daß er es erwartete und wünschte nur zu sehen, wie ich sie herausführen und sie darin handeln lassen würde." (Nach den Originalen im Besitz der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden.) Im April 1772 treffen wir auch Sophie v. La Roche mit ihrer Tochter Maximiliane in Darm¬ stadt, in Mercks Hause und am Hofe der Landgräfin. Der Kreis der Empfindsamen war schon lange aufgelöst, Urania tot, Caroline Herdern nach Bückeburg gefolgt, die Landgräfin tot, Lila mit dem preußischen General v. Stockhausen verheiratet, Leuchsenring lebte in Paris, sein Bruder, der Leibmedikus, in Karlsruhe, als Johann Kaspar Lavater, der Züricher Prediger und Schwärmer, der Begründer der Physiognomik, zum ersten¬ mal in Darmstadt eintraf. Mit Goethe stand er schon vor der persönlichen Bekanntschaft (Juni 1774) in lebhaftem Briefwechsel, und Merck wie Goethe haben Lavaters Hauptwerk über die Physiognomik durch zahlreiche eigene Bei¬ träge gefördert. Der Herbst desselben Jahres brachte den Besuch Klopstocks, der sich auf seiner Reise nach Mannheim an Mercks blauen, großen Trauben gütlich tat. (Vgl. Mercks prächtiges Urteil über ihn in K. Wagner, „Briefe aus dem Freundes¬ kreise", Leipzig 1847, S. 118.) Mochten auch die folgenden Jahre manchen Gast, so Klinger, Claudius, Lenz, den hannöverschen Leibarzt Joh. Georg Zimmermann, den Kraftapostel der Geniezeit Kaufmann — das unten in Petersens Brief vom 12. Januar 1778 erwähnte „Allerley aus Reden und Handschriften großer und kleiner Männer" (2 Teile, 1776/77) enthält Aussprüche und Auszüge aus Briefen Kaufmanns, Lavaters u. a. und ist wahrscheinlich von seinem Jünger Ehrmann (vgl. Bote für Tirol, 1895, 13./16. April) herausgegeben worden — die beiden Stolberge, Maler Müller u. a. nach Darmstadt und in das Mercksche Haus führen, die Tage der Darmstädter waren lange vorüber, als der „Werther" seinen Siegeszug durch Deutschland, die Welt nahm. Merck, der ernster, verschlossener geworden, erkannte den Wechsel, sah, wie ein mißgünstiges Geschick an Weimars Fürstenhof

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/430>, abgerufen am 29.12.2024.