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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

"Der Konservative", schreibt Grabowsky u. a., "scheut bei uns in philiströser
Engherzigkeit vor neuen geistigen Regungen zurück und sucht sein Heil lieber in
Traktätchen und Fmnilienblattpoesie. So wird Konservatismus bei uns identisch
mit Krähwinkelei, . . . noch nie war der offizielle Konservatismus in Deutschland
so weit von dem Anschluß an die Gebildeten entfernt wie heute. Der Gebildete
sehnt sich danach, sich konservativ nennen zu dürfen, aber das Wort bleibt ihm
im Munde stecken, wenn er sich die konservative Partei ansieht. So läuft er
zu den Liberalen, die, so kläglich verworren auch ihre Ansichten sind, . . . doch
immer Wert darauf legen, den Zusammenhang mit allem Ringenden in Kunst
und Wissenschaft zu bewahren." Da liegt's! und wo die Konservativen am
meisten gesündigt haben, das ist auf allen den Gebieten, wo wissenschaftliche Forschung
und Gottesglauben miteinander in Berührung kommen, auf dein Gebiete der
Philosophie, und seit Haeckel sich der Darwinschen Theorie bemächtigte, auch auf
dem der Naturwissenschaften. Während die Demokraten alle Ergebnisse der
Wissenschaft Jahrzehnte hindurch für ihre besonderen Parteizwecke popularisierten,
habe die konservative Presse über alle wichtigen Fragen den Mantel gebreitet, damit
ja keine Infektion vorkäme. Die Unterstützung der Tätigkeit des Kepplerbundes
hat besonders anfangs auf die Gebildeten weniger überzeugend als abstoßend
gewirkt. Die notwendige Folge solcher Politik ist der geradezu trostlose Zustand
der konservativen Presse. Wenn wir vom politischen Teil der Tageszeitungen
absehen, bleibt z. B. von der Kreuzzeitung gar nichts und von der für
ihren Leserkreis geschickt hergerichteten Deutschen Tageszeitung nur sehr wenig
übrig. Man halte dagegen das Berliner Tageblatt und gar die Frankfurter
Zeitung. Welch eine Fülle von Leben und Problemen strömt da dem Leser
aus dem nicht politischen Teil entgegen! ----Grabowsky hofft, allein
die Erkenntnis ihrer Fehler würde die konservativen Elemente veranlassen
können, sich noch vor den Wählen nach erneuerten Grundsätzen zusammen¬
zufinden. Dieser Optimismus scheint uns zu weit zu gehen. Noch steht
die Zollerhöhung auf Fleisch und Futtermittel im Vordergrunde, noch glaubt
Herr v. Heydebrand an den Sieg der Agrarier -- im übrigen: aprö3 nous
le ciüluZs! Grabowskys Vorschläge dürften wohl nur als das Ergebnis einer
Revolution von oben oder unten zur Verwirklichung kommen, nicht aber als
das kühler Erwägungen. Immerhin ist das, was Grabowsky will, so beachtens¬
wert, daß wir darauf in einer der nächsten Nummern noch einmal ausführlich
zurückkommen wollen.

Neben den beiden behandelten Fragen drängte sich das Interesse an den
Vorgängen im Landwirtschaftsrat während der abgelaufenen Woche in
den Vordergrund. Von den Ausführungen Serings wegen seines Streits mit
Ludwig Bernhard wollen wir später im Zusammenhange berichten, wenn die
wirklichen Ursachen der unerquicklichen, das Ansehen der ersten deutschen Uni¬
versität aufs schwerste schädigenden Angelegenheit feststehen. Für die Politik
bedeutsam war die Rede, die der Herr Reichskanzler beim Festmahl des


Reichsspiegel

„Der Konservative", schreibt Grabowsky u. a., „scheut bei uns in philiströser
Engherzigkeit vor neuen geistigen Regungen zurück und sucht sein Heil lieber in
Traktätchen und Fmnilienblattpoesie. So wird Konservatismus bei uns identisch
mit Krähwinkelei, . . . noch nie war der offizielle Konservatismus in Deutschland
so weit von dem Anschluß an die Gebildeten entfernt wie heute. Der Gebildete
sehnt sich danach, sich konservativ nennen zu dürfen, aber das Wort bleibt ihm
im Munde stecken, wenn er sich die konservative Partei ansieht. So läuft er
zu den Liberalen, die, so kläglich verworren auch ihre Ansichten sind, . . . doch
immer Wert darauf legen, den Zusammenhang mit allem Ringenden in Kunst
und Wissenschaft zu bewahren." Da liegt's! und wo die Konservativen am
meisten gesündigt haben, das ist auf allen den Gebieten, wo wissenschaftliche Forschung
und Gottesglauben miteinander in Berührung kommen, auf dein Gebiete der
Philosophie, und seit Haeckel sich der Darwinschen Theorie bemächtigte, auch auf
dem der Naturwissenschaften. Während die Demokraten alle Ergebnisse der
Wissenschaft Jahrzehnte hindurch für ihre besonderen Parteizwecke popularisierten,
habe die konservative Presse über alle wichtigen Fragen den Mantel gebreitet, damit
ja keine Infektion vorkäme. Die Unterstützung der Tätigkeit des Kepplerbundes
hat besonders anfangs auf die Gebildeten weniger überzeugend als abstoßend
gewirkt. Die notwendige Folge solcher Politik ist der geradezu trostlose Zustand
der konservativen Presse. Wenn wir vom politischen Teil der Tageszeitungen
absehen, bleibt z. B. von der Kreuzzeitung gar nichts und von der für
ihren Leserkreis geschickt hergerichteten Deutschen Tageszeitung nur sehr wenig
übrig. Man halte dagegen das Berliner Tageblatt und gar die Frankfurter
Zeitung. Welch eine Fülle von Leben und Problemen strömt da dem Leser
aus dem nicht politischen Teil entgegen! —--Grabowsky hofft, allein
die Erkenntnis ihrer Fehler würde die konservativen Elemente veranlassen
können, sich noch vor den Wählen nach erneuerten Grundsätzen zusammen¬
zufinden. Dieser Optimismus scheint uns zu weit zu gehen. Noch steht
die Zollerhöhung auf Fleisch und Futtermittel im Vordergrunde, noch glaubt
Herr v. Heydebrand an den Sieg der Agrarier — im übrigen: aprö3 nous
le ciüluZs! Grabowskys Vorschläge dürften wohl nur als das Ergebnis einer
Revolution von oben oder unten zur Verwirklichung kommen, nicht aber als
das kühler Erwägungen. Immerhin ist das, was Grabowsky will, so beachtens¬
wert, daß wir darauf in einer der nächsten Nummern noch einmal ausführlich
zurückkommen wollen.

Neben den beiden behandelten Fragen drängte sich das Interesse an den
Vorgängen im Landwirtschaftsrat während der abgelaufenen Woche in
den Vordergrund. Von den Ausführungen Serings wegen seines Streits mit
Ludwig Bernhard wollen wir später im Zusammenhange berichten, wenn die
wirklichen Ursachen der unerquicklichen, das Ansehen der ersten deutschen Uni¬
versität aufs schwerste schädigenden Angelegenheit feststehen. Für die Politik
bedeutsam war die Rede, die der Herr Reichskanzler beim Festmahl des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/412>, abgerufen am 24.07.2024.