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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

vorgeschrieben ist, zu welchen Ergebnissen sie kommen darf und zu welchen nicht;
und ein Forscher, der innerlich gebunden ist an die Entscheidungen eines "unfehl¬
baren" Lehramts, ist jedenfalls nicht "voraussetzungslos", denn er muß an der
Voraussetzung festhalten, daß seine Forschung ihn nie zu Resultaten führen
dürfe und könne, die von jenem verworfen sind.

Man hat nun von kirchlicher Seite bestritten, daß hierin eine Beschränkung
der wahren Freiheit der Wissenschaft liege, indem man darauf hinwies, daß
jede Wissenschaft gewisse Voraussetzungen mache und insofern nicht "voraus¬
setzungslos" sei. Das ist ganz richtig, nur besteht der Unterschied, daß die
Voraussetzungen, von denen die wirklich freie wissenschaftliche Forschung aus¬
geht, jederzeit von dein Denken selbst im Hinblick auf das jeweilige Unter¬
suchungsgebiet festgestellt und nur insoweit als gültig angesehen werden, als sie
sich in dem betreffenden Forschungsbereich bewähren und als fruchtbar zur
Gewinnung neuer Erkenntnis erweisen, und nicht als Erkenntnisse gewonnen
werden, die dazu nötigen, diese oder jene Voraussetzung aufzugeben oder um¬
zugestalten. Keiner Wissenschaft aber, die diesen Namen verdient und die mit
Recht als freie bezeichnet werden darf, werden Voraussetzungen von einer außerhalb
ihrer Sphäre stehenden Instanz vorgeschrieben. Es ist also gänzlich unzulässig,
die Voraussetzungen des "katholischen" Forschers mit denen, die jeder wissen¬
schaftliche Forscher machen muß, auf eine Stufe zu stellen.

Noch kläglicher aber ist es, wenn man der Forderung der Forschungs¬
freiheit entgegenhält, daß doch alles Denken und Forschen mindestens an die
logischen Gesetze gebunden und insofern nicht frei seien. "Gewiß wird kein Ver¬
ständiger" -- so habe ich schon in meiner Einführung in die Erkenntnistheorie
(Leipzig 1909, S. 161) erklärt -- "für das Denken absolute Freiheit fordern
in demi Sinne, daß es ein ganz willkürliches und planloses Gebaren sein dürfe.
Es muß, wenn es zur Erkenntnis führen soll, sowohl nach den allgemeinen
logischen Normen als auch nach der Beschaffenheit seiner jeweiligen Gegenstände
und Erkenntnisziele und nach den dadurch gebotenen Methoden sich richten."
Gleichwohl schreibt der katholische Philosoph Prof. Geyser in Münster im Hinblick
auf das Schlußkapitel meines Buches, in dem ich das Verhältnis von Glauben
und Wissen behandle: "Das Schlagwort der .Intellektuellen' und der .kritisch
Veranlagten' lautet: Das höchste Gut der Wissenschaft ist die absolute Freiheit
der Forschung. Diesen Satz erkennt die katholische Kirche nicht an. . . . Das
höchste Gut der Forschung kann kein anderes sein als das, worin sie ihr Endziel
findet. Die Freiheit der Forschung aber ist überhaupt kein Ziel derselben; denn
wir forschen doch nicht, um unsere Freiheit zu üben, sondern um zu erkennen. . . .
Also ist das höchste Gut und der letzte Richtpunkt aller wissenschaftlichen Forschung
die Wahrheit." Es ist in der Tat eine wohlfeile Art der Polemik, wenn man
dem Gegner das entgegcnhcilt, was er niemals bestritten hat, und über das
völlig schweigt, was eigentlich zur Diskussion steht. Das aber ist, daß das
kirchliche Lehramt kraft übernatürlicher Erleuchtung durch den heil. Geist Ent-


Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

vorgeschrieben ist, zu welchen Ergebnissen sie kommen darf und zu welchen nicht;
und ein Forscher, der innerlich gebunden ist an die Entscheidungen eines „unfehl¬
baren" Lehramts, ist jedenfalls nicht „voraussetzungslos", denn er muß an der
Voraussetzung festhalten, daß seine Forschung ihn nie zu Resultaten führen
dürfe und könne, die von jenem verworfen sind.

Man hat nun von kirchlicher Seite bestritten, daß hierin eine Beschränkung
der wahren Freiheit der Wissenschaft liege, indem man darauf hinwies, daß
jede Wissenschaft gewisse Voraussetzungen mache und insofern nicht „voraus¬
setzungslos" sei. Das ist ganz richtig, nur besteht der Unterschied, daß die
Voraussetzungen, von denen die wirklich freie wissenschaftliche Forschung aus¬
geht, jederzeit von dein Denken selbst im Hinblick auf das jeweilige Unter¬
suchungsgebiet festgestellt und nur insoweit als gültig angesehen werden, als sie
sich in dem betreffenden Forschungsbereich bewähren und als fruchtbar zur
Gewinnung neuer Erkenntnis erweisen, und nicht als Erkenntnisse gewonnen
werden, die dazu nötigen, diese oder jene Voraussetzung aufzugeben oder um¬
zugestalten. Keiner Wissenschaft aber, die diesen Namen verdient und die mit
Recht als freie bezeichnet werden darf, werden Voraussetzungen von einer außerhalb
ihrer Sphäre stehenden Instanz vorgeschrieben. Es ist also gänzlich unzulässig,
die Voraussetzungen des „katholischen" Forschers mit denen, die jeder wissen¬
schaftliche Forscher machen muß, auf eine Stufe zu stellen.

Noch kläglicher aber ist es, wenn man der Forderung der Forschungs¬
freiheit entgegenhält, daß doch alles Denken und Forschen mindestens an die
logischen Gesetze gebunden und insofern nicht frei seien. „Gewiß wird kein Ver¬
ständiger" — so habe ich schon in meiner Einführung in die Erkenntnistheorie
(Leipzig 1909, S. 161) erklärt — „für das Denken absolute Freiheit fordern
in demi Sinne, daß es ein ganz willkürliches und planloses Gebaren sein dürfe.
Es muß, wenn es zur Erkenntnis führen soll, sowohl nach den allgemeinen
logischen Normen als auch nach der Beschaffenheit seiner jeweiligen Gegenstände
und Erkenntnisziele und nach den dadurch gebotenen Methoden sich richten."
Gleichwohl schreibt der katholische Philosoph Prof. Geyser in Münster im Hinblick
auf das Schlußkapitel meines Buches, in dem ich das Verhältnis von Glauben
und Wissen behandle: „Das Schlagwort der .Intellektuellen' und der .kritisch
Veranlagten' lautet: Das höchste Gut der Wissenschaft ist die absolute Freiheit
der Forschung. Diesen Satz erkennt die katholische Kirche nicht an. . . . Das
höchste Gut der Forschung kann kein anderes sein als das, worin sie ihr Endziel
findet. Die Freiheit der Forschung aber ist überhaupt kein Ziel derselben; denn
wir forschen doch nicht, um unsere Freiheit zu üben, sondern um zu erkennen. . . .
Also ist das höchste Gut und der letzte Richtpunkt aller wissenschaftlichen Forschung
die Wahrheit." Es ist in der Tat eine wohlfeile Art der Polemik, wenn man
dem Gegner das entgegcnhcilt, was er niemals bestritten hat, und über das
völlig schweigt, was eigentlich zur Diskussion steht. Das aber ist, daß das
kirchliche Lehramt kraft übernatürlicher Erleuchtung durch den heil. Geist Ent-


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[0378] Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens vorgeschrieben ist, zu welchen Ergebnissen sie kommen darf und zu welchen nicht; und ein Forscher, der innerlich gebunden ist an die Entscheidungen eines „unfehl¬ baren" Lehramts, ist jedenfalls nicht „voraussetzungslos", denn er muß an der Voraussetzung festhalten, daß seine Forschung ihn nie zu Resultaten führen dürfe und könne, die von jenem verworfen sind. Man hat nun von kirchlicher Seite bestritten, daß hierin eine Beschränkung der wahren Freiheit der Wissenschaft liege, indem man darauf hinwies, daß jede Wissenschaft gewisse Voraussetzungen mache und insofern nicht „voraus¬ setzungslos" sei. Das ist ganz richtig, nur besteht der Unterschied, daß die Voraussetzungen, von denen die wirklich freie wissenschaftliche Forschung aus¬ geht, jederzeit von dein Denken selbst im Hinblick auf das jeweilige Unter¬ suchungsgebiet festgestellt und nur insoweit als gültig angesehen werden, als sie sich in dem betreffenden Forschungsbereich bewähren und als fruchtbar zur Gewinnung neuer Erkenntnis erweisen, und nicht als Erkenntnisse gewonnen werden, die dazu nötigen, diese oder jene Voraussetzung aufzugeben oder um¬ zugestalten. Keiner Wissenschaft aber, die diesen Namen verdient und die mit Recht als freie bezeichnet werden darf, werden Voraussetzungen von einer außerhalb ihrer Sphäre stehenden Instanz vorgeschrieben. Es ist also gänzlich unzulässig, die Voraussetzungen des „katholischen" Forschers mit denen, die jeder wissen¬ schaftliche Forscher machen muß, auf eine Stufe zu stellen. Noch kläglicher aber ist es, wenn man der Forderung der Forschungs¬ freiheit entgegenhält, daß doch alles Denken und Forschen mindestens an die logischen Gesetze gebunden und insofern nicht frei seien. „Gewiß wird kein Ver¬ ständiger" — so habe ich schon in meiner Einführung in die Erkenntnistheorie (Leipzig 1909, S. 161) erklärt — „für das Denken absolute Freiheit fordern in demi Sinne, daß es ein ganz willkürliches und planloses Gebaren sein dürfe. Es muß, wenn es zur Erkenntnis führen soll, sowohl nach den allgemeinen logischen Normen als auch nach der Beschaffenheit seiner jeweiligen Gegenstände und Erkenntnisziele und nach den dadurch gebotenen Methoden sich richten." Gleichwohl schreibt der katholische Philosoph Prof. Geyser in Münster im Hinblick auf das Schlußkapitel meines Buches, in dem ich das Verhältnis von Glauben und Wissen behandle: „Das Schlagwort der .Intellektuellen' und der .kritisch Veranlagten' lautet: Das höchste Gut der Wissenschaft ist die absolute Freiheit der Forschung. Diesen Satz erkennt die katholische Kirche nicht an. . . . Das höchste Gut der Forschung kann kein anderes sein als das, worin sie ihr Endziel findet. Die Freiheit der Forschung aber ist überhaupt kein Ziel derselben; denn wir forschen doch nicht, um unsere Freiheit zu üben, sondern um zu erkennen. . . . Also ist das höchste Gut und der letzte Richtpunkt aller wissenschaftlichen Forschung die Wahrheit." Es ist in der Tat eine wohlfeile Art der Polemik, wenn man dem Gegner das entgegcnhcilt, was er niemals bestritten hat, und über das völlig schweigt, was eigentlich zur Diskussion steht. Das aber ist, daß das kirchliche Lehramt kraft übernatürlicher Erleuchtung durch den heil. Geist Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/378>, abgerufen am 30.12.2024.