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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

des Altarsakraments stellt ihn vor die Notwendigkeit, seine Anhänglichkeit an
den Glauben innerlich zu bekräftigen, jedem Zweifel im Herzen zu widersagen:
denn wie könnte er in der Beichte Lossprechung von seinen Sünden erwarten,
wenn er nicht glaubte, daß der Priester göttliche Vollmacht hierzu habe? Wie
könnte er "würdig" den Leib des Herrn empfangen, wenn er zweifeln wollte,
ob die Hostie, die er empfängt, wirklich in das Fleisch und Blut Christi ver¬
wandelt sei?

Wie begründet aber die Kirche die Verpflichtung zum Glauben, die sie
ihren Angehörigen auferlegt, wie rechtfertigt sie ihre Lehre, daß Glaubens¬
zweifel und Unglaube Sünde sei? -- Sie erklärt: Motiv des Glaubens ist die
Autorität des sich offenbarenden Gottes, der nicht täuschen noch getäuscht werden
kann. Der Unglaube bedeutet also eine Verachtung der göttlichen Wahrhaftigkeit
und Autorität. Schon der Glaubenszweifel aber ist ein Aufgeben des Glaubens,
well man damit auch die Autorität des sich offenbarenden Gottes in Frage zieht.

Allein gegenüber dieser Begründung der Glaubenspflicht wird sich rasch
ein weiteres, grundsätzliches Bedenket: erheben: niemand wird ja unmittelbar
Gottes Wahrhaftigkeit in Zweifel ziehen, niemand seiner Autorität sich wider¬
setzen wollen! Aber hat denn jemand völlige Sicherheit darüber, daß Gott
sich ihm offenbart hat? Hat Gott etwa je unmittelbar zu ihm geredet?
-- Gewiß wird der noch naiv Glaubende gar oft meinen, unmittelbar Gottes
Stimme zu vernehmen, Gott selbst innerlich gegenüber zu stehen. Aber wenn
einmal so mächtige Zweifel Wurzel gefaßt haben, wird dann nicht auch die
psychologische Erwägung sich einstellen: diese göttliche Stimme in mir könnte
ja -- Einbildung sein? Alles, was ich an Vorstellungen über Gott habe, ist
durch Menschen mir vermittelt worden. Wäre ich etwa in mohammedanischer
oder buddhistischer Umgebung aufgewachsen, so würde ich ganz andere religiöse
Anschauungen besitzen und andersartige religiöse "Erfahrungen" erlebt haben.
Und wenn mein Glaube mich seither getröstet, beseligt und im sittlichen Streben
gefördert hat: beweist dies schon für sich allein, daß er "wahr" ist? Er wirkt
eben -- nach psychologischen Gesetzen -- als Macht im Seelenleben, ganz gleich¬
gültig, ob der geglaubte Gott existiert oder nicht existiert. Wer verbürgt mir
also, daß dieser Glaube mehr ist als eine "bloße Vorstellung", eine "bloße
Überzeugung" in mir (und in Millionen anderer Menschen), daß ihm noch
außerdem -- eine Wirklichkeit entspricht, daß dieser geglaubte Gott wirklich existiert?

Die Antwort der Kirche auf diese Fragen ist einem Satze des Vatikanischen
Konzils zu entnehmen, der besagt: Damit wir der Pflicht, den Glauben uns
anzueignen und ihn treu zu bewahren, genügen können, hat Gott durch seinen
eingeborenen Sohn die Kirche begründet und sie mit deutlichen Kennzeichen
ihrer göttlichen Stiftung ausgestattet, damit sie als Trägerin und Lehrerin der
Offenbarung von allen erkannt werden kann.

Die Kirche gibt also ohne weiteres zu: um wirklich auf die Autorität
Gottes hin glauben zu können, muß man gewiß sein, daß Gott sich geoffenbart


Ratholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

des Altarsakraments stellt ihn vor die Notwendigkeit, seine Anhänglichkeit an
den Glauben innerlich zu bekräftigen, jedem Zweifel im Herzen zu widersagen:
denn wie könnte er in der Beichte Lossprechung von seinen Sünden erwarten,
wenn er nicht glaubte, daß der Priester göttliche Vollmacht hierzu habe? Wie
könnte er „würdig" den Leib des Herrn empfangen, wenn er zweifeln wollte,
ob die Hostie, die er empfängt, wirklich in das Fleisch und Blut Christi ver¬
wandelt sei?

Wie begründet aber die Kirche die Verpflichtung zum Glauben, die sie
ihren Angehörigen auferlegt, wie rechtfertigt sie ihre Lehre, daß Glaubens¬
zweifel und Unglaube Sünde sei? — Sie erklärt: Motiv des Glaubens ist die
Autorität des sich offenbarenden Gottes, der nicht täuschen noch getäuscht werden
kann. Der Unglaube bedeutet also eine Verachtung der göttlichen Wahrhaftigkeit
und Autorität. Schon der Glaubenszweifel aber ist ein Aufgeben des Glaubens,
well man damit auch die Autorität des sich offenbarenden Gottes in Frage zieht.

Allein gegenüber dieser Begründung der Glaubenspflicht wird sich rasch
ein weiteres, grundsätzliches Bedenket: erheben: niemand wird ja unmittelbar
Gottes Wahrhaftigkeit in Zweifel ziehen, niemand seiner Autorität sich wider¬
setzen wollen! Aber hat denn jemand völlige Sicherheit darüber, daß Gott
sich ihm offenbart hat? Hat Gott etwa je unmittelbar zu ihm geredet?
— Gewiß wird der noch naiv Glaubende gar oft meinen, unmittelbar Gottes
Stimme zu vernehmen, Gott selbst innerlich gegenüber zu stehen. Aber wenn
einmal so mächtige Zweifel Wurzel gefaßt haben, wird dann nicht auch die
psychologische Erwägung sich einstellen: diese göttliche Stimme in mir könnte
ja — Einbildung sein? Alles, was ich an Vorstellungen über Gott habe, ist
durch Menschen mir vermittelt worden. Wäre ich etwa in mohammedanischer
oder buddhistischer Umgebung aufgewachsen, so würde ich ganz andere religiöse
Anschauungen besitzen und andersartige religiöse „Erfahrungen" erlebt haben.
Und wenn mein Glaube mich seither getröstet, beseligt und im sittlichen Streben
gefördert hat: beweist dies schon für sich allein, daß er „wahr" ist? Er wirkt
eben — nach psychologischen Gesetzen — als Macht im Seelenleben, ganz gleich¬
gültig, ob der geglaubte Gott existiert oder nicht existiert. Wer verbürgt mir
also, daß dieser Glaube mehr ist als eine „bloße Vorstellung", eine „bloße
Überzeugung" in mir (und in Millionen anderer Menschen), daß ihm noch
außerdem — eine Wirklichkeit entspricht, daß dieser geglaubte Gott wirklich existiert?

Die Antwort der Kirche auf diese Fragen ist einem Satze des Vatikanischen
Konzils zu entnehmen, der besagt: Damit wir der Pflicht, den Glauben uns
anzueignen und ihn treu zu bewahren, genügen können, hat Gott durch seinen
eingeborenen Sohn die Kirche begründet und sie mit deutlichen Kennzeichen
ihrer göttlichen Stiftung ausgestattet, damit sie als Trägerin und Lehrerin der
Offenbarung von allen erkannt werden kann.

Die Kirche gibt also ohne weiteres zu: um wirklich auf die Autorität
Gottes hin glauben zu können, muß man gewiß sein, daß Gott sich geoffenbart


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[0370] Ratholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens des Altarsakraments stellt ihn vor die Notwendigkeit, seine Anhänglichkeit an den Glauben innerlich zu bekräftigen, jedem Zweifel im Herzen zu widersagen: denn wie könnte er in der Beichte Lossprechung von seinen Sünden erwarten, wenn er nicht glaubte, daß der Priester göttliche Vollmacht hierzu habe? Wie könnte er „würdig" den Leib des Herrn empfangen, wenn er zweifeln wollte, ob die Hostie, die er empfängt, wirklich in das Fleisch und Blut Christi ver¬ wandelt sei? Wie begründet aber die Kirche die Verpflichtung zum Glauben, die sie ihren Angehörigen auferlegt, wie rechtfertigt sie ihre Lehre, daß Glaubens¬ zweifel und Unglaube Sünde sei? — Sie erklärt: Motiv des Glaubens ist die Autorität des sich offenbarenden Gottes, der nicht täuschen noch getäuscht werden kann. Der Unglaube bedeutet also eine Verachtung der göttlichen Wahrhaftigkeit und Autorität. Schon der Glaubenszweifel aber ist ein Aufgeben des Glaubens, well man damit auch die Autorität des sich offenbarenden Gottes in Frage zieht. Allein gegenüber dieser Begründung der Glaubenspflicht wird sich rasch ein weiteres, grundsätzliches Bedenket: erheben: niemand wird ja unmittelbar Gottes Wahrhaftigkeit in Zweifel ziehen, niemand seiner Autorität sich wider¬ setzen wollen! Aber hat denn jemand völlige Sicherheit darüber, daß Gott sich ihm offenbart hat? Hat Gott etwa je unmittelbar zu ihm geredet? — Gewiß wird der noch naiv Glaubende gar oft meinen, unmittelbar Gottes Stimme zu vernehmen, Gott selbst innerlich gegenüber zu stehen. Aber wenn einmal so mächtige Zweifel Wurzel gefaßt haben, wird dann nicht auch die psychologische Erwägung sich einstellen: diese göttliche Stimme in mir könnte ja — Einbildung sein? Alles, was ich an Vorstellungen über Gott habe, ist durch Menschen mir vermittelt worden. Wäre ich etwa in mohammedanischer oder buddhistischer Umgebung aufgewachsen, so würde ich ganz andere religiöse Anschauungen besitzen und andersartige religiöse „Erfahrungen" erlebt haben. Und wenn mein Glaube mich seither getröstet, beseligt und im sittlichen Streben gefördert hat: beweist dies schon für sich allein, daß er „wahr" ist? Er wirkt eben — nach psychologischen Gesetzen — als Macht im Seelenleben, ganz gleich¬ gültig, ob der geglaubte Gott existiert oder nicht existiert. Wer verbürgt mir also, daß dieser Glaube mehr ist als eine „bloße Vorstellung", eine „bloße Überzeugung" in mir (und in Millionen anderer Menschen), daß ihm noch außerdem — eine Wirklichkeit entspricht, daß dieser geglaubte Gott wirklich existiert? Die Antwort der Kirche auf diese Fragen ist einem Satze des Vatikanischen Konzils zu entnehmen, der besagt: Damit wir der Pflicht, den Glauben uns anzueignen und ihn treu zu bewahren, genügen können, hat Gott durch seinen eingeborenen Sohn die Kirche begründet und sie mit deutlichen Kennzeichen ihrer göttlichen Stiftung ausgestattet, damit sie als Trägerin und Lehrerin der Offenbarung von allen erkannt werden kann. Die Kirche gibt also ohne weiteres zu: um wirklich auf die Autorität Gottes hin glauben zu können, muß man gewiß sein, daß Gott sich geoffenbart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/370>, abgerufen am 24.07.2024.