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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

besucht, auf einer deutschen Universität studiert und später als Arzt oder Jurist,
als Pädagoge oder Universitätsdozent eine Stelle in der geistig führenden Schicht
der Nation auszufüllen hat. Er sei von Natur für religiöse Gefühle und Ideen
empfänglich, zugleich aber auch von starkem Wahrheitsbedürfnis beseelt und aus¬
reichend begabt, um den Aufgaben, die das Suchen nach Wahrheit stellt, einiger¬
maßen gerecht zu werden. Nehmen wir auch an, er empfange einen guten
Religionsunterricht und die Geistlichen, die ihm gegenüber die Kirche repräsen¬
tieren, seien persönlich würdig und pädagogisch geschickt. Es scheint mir bei
derartigen Voraussetzungen nicht zweifelhaft, daß in einem solchen jungen Menschen
der katholische Glaube tief Wurzel schlagen, daß er .seinen religiösen Bedürfnissen
reichlich Nahrung spenden und ihn in seiner sittlichen Entwicklung kräftig und
nachhaltig fördern werde. Wer die katholische Kirche und ihren Kultus nur von
außen kennt, der ist ja leicht geneigt anzunehmen, daß viel äußere Werkheiligkeit,
viel "Heidentum" in ihr wuchern und daß allenthalben die Kirche und ihre
Priester sich zwischen den einzelnen und die Gottheit hineindrängten. Aber
wer selbst im katholischen Glauben aufgewachsen ist, der ist doch zweifellos besser
in der Lage, hierüber zu urteilen; er weiß, daß vou der Kirche religiöse Hand¬
lungen niemals lediglich als äußerliches Tun gefordert werden, und daß sie für
den tiefer angelegten Gläubigen nur der Ausdruck religiöser Stimmungen und
Gedanken sind; er weiß auch, daß der Katholik, wenn er betet, wenn er in Furcht
und Reue oder in Hoffnung und dankbarer Liebe sich zu Gott wendet, keine
Schranke zwischen sich und dein himmlischen Vater oder Jesus Christus findet,
daß auch hier die Seele und ihr Gott unmittelbar sich berühren.

Freilich, ein solches kirchlich-religiöses Erleben mit seiner Beängstigung und
Zuversicht, mit seinen Zerknirschungen und Tröstungen wird im Innersten bedroht,
wenn Glaubenszweifel sich zu regen beginnen. Und an Anlaß zu solchen fehlt
es allerdings nicht. Zunächst sind es wohl einzelne kirchliche Lehren, gegenüber
denen ernste Bedenken sich regen: die Bibel soll "Gottes Wort", also Wahrheit,
ungetrübte Wahrheit enthalten. Sind aber auch alle die Wundererzählungen
wahr? Wie steht es um die sprechende Schlange im Paradies und den redenden
Esel Bileams? wie um Jonas, der tagelang unbeschädigt im Bauche des Fisches
weilt? wie um die Totenerweckungen Jesu, feilte Auferstehung und Himmel¬
fahrt? -- Und dann: die Hostie, die bei der heil. Kommunion empfangen wird,
sie soll auf das Wort des Priesters sich in den Leib des Herrn verwandeln --
buchstäblich: in Fleisch und Blut Christi!

Aber die Zweifel bleiben nicht bei solchen Einzelheiten stehen: sie werden
umfassender, dringen tiefer. Das uralte Problem der Theodizee regt sich: wenn Gott
gütig und gerecht und zugleich allmächtig ist, wie konnte er dieseWelt schaffen und wie
kann er diese Welt erhalten, die so voll Übel und Sünde ist? Ist die Existenz
einer solchen Welt nicht ein Beweis gegen die Existenz eines solchen Gottes?

Jedoch man weist auf die Kirche hin als die von Gott gestiftete Anstalt
zur Errettung der Menschheit, die durch eigene Schuld in Not und Sünde


Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

besucht, auf einer deutschen Universität studiert und später als Arzt oder Jurist,
als Pädagoge oder Universitätsdozent eine Stelle in der geistig führenden Schicht
der Nation auszufüllen hat. Er sei von Natur für religiöse Gefühle und Ideen
empfänglich, zugleich aber auch von starkem Wahrheitsbedürfnis beseelt und aus¬
reichend begabt, um den Aufgaben, die das Suchen nach Wahrheit stellt, einiger¬
maßen gerecht zu werden. Nehmen wir auch an, er empfange einen guten
Religionsunterricht und die Geistlichen, die ihm gegenüber die Kirche repräsen¬
tieren, seien persönlich würdig und pädagogisch geschickt. Es scheint mir bei
derartigen Voraussetzungen nicht zweifelhaft, daß in einem solchen jungen Menschen
der katholische Glaube tief Wurzel schlagen, daß er .seinen religiösen Bedürfnissen
reichlich Nahrung spenden und ihn in seiner sittlichen Entwicklung kräftig und
nachhaltig fördern werde. Wer die katholische Kirche und ihren Kultus nur von
außen kennt, der ist ja leicht geneigt anzunehmen, daß viel äußere Werkheiligkeit,
viel „Heidentum" in ihr wuchern und daß allenthalben die Kirche und ihre
Priester sich zwischen den einzelnen und die Gottheit hineindrängten. Aber
wer selbst im katholischen Glauben aufgewachsen ist, der ist doch zweifellos besser
in der Lage, hierüber zu urteilen; er weiß, daß vou der Kirche religiöse Hand¬
lungen niemals lediglich als äußerliches Tun gefordert werden, und daß sie für
den tiefer angelegten Gläubigen nur der Ausdruck religiöser Stimmungen und
Gedanken sind; er weiß auch, daß der Katholik, wenn er betet, wenn er in Furcht
und Reue oder in Hoffnung und dankbarer Liebe sich zu Gott wendet, keine
Schranke zwischen sich und dein himmlischen Vater oder Jesus Christus findet,
daß auch hier die Seele und ihr Gott unmittelbar sich berühren.

Freilich, ein solches kirchlich-religiöses Erleben mit seiner Beängstigung und
Zuversicht, mit seinen Zerknirschungen und Tröstungen wird im Innersten bedroht,
wenn Glaubenszweifel sich zu regen beginnen. Und an Anlaß zu solchen fehlt
es allerdings nicht. Zunächst sind es wohl einzelne kirchliche Lehren, gegenüber
denen ernste Bedenken sich regen: die Bibel soll „Gottes Wort", also Wahrheit,
ungetrübte Wahrheit enthalten. Sind aber auch alle die Wundererzählungen
wahr? Wie steht es um die sprechende Schlange im Paradies und den redenden
Esel Bileams? wie um Jonas, der tagelang unbeschädigt im Bauche des Fisches
weilt? wie um die Totenerweckungen Jesu, feilte Auferstehung und Himmel¬
fahrt? — Und dann: die Hostie, die bei der heil. Kommunion empfangen wird,
sie soll auf das Wort des Priesters sich in den Leib des Herrn verwandeln —
buchstäblich: in Fleisch und Blut Christi!

Aber die Zweifel bleiben nicht bei solchen Einzelheiten stehen: sie werden
umfassender, dringen tiefer. Das uralte Problem der Theodizee regt sich: wenn Gott
gütig und gerecht und zugleich allmächtig ist, wie konnte er dieseWelt schaffen und wie
kann er diese Welt erhalten, die so voll Übel und Sünde ist? Ist die Existenz
einer solchen Welt nicht ein Beweis gegen die Existenz eines solchen Gottes?

Jedoch man weist auf die Kirche hin als die von Gott gestiftete Anstalt
zur Errettung der Menschheit, die durch eigene Schuld in Not und Sünde


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[0368] Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens besucht, auf einer deutschen Universität studiert und später als Arzt oder Jurist, als Pädagoge oder Universitätsdozent eine Stelle in der geistig führenden Schicht der Nation auszufüllen hat. Er sei von Natur für religiöse Gefühle und Ideen empfänglich, zugleich aber auch von starkem Wahrheitsbedürfnis beseelt und aus¬ reichend begabt, um den Aufgaben, die das Suchen nach Wahrheit stellt, einiger¬ maßen gerecht zu werden. Nehmen wir auch an, er empfange einen guten Religionsunterricht und die Geistlichen, die ihm gegenüber die Kirche repräsen¬ tieren, seien persönlich würdig und pädagogisch geschickt. Es scheint mir bei derartigen Voraussetzungen nicht zweifelhaft, daß in einem solchen jungen Menschen der katholische Glaube tief Wurzel schlagen, daß er .seinen religiösen Bedürfnissen reichlich Nahrung spenden und ihn in seiner sittlichen Entwicklung kräftig und nachhaltig fördern werde. Wer die katholische Kirche und ihren Kultus nur von außen kennt, der ist ja leicht geneigt anzunehmen, daß viel äußere Werkheiligkeit, viel „Heidentum" in ihr wuchern und daß allenthalben die Kirche und ihre Priester sich zwischen den einzelnen und die Gottheit hineindrängten. Aber wer selbst im katholischen Glauben aufgewachsen ist, der ist doch zweifellos besser in der Lage, hierüber zu urteilen; er weiß, daß vou der Kirche religiöse Hand¬ lungen niemals lediglich als äußerliches Tun gefordert werden, und daß sie für den tiefer angelegten Gläubigen nur der Ausdruck religiöser Stimmungen und Gedanken sind; er weiß auch, daß der Katholik, wenn er betet, wenn er in Furcht und Reue oder in Hoffnung und dankbarer Liebe sich zu Gott wendet, keine Schranke zwischen sich und dein himmlischen Vater oder Jesus Christus findet, daß auch hier die Seele und ihr Gott unmittelbar sich berühren. Freilich, ein solches kirchlich-religiöses Erleben mit seiner Beängstigung und Zuversicht, mit seinen Zerknirschungen und Tröstungen wird im Innersten bedroht, wenn Glaubenszweifel sich zu regen beginnen. Und an Anlaß zu solchen fehlt es allerdings nicht. Zunächst sind es wohl einzelne kirchliche Lehren, gegenüber denen ernste Bedenken sich regen: die Bibel soll „Gottes Wort", also Wahrheit, ungetrübte Wahrheit enthalten. Sind aber auch alle die Wundererzählungen wahr? Wie steht es um die sprechende Schlange im Paradies und den redenden Esel Bileams? wie um Jonas, der tagelang unbeschädigt im Bauche des Fisches weilt? wie um die Totenerweckungen Jesu, feilte Auferstehung und Himmel¬ fahrt? — Und dann: die Hostie, die bei der heil. Kommunion empfangen wird, sie soll auf das Wort des Priesters sich in den Leib des Herrn verwandeln — buchstäblich: in Fleisch und Blut Christi! Aber die Zweifel bleiben nicht bei solchen Einzelheiten stehen: sie werden umfassender, dringen tiefer. Das uralte Problem der Theodizee regt sich: wenn Gott gütig und gerecht und zugleich allmächtig ist, wie konnte er dieseWelt schaffen und wie kann er diese Welt erhalten, die so voll Übel und Sünde ist? Ist die Existenz einer solchen Welt nicht ein Beweis gegen die Existenz eines solchen Gottes? Jedoch man weist auf die Kirche hin als die von Gott gestiftete Anstalt zur Errettung der Menschheit, die durch eigene Schuld in Not und Sünde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/368>, abgerufen am 24.07.2024.