Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Ein Tendcnzroman Einen Beleg für die Möglichkeit des Bassermann-Bebel-Blocks sieht Naumann Es ist heute nur ein Unterschied im Tempo und im Maß, aber nicht im Naumanns Programm -- er will ein solches in seinem Buch geben -- So dürftig aber Naumanns Programm ist, so findet er doch für seinen ") Siehe einige Zitate hienivcr in meiner Schuft! "DaS Parlamentarische Wahlrecht
in Dcntschlnnd" S,'"7, __ Ein Tendcnzroman Einen Beleg für die Möglichkeit des Bassermann-Bebel-Blocks sieht Naumann Es ist heute nur ein Unterschied im Tempo und im Maß, aber nicht im Naumanns Programm — er will ein solches in seinem Buch geben — So dürftig aber Naumanns Programm ist, so findet er doch für seinen ") Siehe einige Zitate hienivcr in meiner Schuft! „DaS Parlamentarische Wahlrecht
in Dcntschlnnd" S,'«7, __ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317962"/> <fw type="header" place="top"> Ein Tendcnzroman</fw><lb/> <p xml:id="ID_1635"> Einen Beleg für die Möglichkeit des Bassermann-Bebel-Blocks sieht Naumann<lb/> in der Verbindung der englischen Arbeiter mit den dortigen Liberalen (S. 81).<lb/> Eine solche besteht indessen tatsächlich nicht. Denn erstens haben es die Arbeiter<lb/> in England bisher bald mit den Konservativen, bald mit den Liberalen gehalten.<lb/> Zweitens kommt gegenwärtig eine besondere Arbeiterpartei, abseits der alten<lb/> Parteien, auf. Allein selbst wenn es sich so verhielte, daß die Arbeiter sich<lb/> dort dem Liberalismus angeschlossen hätten, so würde es nichts für Deutschland<lb/> beweisen. Denn bei der starken Beschränkung des Wahlrechts, die England<lb/> eigentümlich ist, sahen sich die Arbeiter genötigt, mit den alten Parteien zu<lb/> paktieren oder sich ihnen gar ganz anzuschließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1636"> Es ist heute nur ein Unterschied im Tempo und im Maß, aber nicht im<lb/> Prinzip, wodurch etwa die Parteien in sozialpolitischer Hinsicht getrennt werden.<lb/> Und möglich wird eine Sozialpolitik erst, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt<lb/> werden, für die der Politiker vor allem Sorge zu tragen hat. Die großen<lb/> Fragen der Sicherheit und Selbständigkeit des Staats müssen stets im Vorder¬<lb/> grund eines gesunden politischen Lebens stehen. Wie sich jedoch die Sozial¬<lb/> demokraten hierzu stellen, ist bekannt genug, und unter den Freisinnigen gibt<lb/> es heute noch einige, über deren Angstmeierei sich sogar Sozialisten erheitern*).</p><lb/> <p xml:id="ID_1637"> Naumanns Programm — er will ein solches in seinem Buch geben —<lb/> ist von erstaunlicher Dürftigkeit. Abgesehen von demi, was ihm „das Problem"<lb/> ist, empfiehlt er den Freihandel (schlechthin) und die Einführung des Zwangs¬<lb/> besuchs der Volksschule für alle Kinder (S. 106). Von dieser Einrichtung<lb/> erwartet er das Allerhöchste für die Entwicklung des deutschen Volks. Wir<lb/> erwarten davon weder eine sonderlich gute noch eine sonderlich schlechte Wirkung<lb/> und denken darüber liberal, d.h. wir halten andembisherigenSystem dersreienWahl<lb/> der Schule fest. Weiter druckt Naumann (S. 83) mehrere Sätze der preußischen<lb/> Verfassungsurkunde, in der von der Freiheit der Staatsbürger die Rede ist, ab und<lb/> ereifert sich im Anschluß daran über die Bevormundung im heutigen Staatsleben und<lb/> darüber, daß der Staat zu dem Zweck da zu sein scheine, „Menschen gebunden zu<lb/> machen". Leider gibt er hier nicht näher an, welche Spitzen jene Zitate haben<lb/> sollen. Wie es sich mit der „Bevormundung" verhält, haben wir schon gesehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1638"> So dürftig aber Naumanns Programm ist, so findet er doch für seinen<lb/> Roman einen gläubigen Wählerkreis und macht für seine historische wie politische<lb/> Auffassung Schule. In einer Schrift von W. Ohr „Vom Kampf der Jugend",<lb/> von der gegenwärtig ein Stück in einem studentischen Almanach verbreitet wird,<lb/> lesen wir: „Es ist, als ob die Riesengestalt Bismarcks ein Ende gesetzt hätte<lb/> aller vaterländischen Initiative. Deutschland ist saturiert — mit diesen: Wort<lb/> ist das politische Philistertum sanktioniert worden. . . . Bismarck und seine<lb/> Epoche sind definitiv hinter uns". Offenbar sollen wir fortan lediglich von der<lb/> Formel „von Bassermann bis Bebel" leben.</p><lb/> <note xml:id="FID_45" place="foot"> ") Siehe einige Zitate hienivcr in meiner Schuft! „DaS Parlamentarische Wahlrecht<lb/> in Dcntschlnnd" S,'«7, __</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0349]
Ein Tendcnzroman
Einen Beleg für die Möglichkeit des Bassermann-Bebel-Blocks sieht Naumann
in der Verbindung der englischen Arbeiter mit den dortigen Liberalen (S. 81).
Eine solche besteht indessen tatsächlich nicht. Denn erstens haben es die Arbeiter
in England bisher bald mit den Konservativen, bald mit den Liberalen gehalten.
Zweitens kommt gegenwärtig eine besondere Arbeiterpartei, abseits der alten
Parteien, auf. Allein selbst wenn es sich so verhielte, daß die Arbeiter sich
dort dem Liberalismus angeschlossen hätten, so würde es nichts für Deutschland
beweisen. Denn bei der starken Beschränkung des Wahlrechts, die England
eigentümlich ist, sahen sich die Arbeiter genötigt, mit den alten Parteien zu
paktieren oder sich ihnen gar ganz anzuschließen.
Es ist heute nur ein Unterschied im Tempo und im Maß, aber nicht im
Prinzip, wodurch etwa die Parteien in sozialpolitischer Hinsicht getrennt werden.
Und möglich wird eine Sozialpolitik erst, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt
werden, für die der Politiker vor allem Sorge zu tragen hat. Die großen
Fragen der Sicherheit und Selbständigkeit des Staats müssen stets im Vorder¬
grund eines gesunden politischen Lebens stehen. Wie sich jedoch die Sozial¬
demokraten hierzu stellen, ist bekannt genug, und unter den Freisinnigen gibt
es heute noch einige, über deren Angstmeierei sich sogar Sozialisten erheitern*).
Naumanns Programm — er will ein solches in seinem Buch geben —
ist von erstaunlicher Dürftigkeit. Abgesehen von demi, was ihm „das Problem"
ist, empfiehlt er den Freihandel (schlechthin) und die Einführung des Zwangs¬
besuchs der Volksschule für alle Kinder (S. 106). Von dieser Einrichtung
erwartet er das Allerhöchste für die Entwicklung des deutschen Volks. Wir
erwarten davon weder eine sonderlich gute noch eine sonderlich schlechte Wirkung
und denken darüber liberal, d.h. wir halten andembisherigenSystem dersreienWahl
der Schule fest. Weiter druckt Naumann (S. 83) mehrere Sätze der preußischen
Verfassungsurkunde, in der von der Freiheit der Staatsbürger die Rede ist, ab und
ereifert sich im Anschluß daran über die Bevormundung im heutigen Staatsleben und
darüber, daß der Staat zu dem Zweck da zu sein scheine, „Menschen gebunden zu
machen". Leider gibt er hier nicht näher an, welche Spitzen jene Zitate haben
sollen. Wie es sich mit der „Bevormundung" verhält, haben wir schon gesehen.
So dürftig aber Naumanns Programm ist, so findet er doch für seinen
Roman einen gläubigen Wählerkreis und macht für seine historische wie politische
Auffassung Schule. In einer Schrift von W. Ohr „Vom Kampf der Jugend",
von der gegenwärtig ein Stück in einem studentischen Almanach verbreitet wird,
lesen wir: „Es ist, als ob die Riesengestalt Bismarcks ein Ende gesetzt hätte
aller vaterländischen Initiative. Deutschland ist saturiert — mit diesen: Wort
ist das politische Philistertum sanktioniert worden. . . . Bismarck und seine
Epoche sind definitiv hinter uns". Offenbar sollen wir fortan lediglich von der
Formel „von Bassermann bis Bebel" leben.
") Siehe einige Zitate hienivcr in meiner Schuft! „DaS Parlamentarische Wahlrecht
in Dcntschlnnd" S,'«7, __
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