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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Gin Tendenzroman

Ausführung. Die Tragödie des schönen Weibes, das von allen, selbst von
den Geschwistern, freventlich begehrt wird, das selbst im ermüdenden Alter nicht
Frieden genießen darf, bis es Zeus zu sich in den Olymp ruft. Es liegt
Verhaeren nie daran, Theaterstücke im gewöhnlichen Sinn zu schaffen, Werke
für die breite Masse (man bedenke: in "I^e LloZtre" ist keine einzige weibliche
Gestalt!), ihn interessiert einzig das Problem. Er stellt gewisse Typen männ¬
licher Personen auf; er will eine Idee darlegen, die dann an den vorbereiteten
Höhepunkten klar und läuternd dem Hörer vor Augen tritt. So sind diese
dramatischen Werke zu betrachten wie die Gedichte: als Anrufungen, als
begeisterte Ansprachen. Auch in ihnen glüht die feurige Freude, die Verhaerens
unvergängliche Tat offenbart: den Sieg des modernen Europäers über das Leben
und die Segnungen, die aus dieser Überwindung hervorblühen!




Gin Tendenzroman
(F. Naumanns Buch "Die politischen Parteien")
Geh, Hofrat Prof. l)r. G, v. Below- von

s ist immer interessant, zu beobachten, wie sich die Geschichte in
den Vorstellungen eines Parteimannes spiegelt. Nicht bloß die
objektive Berichterstattung gewährt Belehrung. Auch die subjektiv
gefärbte Darstellung hat ihren Reiz und ihr Interesse und kann
auch direkt als lehrreich bezeichnet werden, eben als ein Spiegel¬
bild eines bestimmten Parteiprogramms.

Das Jnteressanteste, was die neueste Zeit in dieser Hinsicht hervorgebracht
hat, dürfte F. Naumanns Buch "Die politischen Parteien" sein, das einen
historischen Bericht geben will. Naumanns politische Wünsche gipfeln
zurzeit in der Verwirklichung der Formel "von Bassermann bis Bebel": alle
Liberalen und Sozialisten sollen eine politische Einheit bilden und gemeinsam
gegen die "konservativ-klerikale Reaktion" Sturm laufen. Die von Naumann
selbst genannten Führer Bassermann und Bebel haben freilich übereinstimmend
seine Forderung unliebenswürdig als "Blödsinn" bezeichnet. Indessen läßt er
sich dadurch von seiner Lieblingsformel nicht abbringen, und es ist auch nicht
zu leugnen, daß er für sie eine beträchtliche Gemeinde hinter sich hat. Ein
namhaftes Stück in der Agitation für sein Ideal bildet nun auch jene Schrift.
Ihr vorgeblich historischer Inhalt wird nur verständlich, wenn man sich gegen¬
wärtig hält, daß Naumann mit ihr seinen Gläubigen die Überzeugung von der
Untrüglichkeit seiner Formel einimpfen will. "Seit 1878" -- sagt er Seite 29 --
"beginnt die Zeit der konservativ-klerikalen Vorherrschaft in Deutschland".
Liberalismus und Sozialdemokratie werden seitdem von den vereinigten Konser-


Gin Tendenzroman

Ausführung. Die Tragödie des schönen Weibes, das von allen, selbst von
den Geschwistern, freventlich begehrt wird, das selbst im ermüdenden Alter nicht
Frieden genießen darf, bis es Zeus zu sich in den Olymp ruft. Es liegt
Verhaeren nie daran, Theaterstücke im gewöhnlichen Sinn zu schaffen, Werke
für die breite Masse (man bedenke: in „I^e LloZtre" ist keine einzige weibliche
Gestalt!), ihn interessiert einzig das Problem. Er stellt gewisse Typen männ¬
licher Personen auf; er will eine Idee darlegen, die dann an den vorbereiteten
Höhepunkten klar und läuternd dem Hörer vor Augen tritt. So sind diese
dramatischen Werke zu betrachten wie die Gedichte: als Anrufungen, als
begeisterte Ansprachen. Auch in ihnen glüht die feurige Freude, die Verhaerens
unvergängliche Tat offenbart: den Sieg des modernen Europäers über das Leben
und die Segnungen, die aus dieser Überwindung hervorblühen!




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s ist immer interessant, zu beobachten, wie sich die Geschichte in
den Vorstellungen eines Parteimannes spiegelt. Nicht bloß die
objektive Berichterstattung gewährt Belehrung. Auch die subjektiv
gefärbte Darstellung hat ihren Reiz und ihr Interesse und kann
auch direkt als lehrreich bezeichnet werden, eben als ein Spiegel¬
bild eines bestimmten Parteiprogramms.

Das Jnteressanteste, was die neueste Zeit in dieser Hinsicht hervorgebracht
hat, dürfte F. Naumanns Buch „Die politischen Parteien" sein, das einen
historischen Bericht geben will. Naumanns politische Wünsche gipfeln
zurzeit in der Verwirklichung der Formel „von Bassermann bis Bebel": alle
Liberalen und Sozialisten sollen eine politische Einheit bilden und gemeinsam
gegen die „konservativ-klerikale Reaktion" Sturm laufen. Die von Naumann
selbst genannten Führer Bassermann und Bebel haben freilich übereinstimmend
seine Forderung unliebenswürdig als „Blödsinn" bezeichnet. Indessen läßt er
sich dadurch von seiner Lieblingsformel nicht abbringen, und es ist auch nicht
zu leugnen, daß er für sie eine beträchtliche Gemeinde hinter sich hat. Ein
namhaftes Stück in der Agitation für sein Ideal bildet nun auch jene Schrift.
Ihr vorgeblich historischer Inhalt wird nur verständlich, wenn man sich gegen¬
wärtig hält, daß Naumann mit ihr seinen Gläubigen die Überzeugung von der
Untrüglichkeit seiner Formel einimpfen will. „Seit 1878" — sagt er Seite 29 —
„beginnt die Zeit der konservativ-klerikalen Vorherrschaft in Deutschland".
Liberalismus und Sozialdemokratie werden seitdem von den vereinigten Konser-


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[0339] Gin Tendenzroman Ausführung. Die Tragödie des schönen Weibes, das von allen, selbst von den Geschwistern, freventlich begehrt wird, das selbst im ermüdenden Alter nicht Frieden genießen darf, bis es Zeus zu sich in den Olymp ruft. Es liegt Verhaeren nie daran, Theaterstücke im gewöhnlichen Sinn zu schaffen, Werke für die breite Masse (man bedenke: in „I^e LloZtre" ist keine einzige weibliche Gestalt!), ihn interessiert einzig das Problem. Er stellt gewisse Typen männ¬ licher Personen auf; er will eine Idee darlegen, die dann an den vorbereiteten Höhepunkten klar und läuternd dem Hörer vor Augen tritt. So sind diese dramatischen Werke zu betrachten wie die Gedichte: als Anrufungen, als begeisterte Ansprachen. Auch in ihnen glüht die feurige Freude, die Verhaerens unvergängliche Tat offenbart: den Sieg des modernen Europäers über das Leben und die Segnungen, die aus dieser Überwindung hervorblühen! Gin Tendenzroman (F. Naumanns Buch „Die politischen Parteien") Geh, Hofrat Prof. l)r. G, v. Below- von s ist immer interessant, zu beobachten, wie sich die Geschichte in den Vorstellungen eines Parteimannes spiegelt. Nicht bloß die objektive Berichterstattung gewährt Belehrung. Auch die subjektiv gefärbte Darstellung hat ihren Reiz und ihr Interesse und kann auch direkt als lehrreich bezeichnet werden, eben als ein Spiegel¬ bild eines bestimmten Parteiprogramms. Das Jnteressanteste, was die neueste Zeit in dieser Hinsicht hervorgebracht hat, dürfte F. Naumanns Buch „Die politischen Parteien" sein, das einen historischen Bericht geben will. Naumanns politische Wünsche gipfeln zurzeit in der Verwirklichung der Formel „von Bassermann bis Bebel": alle Liberalen und Sozialisten sollen eine politische Einheit bilden und gemeinsam gegen die „konservativ-klerikale Reaktion" Sturm laufen. Die von Naumann selbst genannten Führer Bassermann und Bebel haben freilich übereinstimmend seine Forderung unliebenswürdig als „Blödsinn" bezeichnet. Indessen läßt er sich dadurch von seiner Lieblingsformel nicht abbringen, und es ist auch nicht zu leugnen, daß er für sie eine beträchtliche Gemeinde hinter sich hat. Ein namhaftes Stück in der Agitation für sein Ideal bildet nun auch jene Schrift. Ihr vorgeblich historischer Inhalt wird nur verständlich, wenn man sich gegen¬ wärtig hält, daß Naumann mit ihr seinen Gläubigen die Überzeugung von der Untrüglichkeit seiner Formel einimpfen will. „Seit 1878" — sagt er Seite 29 — „beginnt die Zeit der konservativ-klerikalen Vorherrschaft in Deutschland". Liberalismus und Sozialdemokratie werden seitdem von den vereinigten Konser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/339>, abgerufen am 24.07.2024.