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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Linne Verhaeren
Hände und Finger, der ganze Leib dampft den Weibern,
Und in den Mietern keuchen die Brüste, die Prallen;
Mit derben Fäusten kneten sie den Teig und ballen
Ihn üppig rund gleich ihren mächtigen Leibern,
Die großen Backstuben glühten von prasselnden Kloben,
Und zwei und zwei, bon Ende eines Brettes, schoben
Die Dirnen die weiche Masse in den Ofen, den heiszen,
Die Flammen brachen aus dem glühen Schlunde
Wie eine tolle Meute großer roter Hunde,
Und sprangen um, sie ins Gesicht zu beißen.

Ein hitziger Pessimismus durchbraust dieses Buch, ein gewisser Trotz.
Freudlos, trotz aller Lebenskraft, unter uns Verhaerens Bilder an. Es sind
wirklich Bilder, Gemälde, Radierungen. Die Skizzen von der Scheide lassen
unwillkürlich an die Radierungen eines Rembrandt oder Potter denken. -- Diese
erste Veröffentlichung, die Lemonnier vermittelte, steht in seltsamem Gegensatz
zu dem zweiten Versbuche "I^e8 Rome8". Drei Wochen lang wohnte der Dichter
in dem Kloster von Forges, sammelte Eindrücke, machte Studien. Albert Mockel,
der eine vortreffliche Arbeit über Verhaeren verfaßt hat, nennt die Moines "ein
reiches und gutes Buch, in der Form das harmonischste, das Verhaeren geschrieben
hat". Und hier redet wirklich so viel Güte, so viel weise Beschaulichkeit und ruhige
Frömmigkeit, daß man wie durch ein Märchenland schreitet: dankbar, verwundert,
voll Vertrauen. Und auch hier darf man nicht an Verse denken, wie sie etwa
Rodenbach raunte. Starr und groß stehen Verhaerens Mönche vor uns, als
Symbole, als Träger des Glaubens. Er schildert Prozessionen und Gottesdienste,
Askese und Einfalt, inneren Frieden und Zerknirschung- In Stefan Zweigs
Nachdichtung möge eine "Klosterskizze" hier angeführt werden

Aus rotem Dämmer schwerster Mitiagsschwiile
Starren die Bänke mit berblich'nem Stamme,
Und durch der Fenster Feuer schlägt die Flamme
Der Sonnensträhnen bis ins Chorgestühle.
Die Mönche, gleich in dem Gewand der Weihen,
Mit gleichen Zeichen, gleichen Ordensfalten
Und gleicher Starrheit in den Felsgestalten,
Stehn aufrecht in zwei stummen fahlen Reihen.
Und man erhängt, erhofft, mit einem Male
Werde die Starre brechen und Chornle
Aufdonnernd in die schwere Stille steigen.
Allein nichts regt sich längs der matten Malter"!
Ob auch die Stunden flüchten mit Erschauern --
Die hagern Mönche schweigen .,, schweigen,.. schweigen .,.


") Mit Nachdruck verweise ich uns die dreibändige Verhaeren-Ausgabe Stefan Zweigs
(im Insel-Verlag zu Leipzig). Sie enthält eine ausführliche Biographie und Charakteristik
des Dichters, eine Auswahl aus den Gedichten und drei Dramen. Die Übersetzungen sind
im ganzen als vorzüglich anzuerkennen und zeugen von Feiufiihligkeit und Fleiß.
Linne Verhaeren
Hände und Finger, der ganze Leib dampft den Weibern,
Und in den Mietern keuchen die Brüste, die Prallen;
Mit derben Fäusten kneten sie den Teig und ballen
Ihn üppig rund gleich ihren mächtigen Leibern,
Die großen Backstuben glühten von prasselnden Kloben,
Und zwei und zwei, bon Ende eines Brettes, schoben
Die Dirnen die weiche Masse in den Ofen, den heiszen,
Die Flammen brachen aus dem glühen Schlunde
Wie eine tolle Meute großer roter Hunde,
Und sprangen um, sie ins Gesicht zu beißen.

Ein hitziger Pessimismus durchbraust dieses Buch, ein gewisser Trotz.
Freudlos, trotz aller Lebenskraft, unter uns Verhaerens Bilder an. Es sind
wirklich Bilder, Gemälde, Radierungen. Die Skizzen von der Scheide lassen
unwillkürlich an die Radierungen eines Rembrandt oder Potter denken. — Diese
erste Veröffentlichung, die Lemonnier vermittelte, steht in seltsamem Gegensatz
zu dem zweiten Versbuche „I^e8 Rome8". Drei Wochen lang wohnte der Dichter
in dem Kloster von Forges, sammelte Eindrücke, machte Studien. Albert Mockel,
der eine vortreffliche Arbeit über Verhaeren verfaßt hat, nennt die Moines „ein
reiches und gutes Buch, in der Form das harmonischste, das Verhaeren geschrieben
hat". Und hier redet wirklich so viel Güte, so viel weise Beschaulichkeit und ruhige
Frömmigkeit, daß man wie durch ein Märchenland schreitet: dankbar, verwundert,
voll Vertrauen. Und auch hier darf man nicht an Verse denken, wie sie etwa
Rodenbach raunte. Starr und groß stehen Verhaerens Mönche vor uns, als
Symbole, als Träger des Glaubens. Er schildert Prozessionen und Gottesdienste,
Askese und Einfalt, inneren Frieden und Zerknirschung- In Stefan Zweigs
Nachdichtung möge eine „Klosterskizze" hier angeführt werden

Aus rotem Dämmer schwerster Mitiagsschwiile
Starren die Bänke mit berblich'nem Stamme,
Und durch der Fenster Feuer schlägt die Flamme
Der Sonnensträhnen bis ins Chorgestühle.
Die Mönche, gleich in dem Gewand der Weihen,
Mit gleichen Zeichen, gleichen Ordensfalten
Und gleicher Starrheit in den Felsgestalten,
Stehn aufrecht in zwei stummen fahlen Reihen.
Und man erhängt, erhofft, mit einem Male
Werde die Starre brechen und Chornle
Aufdonnernd in die schwere Stille steigen.
Allein nichts regt sich längs der matten Malter»!
Ob auch die Stunden flüchten mit Erschauern —
Die hagern Mönche schweigen .,, schweigen,.. schweigen .,.


") Mit Nachdruck verweise ich uns die dreibändige Verhaeren-Ausgabe Stefan Zweigs
(im Insel-Verlag zu Leipzig). Sie enthält eine ausführliche Biographie und Charakteristik
des Dichters, eine Auswahl aus den Gedichten und drei Dramen. Die Übersetzungen sind
im ganzen als vorzüglich anzuerkennen und zeugen von Feiufiihligkeit und Fleiß.
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[0331] Linne Verhaeren Hände und Finger, der ganze Leib dampft den Weibern, Und in den Mietern keuchen die Brüste, die Prallen; Mit derben Fäusten kneten sie den Teig und ballen Ihn üppig rund gleich ihren mächtigen Leibern, Die großen Backstuben glühten von prasselnden Kloben, Und zwei und zwei, bon Ende eines Brettes, schoben Die Dirnen die weiche Masse in den Ofen, den heiszen, Die Flammen brachen aus dem glühen Schlunde Wie eine tolle Meute großer roter Hunde, Und sprangen um, sie ins Gesicht zu beißen. Ein hitziger Pessimismus durchbraust dieses Buch, ein gewisser Trotz. Freudlos, trotz aller Lebenskraft, unter uns Verhaerens Bilder an. Es sind wirklich Bilder, Gemälde, Radierungen. Die Skizzen von der Scheide lassen unwillkürlich an die Radierungen eines Rembrandt oder Potter denken. — Diese erste Veröffentlichung, die Lemonnier vermittelte, steht in seltsamem Gegensatz zu dem zweiten Versbuche „I^e8 Rome8". Drei Wochen lang wohnte der Dichter in dem Kloster von Forges, sammelte Eindrücke, machte Studien. Albert Mockel, der eine vortreffliche Arbeit über Verhaeren verfaßt hat, nennt die Moines „ein reiches und gutes Buch, in der Form das harmonischste, das Verhaeren geschrieben hat". Und hier redet wirklich so viel Güte, so viel weise Beschaulichkeit und ruhige Frömmigkeit, daß man wie durch ein Märchenland schreitet: dankbar, verwundert, voll Vertrauen. Und auch hier darf man nicht an Verse denken, wie sie etwa Rodenbach raunte. Starr und groß stehen Verhaerens Mönche vor uns, als Symbole, als Träger des Glaubens. Er schildert Prozessionen und Gottesdienste, Askese und Einfalt, inneren Frieden und Zerknirschung- In Stefan Zweigs Nachdichtung möge eine „Klosterskizze" hier angeführt werden Aus rotem Dämmer schwerster Mitiagsschwiile Starren die Bänke mit berblich'nem Stamme, Und durch der Fenster Feuer schlägt die Flamme Der Sonnensträhnen bis ins Chorgestühle. Die Mönche, gleich in dem Gewand der Weihen, Mit gleichen Zeichen, gleichen Ordensfalten Und gleicher Starrheit in den Felsgestalten, Stehn aufrecht in zwei stummen fahlen Reihen. Und man erhängt, erhofft, mit einem Male Werde die Starre brechen und Chornle Aufdonnernd in die schwere Stille steigen. Allein nichts regt sich längs der matten Malter»! Ob auch die Stunden flüchten mit Erschauern — Die hagern Mönche schweigen .,, schweigen,.. schweigen .,. ") Mit Nachdruck verweise ich uns die dreibändige Verhaeren-Ausgabe Stefan Zweigs (im Insel-Verlag zu Leipzig). Sie enthält eine ausführliche Biographie und Charakteristik des Dichters, eine Auswahl aus den Gedichten und drei Dramen. Die Übersetzungen sind im ganzen als vorzüglich anzuerkennen und zeugen von Feiufiihligkeit und Fleiß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/331>, abgerufen am 29.12.2024.