Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Goethe im Bildnis Eines Tages erhielt Goethe, der gerade in Jena weilte, den Besuch von Berliner Man merkt nun, wie der Zulauf der Künstler wächst. Der alte Herr, gewissen¬ [Beginn Spaltensatz]
Sybillinisch mit meinem Gesicht soll ich im Alter prahlen? [Spaltenumbruch] Je mehr es ihm an Fülle gebricht, Desto öfter wallen sie's malen. [Ende Spaltensatz] Was sollte er aber machen, wenn etwa König Ludwig I. von Bayern schrieb: Auch das Ausland wollte sich der Züge des Poeten versichern. Der Franzose Allmählich wurde dem Achtzigjährigen die Mühe der Sitzungen arg beschwerlich. Goethe im Bildnis Eines Tages erhielt Goethe, der gerade in Jena weilte, den Besuch von Berliner Man merkt nun, wie der Zulauf der Künstler wächst. Der alte Herr, gewissen¬ [Beginn Spaltensatz]
Sybillinisch mit meinem Gesicht soll ich im Alter prahlen? [Spaltenumbruch] Je mehr es ihm an Fülle gebricht, Desto öfter wallen sie's malen. [Ende Spaltensatz] Was sollte er aber machen, wenn etwa König Ludwig I. von Bayern schrieb: Auch das Ausland wollte sich der Züge des Poeten versichern. Der Franzose Allmählich wurde dem Achtzigjährigen die Mühe der Sitzungen arg beschwerlich. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317923"/> <fw type="header" place="top"> Goethe im Bildnis</fw><lb/> <p xml:id="ID_1528"> Eines Tages erhielt Goethe, der gerade in Jena weilte, den Besuch von Berliner<lb/> Freunden, unter ihnen die Bildhauer Friedrich Tieck und Chr, D, Rauch. Jeder<lb/> bereitete im stillen für sich ein Attentat auf den alten Herrn vor: Tieck wollte<lb/> seinen früheren Versuch erneuern, Rauch glaubte einen langgehegten künstlerischen<lb/> Wunsch sich erfüllen zu können. An Ort und Stelle angelangt, erfuhren sie ihre<lb/> beiderseitigen Absichten, und Rauch wollte vornehm zurücktreten. Aber Goethe<lb/> ward gebeten, beide Künstler aufzufordern, und tat es auch. So entstanden im<lb/> August 1820 die „Atempo Büsten", zwei Werke von großem künstlerischen Reiz.<lb/> Tieck gibt mehr ein Porträt, dem man sprechende Ähnlichkeit nachrühmt. Rauch<lb/> sucht den Genius zu erobern, unterdrückt die Einzelformen, steigert das Verhältnis<lb/> der Teile untereinander, gewinnt durch leichte Wendung des Hauptes nach rechts<lb/> jene olympische Überlegenheit und sinnende Ruhe, die seither in fast allen Goethe-<lb/> Denkmälern mehr oder minder glücklich nachgeahmt worden ist. Der Dichter fand<lb/> die Rauchsche Büste „wirklich grandios". Sie wurde oft wiederholt und als<lb/> Vorlage benutzt, so von Antoine Bopp in Genf für seine Denkmünzen, die ihrerseits<lb/> wieder zahlreich nachgebildet wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1529"> Man merkt nun, wie der Zulauf der Künstler wächst. Der alte Herr, gewissen¬<lb/> haft, wie er sein Leben in den Annalen registriert, verzeichnet jede gewährte Sitzung,<lb/> wennschon nicht ohne manchen geheimen Stoßseufzer.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l><cb type="start"/> Sybillinisch mit meinem Gesicht<lb/> soll ich im Alter prahlen?<lb/><cb/> Je mehr es ihm an Fülle gebricht,<lb/> Desto öfter wallen sie's malen.<lb/><cb type="end"/> </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1530"> Was sollte er aber machen, wenn etwa König Ludwig I. von Bayern schrieb:<lb/> „Herr Staatsminister, ein wohlgetroffenes Bildnis des Königs der Teutschen<lb/> Dichter zu besitzen, ist ein von mir lange gehegter Wunsch', darum und darum<lb/> allein schicke ich meinen Hofmaler Stieler nach Weimar. . . ." Ende Mai 182«<lb/> begann Jos. Karl Stieler, der „Seelemnaler" nach Ludwigs Ankündigung, mit<lb/> den Studien, Anfang Juli war das Gemälde, das sehr bald zu den bekanntesten<lb/> gehören sollte, fertig, wurde in Weimar und Berlin höchlich bewundert und von<lb/> König Ludwig pietätvoll zum ersten Male am 28. August, an Goethes Geburtstag,<lb/> besichtigt. Es ist ein richtiges Haupt- und Staatsbild, aber doch, oder vielmehr<lb/> eben deshalb nicht frei von Zwang. Man sieht ordentlich, wie der Olympier —<lb/> das ist er auch diesmal wieder — sich zurechtgesetzt hat und den Blick über das<lb/> Wesenlose hinweg zur klassischen Höhe emporrichtet. Ein unberühmt gebliebener<lb/> Porzellanmaler ans Braunschweig, Ludwig Sebbers, kam zu intimeren Ergebnissen.<lb/> Seine Kreidezeichnung vom Jahre 182« ist vielleicht das unmittelbarste Alters¬<lb/> bildnis von Goethe überhaupt. Die strenge Profilansicht von links zeigt besonders<lb/> die etwas eingesunkene Nasenwurzel und das seherische Auge, dazu die fest¬<lb/> geschlossenen Lippen höchst charakteristisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1531"> Auch das Ausland wollte sich der Züge des Poeten versichern. Der Franzose<lb/> David d'Angers arbeitete im August 1829 die Studien zu seiner späteren Kolossal¬<lb/> büste, deren kühne Auffassung in Weimar sehr befremdete und erst in neuerer Zeit<lb/> so bewundert wird, wie sie es verdient. Die Stirn ist mächtig herausgewölbt, die<lb/> untere Gesichtshälfte gleichsam zurückgezogen und beschattet durch das monumentale<lb/> Vorneigen der oberen Teile. Der Blick geht von unten herauf in die Ferne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1532" next="#ID_1533"> Allmählich wurde dem Achtzigjährigen die Mühe der Sitzungen arg beschwerlich.<lb/> „Ich habe", sagte er 1831 zum Maler Schwerdgeburth auf dessen Bitte, „so oft</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0310]
Goethe im Bildnis
Eines Tages erhielt Goethe, der gerade in Jena weilte, den Besuch von Berliner
Freunden, unter ihnen die Bildhauer Friedrich Tieck und Chr, D, Rauch. Jeder
bereitete im stillen für sich ein Attentat auf den alten Herrn vor: Tieck wollte
seinen früheren Versuch erneuern, Rauch glaubte einen langgehegten künstlerischen
Wunsch sich erfüllen zu können. An Ort und Stelle angelangt, erfuhren sie ihre
beiderseitigen Absichten, und Rauch wollte vornehm zurücktreten. Aber Goethe
ward gebeten, beide Künstler aufzufordern, und tat es auch. So entstanden im
August 1820 die „Atempo Büsten", zwei Werke von großem künstlerischen Reiz.
Tieck gibt mehr ein Porträt, dem man sprechende Ähnlichkeit nachrühmt. Rauch
sucht den Genius zu erobern, unterdrückt die Einzelformen, steigert das Verhältnis
der Teile untereinander, gewinnt durch leichte Wendung des Hauptes nach rechts
jene olympische Überlegenheit und sinnende Ruhe, die seither in fast allen Goethe-
Denkmälern mehr oder minder glücklich nachgeahmt worden ist. Der Dichter fand
die Rauchsche Büste „wirklich grandios". Sie wurde oft wiederholt und als
Vorlage benutzt, so von Antoine Bopp in Genf für seine Denkmünzen, die ihrerseits
wieder zahlreich nachgebildet wurden.
Man merkt nun, wie der Zulauf der Künstler wächst. Der alte Herr, gewissen¬
haft, wie er sein Leben in den Annalen registriert, verzeichnet jede gewährte Sitzung,
wennschon nicht ohne manchen geheimen Stoßseufzer.
Sybillinisch mit meinem Gesicht
soll ich im Alter prahlen?
Je mehr es ihm an Fülle gebricht,
Desto öfter wallen sie's malen.
Was sollte er aber machen, wenn etwa König Ludwig I. von Bayern schrieb:
„Herr Staatsminister, ein wohlgetroffenes Bildnis des Königs der Teutschen
Dichter zu besitzen, ist ein von mir lange gehegter Wunsch', darum und darum
allein schicke ich meinen Hofmaler Stieler nach Weimar. . . ." Ende Mai 182«
begann Jos. Karl Stieler, der „Seelemnaler" nach Ludwigs Ankündigung, mit
den Studien, Anfang Juli war das Gemälde, das sehr bald zu den bekanntesten
gehören sollte, fertig, wurde in Weimar und Berlin höchlich bewundert und von
König Ludwig pietätvoll zum ersten Male am 28. August, an Goethes Geburtstag,
besichtigt. Es ist ein richtiges Haupt- und Staatsbild, aber doch, oder vielmehr
eben deshalb nicht frei von Zwang. Man sieht ordentlich, wie der Olympier —
das ist er auch diesmal wieder — sich zurechtgesetzt hat und den Blick über das
Wesenlose hinweg zur klassischen Höhe emporrichtet. Ein unberühmt gebliebener
Porzellanmaler ans Braunschweig, Ludwig Sebbers, kam zu intimeren Ergebnissen.
Seine Kreidezeichnung vom Jahre 182« ist vielleicht das unmittelbarste Alters¬
bildnis von Goethe überhaupt. Die strenge Profilansicht von links zeigt besonders
die etwas eingesunkene Nasenwurzel und das seherische Auge, dazu die fest¬
geschlossenen Lippen höchst charakteristisch.
Auch das Ausland wollte sich der Züge des Poeten versichern. Der Franzose
David d'Angers arbeitete im August 1829 die Studien zu seiner späteren Kolossal¬
büste, deren kühne Auffassung in Weimar sehr befremdete und erst in neuerer Zeit
so bewundert wird, wie sie es verdient. Die Stirn ist mächtig herausgewölbt, die
untere Gesichtshälfte gleichsam zurückgezogen und beschattet durch das monumentale
Vorneigen der oberen Teile. Der Blick geht von unten herauf in die Ferne.
Allmählich wurde dem Achtzigjährigen die Mühe der Sitzungen arg beschwerlich.
„Ich habe", sagte er 1831 zum Maler Schwerdgeburth auf dessen Bitte, „so oft
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