Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

diesen gebe, ihm das angebotene Darlehen abzuschlagen; denn schon um Olenkas
willen werde er das Studium nachholen müssen. Als auch diese ihn mit warmen
Worten bat, des Vaters Angebot anzunehmen, willigte Boris endlich ein, jedoch
unter der ausdrücklichen Bedingung der späteren Rückzahlung. Aber fast verwünschte
er im Innern auch schon seinen Entschluß, in die Hauptstadt zu gehen; hieß es
doch dann, sich auf Jahre hinaus von Olenka trennen. Und doch sagte ihm die
ruhige Überlegung, daß er mehr denn je jetzt die Pflicht habe, eine einträglichere
Lebensstellung zu erringen, mußte er doch nun nicht nur die Mutter, sondern auch
eine Frau mit ernähren.

Alles, was er im stillen bei sich so oft erwogen hatte und was auch eben
sein Herz bewegte, bekannte er offen und ehrlich in diesen Stunden trauten Mit-
einanders; und wieder war es Schejin, der den rettenden Vorschlag machte, der
von allen Seiten mit Freuden begrüßt wurde. Dieser erklärte kurz, daß es, zumal
die Sehnsucht nach Olenka Boris das Studium doch sehr erschweren würde, wohl
das Vernünftigste wäre, wenn das junge Paar schnell, in vier Wochen, Hochzeit
machen und dann gemeinsam in das eigene Heim in die Hauptstadt übersiedeln würde.

Errötete auch Olenka ein wenig bei der wunderbaren Aussicht, schon in so
kurzer Zeit mit Boris vereint zu sein, so stimmte sie nicht nur dem Vorschlage des
Vaters mit Freuden zu, sondern dieser mußte überdies noch die zärtlichsten Lieb¬
kosungen und Dankesausbrüche seiner Tochter über sich ergehen lassen. Auch
Mutter Okolitsch sagte zu allem, was der Hauptmann meinte, Ja und Amen, und
Boris selbst war von der unerwartet glücklichen Wendung seines Lebens so betäubt,
daß es ihm an Worten, sich mitzuteilen, gebrach.

Man kam überein, daß Mutter Okolitsch mit Bol zu dem Hauptmann ziehen
sollte, da beide gemeinsam die Einsamkeit und die Trennung von den Kindern
weniger schmerzlich empfinden würden. Das bisher von Okolitsch bewohnte
Häuschen sollte aber anderweit vermietet werden und der Mietzins den Kindern
als kleiner Zuschuß zufallen. Boris seinerseits wollte aber auf keinen Fall die
Mittel zum Lebensunterhalt für seine zukünftige Frau und sich selbst vom Haupt¬
mann annehmen. Vielmehr bestanden beide darauf, durch Stundengeben ihre
täglichen Bedürfnisse selbst zu decken. Sie erklärten, sich bis aufs äußerste ein¬
schränken, wie treue Kameraden Freude und Leid, Not und Sorge miteinander
tragen und dankbar und glücklich in dem Bewußtsein schaffen zu wollen, einander
zu besitzen und eins zu sein.

Die kurze Zeit bis zur Abreise sollte fleißig dazu ausgenutzt werden, alles
Nötige zu regeln und den beiden Alten noch zur Hand zu gehen. Und auch ihre
Hochzeit sollte nur eine ganz stille kirchliche Feier sein, ohne Schmaus und Gäste,
nur eine Weihestunde ihrer Herzen.

Mitternacht war längst verronnen, und noch immer saßen alle vier, Pläne
schmiedend, um deu summenden Samowar. Dankbar gedachte man des Tages,
der alles Leid in jubelnde Freude verwandelt hatte, und mit einem verheißungs¬
voller "Auf Wiedersehen!" trennte man sich endlich am frühen Morgen.

E n d e.




Im Flecken

diesen gebe, ihm das angebotene Darlehen abzuschlagen; denn schon um Olenkas
willen werde er das Studium nachholen müssen. Als auch diese ihn mit warmen
Worten bat, des Vaters Angebot anzunehmen, willigte Boris endlich ein, jedoch
unter der ausdrücklichen Bedingung der späteren Rückzahlung. Aber fast verwünschte
er im Innern auch schon seinen Entschluß, in die Hauptstadt zu gehen; hieß es
doch dann, sich auf Jahre hinaus von Olenka trennen. Und doch sagte ihm die
ruhige Überlegung, daß er mehr denn je jetzt die Pflicht habe, eine einträglichere
Lebensstellung zu erringen, mußte er doch nun nicht nur die Mutter, sondern auch
eine Frau mit ernähren.

Alles, was er im stillen bei sich so oft erwogen hatte und was auch eben
sein Herz bewegte, bekannte er offen und ehrlich in diesen Stunden trauten Mit-
einanders; und wieder war es Schejin, der den rettenden Vorschlag machte, der
von allen Seiten mit Freuden begrüßt wurde. Dieser erklärte kurz, daß es, zumal
die Sehnsucht nach Olenka Boris das Studium doch sehr erschweren würde, wohl
das Vernünftigste wäre, wenn das junge Paar schnell, in vier Wochen, Hochzeit
machen und dann gemeinsam in das eigene Heim in die Hauptstadt übersiedeln würde.

Errötete auch Olenka ein wenig bei der wunderbaren Aussicht, schon in so
kurzer Zeit mit Boris vereint zu sein, so stimmte sie nicht nur dem Vorschlage des
Vaters mit Freuden zu, sondern dieser mußte überdies noch die zärtlichsten Lieb¬
kosungen und Dankesausbrüche seiner Tochter über sich ergehen lassen. Auch
Mutter Okolitsch sagte zu allem, was der Hauptmann meinte, Ja und Amen, und
Boris selbst war von der unerwartet glücklichen Wendung seines Lebens so betäubt,
daß es ihm an Worten, sich mitzuteilen, gebrach.

Man kam überein, daß Mutter Okolitsch mit Bol zu dem Hauptmann ziehen
sollte, da beide gemeinsam die Einsamkeit und die Trennung von den Kindern
weniger schmerzlich empfinden würden. Das bisher von Okolitsch bewohnte
Häuschen sollte aber anderweit vermietet werden und der Mietzins den Kindern
als kleiner Zuschuß zufallen. Boris seinerseits wollte aber auf keinen Fall die
Mittel zum Lebensunterhalt für seine zukünftige Frau und sich selbst vom Haupt¬
mann annehmen. Vielmehr bestanden beide darauf, durch Stundengeben ihre
täglichen Bedürfnisse selbst zu decken. Sie erklärten, sich bis aufs äußerste ein¬
schränken, wie treue Kameraden Freude und Leid, Not und Sorge miteinander
tragen und dankbar und glücklich in dem Bewußtsein schaffen zu wollen, einander
zu besitzen und eins zu sein.

Die kurze Zeit bis zur Abreise sollte fleißig dazu ausgenutzt werden, alles
Nötige zu regeln und den beiden Alten noch zur Hand zu gehen. Und auch ihre
Hochzeit sollte nur eine ganz stille kirchliche Feier sein, ohne Schmaus und Gäste,
nur eine Weihestunde ihrer Herzen.

Mitternacht war längst verronnen, und noch immer saßen alle vier, Pläne
schmiedend, um deu summenden Samowar. Dankbar gedachte man des Tages,
der alles Leid in jubelnde Freude verwandelt hatte, und mit einem verheißungs¬
voller „Auf Wiedersehen!" trennte man sich endlich am frühen Morgen.

E n d e.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317918"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500"> diesen gebe, ihm das angebotene Darlehen abzuschlagen; denn schon um Olenkas<lb/>
willen werde er das Studium nachholen müssen. Als auch diese ihn mit warmen<lb/>
Worten bat, des Vaters Angebot anzunehmen, willigte Boris endlich ein, jedoch<lb/>
unter der ausdrücklichen Bedingung der späteren Rückzahlung. Aber fast verwünschte<lb/>
er im Innern auch schon seinen Entschluß, in die Hauptstadt zu gehen; hieß es<lb/>
doch dann, sich auf Jahre hinaus von Olenka trennen. Und doch sagte ihm die<lb/>
ruhige Überlegung, daß er mehr denn je jetzt die Pflicht habe, eine einträglichere<lb/>
Lebensstellung zu erringen, mußte er doch nun nicht nur die Mutter, sondern auch<lb/>
eine Frau mit ernähren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1502"> Alles, was er im stillen bei sich so oft erwogen hatte und was auch eben<lb/>
sein Herz bewegte, bekannte er offen und ehrlich in diesen Stunden trauten Mit-<lb/>
einanders; und wieder war es Schejin, der den rettenden Vorschlag machte, der<lb/>
von allen Seiten mit Freuden begrüßt wurde. Dieser erklärte kurz, daß es, zumal<lb/>
die Sehnsucht nach Olenka Boris das Studium doch sehr erschweren würde, wohl<lb/>
das Vernünftigste wäre, wenn das junge Paar schnell, in vier Wochen, Hochzeit<lb/>
machen und dann gemeinsam in das eigene Heim in die Hauptstadt übersiedeln würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1503"> Errötete auch Olenka ein wenig bei der wunderbaren Aussicht, schon in so<lb/>
kurzer Zeit mit Boris vereint zu sein, so stimmte sie nicht nur dem Vorschlage des<lb/>
Vaters mit Freuden zu, sondern dieser mußte überdies noch die zärtlichsten Lieb¬<lb/>
kosungen und Dankesausbrüche seiner Tochter über sich ergehen lassen. Auch<lb/>
Mutter Okolitsch sagte zu allem, was der Hauptmann meinte, Ja und Amen, und<lb/>
Boris selbst war von der unerwartet glücklichen Wendung seines Lebens so betäubt,<lb/>
daß es ihm an Worten, sich mitzuteilen, gebrach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1504"> Man kam überein, daß Mutter Okolitsch mit Bol zu dem Hauptmann ziehen<lb/>
sollte, da beide gemeinsam die Einsamkeit und die Trennung von den Kindern<lb/>
weniger schmerzlich empfinden würden. Das bisher von Okolitsch bewohnte<lb/>
Häuschen sollte aber anderweit vermietet werden und der Mietzins den Kindern<lb/>
als kleiner Zuschuß zufallen. Boris seinerseits wollte aber auf keinen Fall die<lb/>
Mittel zum Lebensunterhalt für seine zukünftige Frau und sich selbst vom Haupt¬<lb/>
mann annehmen. Vielmehr bestanden beide darauf, durch Stundengeben ihre<lb/>
täglichen Bedürfnisse selbst zu decken. Sie erklärten, sich bis aufs äußerste ein¬<lb/>
schränken, wie treue Kameraden Freude und Leid, Not und Sorge miteinander<lb/>
tragen und dankbar und glücklich in dem Bewußtsein schaffen zu wollen, einander<lb/>
zu besitzen und eins zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1505"> Die kurze Zeit bis zur Abreise sollte fleißig dazu ausgenutzt werden, alles<lb/>
Nötige zu regeln und den beiden Alten noch zur Hand zu gehen. Und auch ihre<lb/>
Hochzeit sollte nur eine ganz stille kirchliche Feier sein, ohne Schmaus und Gäste,<lb/>
nur eine Weihestunde ihrer Herzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1506"> Mitternacht war längst verronnen, und noch immer saßen alle vier, Pläne<lb/>
schmiedend, um deu summenden Samowar. Dankbar gedachte man des Tages,<lb/>
der alles Leid in jubelnde Freude verwandelt hatte, und mit einem verheißungs¬<lb/>
voller &#x201E;Auf Wiedersehen!" trennte man sich endlich am frühen Morgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1507"> E n d e.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] Im Flecken diesen gebe, ihm das angebotene Darlehen abzuschlagen; denn schon um Olenkas willen werde er das Studium nachholen müssen. Als auch diese ihn mit warmen Worten bat, des Vaters Angebot anzunehmen, willigte Boris endlich ein, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung der späteren Rückzahlung. Aber fast verwünschte er im Innern auch schon seinen Entschluß, in die Hauptstadt zu gehen; hieß es doch dann, sich auf Jahre hinaus von Olenka trennen. Und doch sagte ihm die ruhige Überlegung, daß er mehr denn je jetzt die Pflicht habe, eine einträglichere Lebensstellung zu erringen, mußte er doch nun nicht nur die Mutter, sondern auch eine Frau mit ernähren. Alles, was er im stillen bei sich so oft erwogen hatte und was auch eben sein Herz bewegte, bekannte er offen und ehrlich in diesen Stunden trauten Mit- einanders; und wieder war es Schejin, der den rettenden Vorschlag machte, der von allen Seiten mit Freuden begrüßt wurde. Dieser erklärte kurz, daß es, zumal die Sehnsucht nach Olenka Boris das Studium doch sehr erschweren würde, wohl das Vernünftigste wäre, wenn das junge Paar schnell, in vier Wochen, Hochzeit machen und dann gemeinsam in das eigene Heim in die Hauptstadt übersiedeln würde. Errötete auch Olenka ein wenig bei der wunderbaren Aussicht, schon in so kurzer Zeit mit Boris vereint zu sein, so stimmte sie nicht nur dem Vorschlage des Vaters mit Freuden zu, sondern dieser mußte überdies noch die zärtlichsten Lieb¬ kosungen und Dankesausbrüche seiner Tochter über sich ergehen lassen. Auch Mutter Okolitsch sagte zu allem, was der Hauptmann meinte, Ja und Amen, und Boris selbst war von der unerwartet glücklichen Wendung seines Lebens so betäubt, daß es ihm an Worten, sich mitzuteilen, gebrach. Man kam überein, daß Mutter Okolitsch mit Bol zu dem Hauptmann ziehen sollte, da beide gemeinsam die Einsamkeit und die Trennung von den Kindern weniger schmerzlich empfinden würden. Das bisher von Okolitsch bewohnte Häuschen sollte aber anderweit vermietet werden und der Mietzins den Kindern als kleiner Zuschuß zufallen. Boris seinerseits wollte aber auf keinen Fall die Mittel zum Lebensunterhalt für seine zukünftige Frau und sich selbst vom Haupt¬ mann annehmen. Vielmehr bestanden beide darauf, durch Stundengeben ihre täglichen Bedürfnisse selbst zu decken. Sie erklärten, sich bis aufs äußerste ein¬ schränken, wie treue Kameraden Freude und Leid, Not und Sorge miteinander tragen und dankbar und glücklich in dem Bewußtsein schaffen zu wollen, einander zu besitzen und eins zu sein. Die kurze Zeit bis zur Abreise sollte fleißig dazu ausgenutzt werden, alles Nötige zu regeln und den beiden Alten noch zur Hand zu gehen. Und auch ihre Hochzeit sollte nur eine ganz stille kirchliche Feier sein, ohne Schmaus und Gäste, nur eine Weihestunde ihrer Herzen. Mitternacht war längst verronnen, und noch immer saßen alle vier, Pläne schmiedend, um deu summenden Samowar. Dankbar gedachte man des Tages, der alles Leid in jubelnde Freude verwandelt hatte, und mit einem verheißungs¬ voller „Auf Wiedersehen!" trennte man sich endlich am frühen Morgen. E n d e.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/305>, abgerufen am 24.07.2024.