Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Im Flecken Der Alte sah Mutter und Sohn fassungslos an. Er schien ihre Mit¬ "Wie finden Sie den Plan, Andrej Fomitsch?" fragte Frau Okolitsch. Es vergingen einige Sekunden, bis sich der Hauptmann zu antworten ent¬ Boris hatte schweigend zugehört, und auch jetzt schien er sich eine Antwort "Lieber junger Freund, ich habe einen Ausweg gefunden und trage damit Er hielt ihm bittend die Hand hin. "Schlagen Sie ein, Boris Stepanowitsch, machen Sie einem alten Manne "Andrej Fomitsch, ich danke Ihnen, von Herzen danke ich Ihnen- aber ich Frau Okolitsch kam seinem Wunsche nach. Sie war im innersten Herzen Auf Schejins Stirn hatte sich eine kleine Unmutsfalte niedergelassen. Er Im Flecken Der Alte sah Mutter und Sohn fassungslos an. Er schien ihre Mit¬ „Wie finden Sie den Plan, Andrej Fomitsch?" fragte Frau Okolitsch. Es vergingen einige Sekunden, bis sich der Hauptmann zu antworten ent¬ Boris hatte schweigend zugehört, und auch jetzt schien er sich eine Antwort „Lieber junger Freund, ich habe einen Ausweg gefunden und trage damit Er hielt ihm bittend die Hand hin. „Schlagen Sie ein, Boris Stepanowitsch, machen Sie einem alten Manne „Andrej Fomitsch, ich danke Ihnen, von Herzen danke ich Ihnen- aber ich Frau Okolitsch kam seinem Wunsche nach. Sie war im innersten Herzen Auf Schejins Stirn hatte sich eine kleine Unmutsfalte niedergelassen. Er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317912"/> <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1417"> Der Alte sah Mutter und Sohn fassungslos an. Er schien ihre Mit¬<lb/> teilung nicht zu begreifen, und es dauerte eine geraume Weile, bis Boris ihm<lb/> auseinandergesetzt hatte, um waS es sich handelte. Er schüttelte nur immer den<lb/> Kopf, ließ ein Räuspern dazwischen vernehmen und stieß aus seinem kurzen Pfeifchen<lb/> mächtige Wolken in das Zimmer hinein. Dazwischen murmelte er vor sich hin:<lb/> „Fort! FortI" und schüttelte wieder den Kopf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1418"> „Wie finden Sie den Plan, Andrej Fomitsch?" fragte Frau Okolitsch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1419"> Es vergingen einige Sekunden, bis sich der Hauptmann zu antworten ent¬<lb/> schloß. „Hin! —hin! — Gouvernementsstadt — Polizeidienst — was soll man<lb/> sagen? Es ist der richtige Beruf für Sie, junger Freund, das ist wahr. Wenn<lb/> ich bedenke, daß ich ohne Sie ein Bettler geblieben wäre, wirklich und wahrhaftig<lb/> ein Bettler, und daß die ganze Polizei hier nur Ihnen den Fang der Banditen zu<lb/> verdanken hat," — Boris hob abwehrend die Hand — „so muß ich wohl sagen, Boris<lb/> Stepanowitsch, Sie sind geboren für den Polizeidicnst. Aber sehen Sie, ein Aber ist<lb/> dabei. Ich meine nämlich, Sie eignen sich für den Beruf eines Richters, Staats-<lb/> anwaltes usw., aber nicht so sehr für den Posten eines kleineren Polizeibeamten. Sie<lb/> würden selbständig handeln und mit Energie die Sachen verfolgen wollen, und das<lb/> würde Ihnen, als Unterbeamten, gewiß oft bei der hohen Obrigkeit einen Verweis ein¬<lb/> tragen. Sie wissen, die Herren da oben schlafen gern" — er kniff die Augen<lb/> dabei zusammen — „und lieben es nicht, von Untergebenen geweckt zu werden.<lb/> Boris Stepanowitsch, nein, gehen Sie nicht zur Polizei, tun Sie es nicht, sondern<lb/> wenden Sie sich lieber dem Beruf eines Richters zu."</p><lb/> <p xml:id="ID_1420"> Boris hatte schweigend zugehört, und auch jetzt schien er sich eine Antwort<lb/> noch zu überlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1421"> „Lieber junger Freund, ich habe einen Ausweg gefunden und trage damit<lb/> nur den allsrkleinsten Teil meiner Dankbarkeit ab. Nehmen Sie von mir das<lb/> Geld zum Studium, holen Sie nach, was Sie versäumt haben. Sie sind jung<lb/> und gesund, haben Courage für zehn, da geht alles von selbst. Fahren Sie in<lb/> Gottes und aller Heiligen Namen in die Hauptstadt und studieren Sie, was Sie<lb/> können. Die Fürsprache des Staatsanwalts ist Ihnen sicher, und ich wette, wir<lb/> werden bald einen Untersuchungsrichter mehr haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_1422"> Er hielt ihm bittend die Hand hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_1423"> „Schlagen Sie ein, Boris Stepanowitsch, machen Sie einem alten Manne<lb/> die Freude."</p><lb/> <p xml:id="ID_1424"> „Andrej Fomitsch, ich danke Ihnen, von Herzen danke ich Ihnen- aber ich<lb/> kann das nicht annehmen. Wer weiß, wann ich Ihnen das Darlehen abgeben<lb/> könnte und ob ich nicht am Ende vorher — was Gott verhüten möge — das<lb/> Zeitliche segne. Was dann? Nein, ich habe längst Abschied genommen von<lb/> meinen Jugendwünschen, und dabei soll es bleiben. Liebes Mamchen," wandte<lb/> sich Okolitsch an die Mutter, „willst du uns nicht noch ein Glas Tee einschenken?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1425"> Frau Okolitsch kam seinem Wunsche nach. Sie war im innersten Herzen<lb/> nicht ganz mit Boris einverstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1426"> Auf Schejins Stirn hatte sich eine kleine Unmutsfalte niedergelassen. Er<lb/> hätte dem jungen Mann, der ihm ganz ans Herz gewachsen war, so gern geholfen,<lb/> und es verstimmte ihn, daß er sich nicht helfen lassen wollte. Und Olenka? Was<lb/> würde sie nnr dazu sagen?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Im Flecken
Der Alte sah Mutter und Sohn fassungslos an. Er schien ihre Mit¬
teilung nicht zu begreifen, und es dauerte eine geraume Weile, bis Boris ihm
auseinandergesetzt hatte, um waS es sich handelte. Er schüttelte nur immer den
Kopf, ließ ein Räuspern dazwischen vernehmen und stieß aus seinem kurzen Pfeifchen
mächtige Wolken in das Zimmer hinein. Dazwischen murmelte er vor sich hin:
„Fort! FortI" und schüttelte wieder den Kopf.
„Wie finden Sie den Plan, Andrej Fomitsch?" fragte Frau Okolitsch.
Es vergingen einige Sekunden, bis sich der Hauptmann zu antworten ent¬
schloß. „Hin! —hin! — Gouvernementsstadt — Polizeidienst — was soll man
sagen? Es ist der richtige Beruf für Sie, junger Freund, das ist wahr. Wenn
ich bedenke, daß ich ohne Sie ein Bettler geblieben wäre, wirklich und wahrhaftig
ein Bettler, und daß die ganze Polizei hier nur Ihnen den Fang der Banditen zu
verdanken hat," — Boris hob abwehrend die Hand — „so muß ich wohl sagen, Boris
Stepanowitsch, Sie sind geboren für den Polizeidicnst. Aber sehen Sie, ein Aber ist
dabei. Ich meine nämlich, Sie eignen sich für den Beruf eines Richters, Staats-
anwaltes usw., aber nicht so sehr für den Posten eines kleineren Polizeibeamten. Sie
würden selbständig handeln und mit Energie die Sachen verfolgen wollen, und das
würde Ihnen, als Unterbeamten, gewiß oft bei der hohen Obrigkeit einen Verweis ein¬
tragen. Sie wissen, die Herren da oben schlafen gern" — er kniff die Augen
dabei zusammen — „und lieben es nicht, von Untergebenen geweckt zu werden.
Boris Stepanowitsch, nein, gehen Sie nicht zur Polizei, tun Sie es nicht, sondern
wenden Sie sich lieber dem Beruf eines Richters zu."
Boris hatte schweigend zugehört, und auch jetzt schien er sich eine Antwort
noch zu überlegen.
„Lieber junger Freund, ich habe einen Ausweg gefunden und trage damit
nur den allsrkleinsten Teil meiner Dankbarkeit ab. Nehmen Sie von mir das
Geld zum Studium, holen Sie nach, was Sie versäumt haben. Sie sind jung
und gesund, haben Courage für zehn, da geht alles von selbst. Fahren Sie in
Gottes und aller Heiligen Namen in die Hauptstadt und studieren Sie, was Sie
können. Die Fürsprache des Staatsanwalts ist Ihnen sicher, und ich wette, wir
werden bald einen Untersuchungsrichter mehr haben."
Er hielt ihm bittend die Hand hin.
„Schlagen Sie ein, Boris Stepanowitsch, machen Sie einem alten Manne
die Freude."
„Andrej Fomitsch, ich danke Ihnen, von Herzen danke ich Ihnen- aber ich
kann das nicht annehmen. Wer weiß, wann ich Ihnen das Darlehen abgeben
könnte und ob ich nicht am Ende vorher — was Gott verhüten möge — das
Zeitliche segne. Was dann? Nein, ich habe längst Abschied genommen von
meinen Jugendwünschen, und dabei soll es bleiben. Liebes Mamchen," wandte
sich Okolitsch an die Mutter, „willst du uns nicht noch ein Glas Tee einschenken?"
Frau Okolitsch kam seinem Wunsche nach. Sie war im innersten Herzen
nicht ganz mit Boris einverstanden.
Auf Schejins Stirn hatte sich eine kleine Unmutsfalte niedergelassen. Er
hätte dem jungen Mann, der ihm ganz ans Herz gewachsen war, so gern geholfen,
und es verstimmte ihn, daß er sich nicht helfen lassen wollte. Und Olenka? Was
würde sie nnr dazu sagen?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |