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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

ständigen Einrichtung geworden sind, als ein trauriges Zeichen kurzsichtiger
Finanzpolitik, obwohl der Gesetzgeber in seiner Ratlosigkeit schon zu Fahrkarten
und Streichhölzern gegriffen hat, zeigt sich in dem neuesten Haushalt doch
wieder ein Fehlbetrag, den man ohne Rücksicht auf die damit verbundene neue
Belastung des Grundbesitzes durch ein Gesetz sür diesen Zweck glaubte decken
zu sollen. Und dabei ist es bekannt, daß dringende Ausgaben zurückgestellt
sind, uni einen größeren Fehlbetrag zu vermeiden. Es ist bekannt, daß die
Ausgaben für Heer und Flotte nach dem Urteil der Sachverständigen in absehbarer
Zeit unmöglich verringert werden können. Unter diesen Umstünden erscheint
von allen finanziellen Schwierigkeiten die der Unterbringung der 500 Millionen
Einnahmen aus dem Reichserbrecht als die geringste. Nach meiner Überzeugung
ist folgende Verwendung der Mehreinkünste zweckmäßig und geboten. Die
dringendste Aufgabe der deutschen Finanzpolitik, die die Lösung einer ganzen
Reihe anderer Fragen in sich schließt, ist die schleunige Tilgung der Reichs-
schuld, die einen Hemmschuh für die innere Entwickelung Deutschlands und eine
Gefahr für den europäischen Frieden bildet. Demnächst ist ein Rcichsschatz für
die Zwecke des Krieges und Friedens zu errichten, von angemessener, den
heutigen Verhältnissen entsprechenderHöhe, ein Betrag von 500 bis 1000Millionen,
der in Anlehnung an die Miquelschen Vorschläge zinsbar anzulegen ist. Die
Ausführung dieses Finanzplanes wird innerhalb eines Zeitraumes von zehn
Jahren eine Wiedergeburt der Neichsfinanzen zur Folge haben. Behufs Ver¬
wendung der weiteren Einnahmen aus dem Erbrecht des Reiches dürfte, nach¬
dem der Durchschnittsertrag zuverlässig ermittelt ist, zu erwägen sein, ob die
Beseitigung solcher Steuern vorgenommen werden kann, die in besonderem
Maße den Unwillen der Bevölkerung hervorgerufen haben. In letzter Linie, --
nicht, wie dies zum Schaden der Finanzlage bisher geschehen ist, in erster
Linie, -- sollten Überweisungen an die Bundesstaaten vorgenommen werden,
soweit Überschüsse vorhanden sind. -- Danach besteht kein Anlaß zu Besorg¬
nissen, daß das Vermögen des Reiches übermäßig anwachsen könnte.

Herr v. Katte meint weiter, vom konservativen Standpunkte aus könne
dem Plane nicht zugestimmt werden. Auch die Ansicht scheint irrig zu sein.
Denn der frühere preußische Finanzminister, Frhr. v. Rheinbaben, dessen
konservative Gesinnung nicht bezweifelt worden ist, war der eifrigste Förderer
der Sache der Erbrechtsreform innerhalb der preußischen Regierung. Und er
wurde dabei von den großen konservativen Blättern, namentlich auch von der
Kreuzzeitung, warm unterstützt. Im Einklang damit hat die konservative Partei
durch einen ihrer Führer, den Grafen Schwerin-Lowitz, in der Sitzung des
Reichstages vom 26. November 1908 eine offizielle Erklärung zugunsten des
Erbrechts des Reiches abgeben lassen. (Ur. 44 der Grenzboten von 1910 S. 203.)
Die abweichende Ansicht des Herrn v. Katte steht auch im Widerspruch mit den
Auslassungen der namhaftesten Lehrer der Staatswissenschaft und National¬
ökonomie, die großenteils ausdrücklich vom konservativen Standpunkt im Interesse


Für das Erbrecht des Reiches

ständigen Einrichtung geworden sind, als ein trauriges Zeichen kurzsichtiger
Finanzpolitik, obwohl der Gesetzgeber in seiner Ratlosigkeit schon zu Fahrkarten
und Streichhölzern gegriffen hat, zeigt sich in dem neuesten Haushalt doch
wieder ein Fehlbetrag, den man ohne Rücksicht auf die damit verbundene neue
Belastung des Grundbesitzes durch ein Gesetz sür diesen Zweck glaubte decken
zu sollen. Und dabei ist es bekannt, daß dringende Ausgaben zurückgestellt
sind, uni einen größeren Fehlbetrag zu vermeiden. Es ist bekannt, daß die
Ausgaben für Heer und Flotte nach dem Urteil der Sachverständigen in absehbarer
Zeit unmöglich verringert werden können. Unter diesen Umstünden erscheint
von allen finanziellen Schwierigkeiten die der Unterbringung der 500 Millionen
Einnahmen aus dem Reichserbrecht als die geringste. Nach meiner Überzeugung
ist folgende Verwendung der Mehreinkünste zweckmäßig und geboten. Die
dringendste Aufgabe der deutschen Finanzpolitik, die die Lösung einer ganzen
Reihe anderer Fragen in sich schließt, ist die schleunige Tilgung der Reichs-
schuld, die einen Hemmschuh für die innere Entwickelung Deutschlands und eine
Gefahr für den europäischen Frieden bildet. Demnächst ist ein Rcichsschatz für
die Zwecke des Krieges und Friedens zu errichten, von angemessener, den
heutigen Verhältnissen entsprechenderHöhe, ein Betrag von 500 bis 1000Millionen,
der in Anlehnung an die Miquelschen Vorschläge zinsbar anzulegen ist. Die
Ausführung dieses Finanzplanes wird innerhalb eines Zeitraumes von zehn
Jahren eine Wiedergeburt der Neichsfinanzen zur Folge haben. Behufs Ver¬
wendung der weiteren Einnahmen aus dem Erbrecht des Reiches dürfte, nach¬
dem der Durchschnittsertrag zuverlässig ermittelt ist, zu erwägen sein, ob die
Beseitigung solcher Steuern vorgenommen werden kann, die in besonderem
Maße den Unwillen der Bevölkerung hervorgerufen haben. In letzter Linie, —
nicht, wie dies zum Schaden der Finanzlage bisher geschehen ist, in erster
Linie, — sollten Überweisungen an die Bundesstaaten vorgenommen werden,
soweit Überschüsse vorhanden sind. — Danach besteht kein Anlaß zu Besorg¬
nissen, daß das Vermögen des Reiches übermäßig anwachsen könnte.

Herr v. Katte meint weiter, vom konservativen Standpunkte aus könne
dem Plane nicht zugestimmt werden. Auch die Ansicht scheint irrig zu sein.
Denn der frühere preußische Finanzminister, Frhr. v. Rheinbaben, dessen
konservative Gesinnung nicht bezweifelt worden ist, war der eifrigste Förderer
der Sache der Erbrechtsreform innerhalb der preußischen Regierung. Und er
wurde dabei von den großen konservativen Blättern, namentlich auch von der
Kreuzzeitung, warm unterstützt. Im Einklang damit hat die konservative Partei
durch einen ihrer Führer, den Grafen Schwerin-Lowitz, in der Sitzung des
Reichstages vom 26. November 1908 eine offizielle Erklärung zugunsten des
Erbrechts des Reiches abgeben lassen. (Ur. 44 der Grenzboten von 1910 S. 203.)
Die abweichende Ansicht des Herrn v. Katte steht auch im Widerspruch mit den
Auslassungen der namhaftesten Lehrer der Staatswissenschaft und National¬
ökonomie, die großenteils ausdrücklich vom konservativen Standpunkt im Interesse


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[0289] Für das Erbrecht des Reiches ständigen Einrichtung geworden sind, als ein trauriges Zeichen kurzsichtiger Finanzpolitik, obwohl der Gesetzgeber in seiner Ratlosigkeit schon zu Fahrkarten und Streichhölzern gegriffen hat, zeigt sich in dem neuesten Haushalt doch wieder ein Fehlbetrag, den man ohne Rücksicht auf die damit verbundene neue Belastung des Grundbesitzes durch ein Gesetz sür diesen Zweck glaubte decken zu sollen. Und dabei ist es bekannt, daß dringende Ausgaben zurückgestellt sind, uni einen größeren Fehlbetrag zu vermeiden. Es ist bekannt, daß die Ausgaben für Heer und Flotte nach dem Urteil der Sachverständigen in absehbarer Zeit unmöglich verringert werden können. Unter diesen Umstünden erscheint von allen finanziellen Schwierigkeiten die der Unterbringung der 500 Millionen Einnahmen aus dem Reichserbrecht als die geringste. Nach meiner Überzeugung ist folgende Verwendung der Mehreinkünste zweckmäßig und geboten. Die dringendste Aufgabe der deutschen Finanzpolitik, die die Lösung einer ganzen Reihe anderer Fragen in sich schließt, ist die schleunige Tilgung der Reichs- schuld, die einen Hemmschuh für die innere Entwickelung Deutschlands und eine Gefahr für den europäischen Frieden bildet. Demnächst ist ein Rcichsschatz für die Zwecke des Krieges und Friedens zu errichten, von angemessener, den heutigen Verhältnissen entsprechenderHöhe, ein Betrag von 500 bis 1000Millionen, der in Anlehnung an die Miquelschen Vorschläge zinsbar anzulegen ist. Die Ausführung dieses Finanzplanes wird innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren eine Wiedergeburt der Neichsfinanzen zur Folge haben. Behufs Ver¬ wendung der weiteren Einnahmen aus dem Erbrecht des Reiches dürfte, nach¬ dem der Durchschnittsertrag zuverlässig ermittelt ist, zu erwägen sein, ob die Beseitigung solcher Steuern vorgenommen werden kann, die in besonderem Maße den Unwillen der Bevölkerung hervorgerufen haben. In letzter Linie, — nicht, wie dies zum Schaden der Finanzlage bisher geschehen ist, in erster Linie, — sollten Überweisungen an die Bundesstaaten vorgenommen werden, soweit Überschüsse vorhanden sind. — Danach besteht kein Anlaß zu Besorg¬ nissen, daß das Vermögen des Reiches übermäßig anwachsen könnte. Herr v. Katte meint weiter, vom konservativen Standpunkte aus könne dem Plane nicht zugestimmt werden. Auch die Ansicht scheint irrig zu sein. Denn der frühere preußische Finanzminister, Frhr. v. Rheinbaben, dessen konservative Gesinnung nicht bezweifelt worden ist, war der eifrigste Förderer der Sache der Erbrechtsreform innerhalb der preußischen Regierung. Und er wurde dabei von den großen konservativen Blättern, namentlich auch von der Kreuzzeitung, warm unterstützt. Im Einklang damit hat die konservative Partei durch einen ihrer Führer, den Grafen Schwerin-Lowitz, in der Sitzung des Reichstages vom 26. November 1908 eine offizielle Erklärung zugunsten des Erbrechts des Reiches abgeben lassen. (Ur. 44 der Grenzboten von 1910 S. 203.) Die abweichende Ansicht des Herrn v. Katte steht auch im Widerspruch mit den Auslassungen der namhaftesten Lehrer der Staatswissenschaft und National¬ ökonomie, die großenteils ausdrücklich vom konservativen Standpunkt im Interesse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/289>, abgerufen am 24.07.2024.