Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Rethel -- Feuerbach -- Marsch und Nietzsches, Boecklins und Thomas, Hoffmanns und Hodlers leitet Hans Gi-enzvoten l 1911 31
Rethel — Feuerbach — Marsch und Nietzsches, Boecklins und Thomas, Hoffmanns und Hodlers leitet Hans Gi-enzvoten l 1911 31
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Rethel — Feuerbach — Marsch
und Nietzsches, Boecklins und Thomas, Hoffmanns und Hodlers leitet Hans
v. Mar6es ein und erklärt sie uns. Aber wie all diesen, zu denen sich
noch längst anerkannte Künstler wie Schwind und Seelilie gesellen, ist ihnen
der Ruhm versagt geblieben, der anderen und wieviel mehr dem Klassiker
Goethe ihr Bestes gab. Sie sind im Bewußtsein einer Schuld gestorben, die
erdrückender ist als jode andere, der Schuld des Menschen, das Feuer der Einsicht
vom Himmel geholt zu haben. Ihr Märtyrertum unterscheidet sich von dem etwa
Böcklins dadurch, daß es lange über ihren Tod hinaus dauerte. Darum verdient
ihr Schicksal die Heiligsprechung der Nachkommen, mehr aber noch durch den
ganz vereinsamt stehenden Realismus ihrer Werke, der durch und durch proble¬
matischer Idealismus ist, der die in diesen Künstlern Temperament gewordenen
Gedanken zu ihrer siderischen Geburt zwang, dein sie lebendige Gestalten ersannen
und so das Symbol der biblischen Schöpfungsgeschichte für die Schaffensgeschichte
der Kunst in Anspruch nahmen. Alfred Rethel war vierzehn Jahre, als er nach
Düsseldorf zu Wilhelm Schadow kam; der Ruf dieses Lehrers war damals
(1829) noch neu und verschaffte der Akademie einen ungeahnten Zulauf von
Schülern. Amseln Feuerland kam 1845, sechzehnjährig, schon zu dem „alten"
Schadow. Der Ruhm Düsseldorfs und seiner Schule erfüllte die Welt. Aber
beide enttäuschten sie ihren Lehrer. Rethel stellte sich sogar eine Zeitlang an die
Spitze einer Opposition, zog nach Frankfurt und versöhnte sich erst später aus
gesellschaftlichen Gründen mit seinem Lehrer. Inzwischen hatte er die Aufmerk¬
samkeit auf sich gelenkt, vorzüglich durch seine Totentanz-Holzschnitte der Revolution,
die, 1849 von der Reaktion weidlich ausgenutzt, auch dein Künstler Rethel zugute
kamen. Sein Schicksal vollzieht sich in ihm selbst, und ^die Schikanen, die ihm die
Aachener Bürgerschaft im Kampf um die Fenster des Rathaussaales bereitete,
begleiten nur das Ringen eines Künstlers, der über sich selbst hinauswollte, wie
der Chor der alten Tragödien die Worte des Königs gegen die Gottheit, als deren
Werkzeug er seine Siege und seine Niederlagen errang. „Die Geschichte des Malers
Alfred Rethel schreiben," sagt Josef Porter in seiner trefflichen Nethelbiographie
(die mit dem Gesamtwert Rethels als Siebzehnter Band der „Klassiker der Kunst
in Gesamtausgaben" in der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, erschienen ist),
„heißt zwei Tragödien berichten: die einer Kunstrichtung (der Romantik), welche
Gewaltiges erstrebte und Klägliches erreichte, die eines Künstlers, der, im zweiten
Menschenalter der neuen Ideale, mühsam, unfroh ans Ziel kam, wo er, ein
anderer Läufer von Marathon, zusammenbrach." Daß die Aachener Fresken das
Schmerzenskind dieses mächtigen Künstlertorsos wurden, ist bekannt, wie daß er
selbst vor ihnen davonlief, ohne sie zu vollenden, der Unbillen satt, die man ihm
in Aachen bereitete, und einer Technik müde, die er selbst gleichsam aus einem Nichts
von Überlieferung neu schuf, und in der er mit dem Instinkt des Genies seinen
letzten Vorgänger Tiepolo überflügelte. Aber wer ahnt es angesichts dieser mächtig
bewegten Schlachtenszenen, in denen sich eine übermenschliche Leidenschaft, ein sich
selbst verzehrendes Feuer das Letzte der Wandmalerei an Menschentragik, Kampf
und Tod zu offenbaren strebte, daß die Seele, in der alle diese historischen Kämpfe
einen zweiten Geisterkampf austobten, von geradezu kindlicher Empfindsamkeit
war. ein sensibles Nervenbündel, das vor jedem bürgerlichen Konflikt zurückschreckte,
sich mit grübelnder Frömmigkeit religiösen Zweifeln hingab und mit fast philiströser
Gi-enzvoten l 1911 31
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