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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Homosexualität und neuer Strafgcsetzcntwurf

Erörterungen aus berufener Feder sind immer verdienstlich, dennoch halten
wir sie in diesem Falle für falsch, für ebenso krankhaft wie die Sache, welche
sie verteidigen, nicht sexuell, sondern hnmanitätskrank. Sie sind die Ausgeburt
eines überkulturellen, wissenschaftlichen Geistes, der ungefähr nach dein Grund¬
satze verfährt, alles kennen heißt alles verzeihen. Damit ist es aber hier im
besonderen und gesetzgeberisch im allgemeinen nicht getan.

Zunächst denken wir über Homosexualität wie über alle derartige Geschlechts¬
dinge nicht so liberal verwaschen und halten sie nicht für etwas in seiner Art
ganz Natürliches und Harmloses, sondern für eine Leidenschaft, welche gewöhnlich
in Schweinerei ausartet, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, wenn
anders man noch Empfindung für die sittliche und physische Gesundheit eines
Volkes hat. Freilich, nach Eulenburg handelt es sich bei dem "Urning", wie
man den Entarteten klangvoll benennt, nicht um ein Laster, sondern um
etwas Gegebenes. Es fragte sich also zunächst, was versteht man unter
Laster. Das Konversationslexikon erklärt es: als die zur Gewohnheit gewordene
unsittliche Handlungsweise. Da Eulenburg die Unstttlichkeit des "Urnings"
bestreitet, möchten wir den Begriff dahin erklären: Laster ist eine Betätigung,
die der von der Natur dem Menschen innewohnenden Sittlichkeit und damit
der von einem Volke angenommenen Denk- und Empfindungsweise ürgernis-
erregend oder nachteilig wirkend widerspricht: also Trunksucht, Sucht des Opium¬
rauchens u. tgi. Diese Kennzeichen zeigen sich nun auch bei dem "Urning".
Selbst der gelehrteste Mediziner wird nicht in Abrede stellen können, daß die
Natur zwei Geschlechter in der Menschen- und Tierivelt geschaffen hat, um die
Rasse fortzupflanzen, um die Erde zu beleben. Zur Erreichung dieses Zieles
hat sie den Fortpflanzungstrieb in die Lebewesen gesenkt und den Fort¬
pflanzungsakt mit den höchsten Reizen und Empfindungen ausgestattet. Werden
nur diese gesucht, mit Ausschluß des Zweckes, und gar von Personen gleichen
Geschlechts, so handeln sie unnatürlich, sie verstoßen gegen das von der Natur
Eingerichtete, ja sie entarten dies ins Gegenteil. Damit ist unseres Erachtens
das Brandmal auf die Homosexualität geprägt, und zwar in schwer belastender
Weise, ganz in: Gegensatz zu der Theorie der Verteidiger, daß sie etwas
Angeborenes, ganz Natürliches sei.

Aber nehmen wir dies an; wir können dann nicht beim Einzelfall stehen
bleiben, sondern müssen den Grundsatz des Angeborenen und folglich Erlaubten
weiterführen. Demnach ist auch das Verbrechen beim Sohne eines Verbrecher-
paares angeboren und hätte straflos zu bleiben. Was kann der arme Junge
dafür, daß er von solchen Eltern gezeugt wurde; er könnte nach Eulenburgs
Theorie Einbruch, Totschlag und Mord begehen und stets sagen, was wollt
ihr inhumanen Menschen: "ich bin erblich belastet" und bin deshalb zu meinem
Tun berechtigt. Theoretisch steht dies ganz auf gleicher Stufe mit der erblichen
homosexuellen Belastung, und wohin würde es tatsächlich führen? Nun behauptet
Eulenburg, die Homosexualität sei eine in der Organisation des betreffenden


Homosexualität und neuer Strafgcsetzcntwurf

Erörterungen aus berufener Feder sind immer verdienstlich, dennoch halten
wir sie in diesem Falle für falsch, für ebenso krankhaft wie die Sache, welche
sie verteidigen, nicht sexuell, sondern hnmanitätskrank. Sie sind die Ausgeburt
eines überkulturellen, wissenschaftlichen Geistes, der ungefähr nach dein Grund¬
satze verfährt, alles kennen heißt alles verzeihen. Damit ist es aber hier im
besonderen und gesetzgeberisch im allgemeinen nicht getan.

Zunächst denken wir über Homosexualität wie über alle derartige Geschlechts¬
dinge nicht so liberal verwaschen und halten sie nicht für etwas in seiner Art
ganz Natürliches und Harmloses, sondern für eine Leidenschaft, welche gewöhnlich
in Schweinerei ausartet, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, wenn
anders man noch Empfindung für die sittliche und physische Gesundheit eines
Volkes hat. Freilich, nach Eulenburg handelt es sich bei dem „Urning", wie
man den Entarteten klangvoll benennt, nicht um ein Laster, sondern um
etwas Gegebenes. Es fragte sich also zunächst, was versteht man unter
Laster. Das Konversationslexikon erklärt es: als die zur Gewohnheit gewordene
unsittliche Handlungsweise. Da Eulenburg die Unstttlichkeit des „Urnings"
bestreitet, möchten wir den Begriff dahin erklären: Laster ist eine Betätigung,
die der von der Natur dem Menschen innewohnenden Sittlichkeit und damit
der von einem Volke angenommenen Denk- und Empfindungsweise ürgernis-
erregend oder nachteilig wirkend widerspricht: also Trunksucht, Sucht des Opium¬
rauchens u. tgi. Diese Kennzeichen zeigen sich nun auch bei dem „Urning".
Selbst der gelehrteste Mediziner wird nicht in Abrede stellen können, daß die
Natur zwei Geschlechter in der Menschen- und Tierivelt geschaffen hat, um die
Rasse fortzupflanzen, um die Erde zu beleben. Zur Erreichung dieses Zieles
hat sie den Fortpflanzungstrieb in die Lebewesen gesenkt und den Fort¬
pflanzungsakt mit den höchsten Reizen und Empfindungen ausgestattet. Werden
nur diese gesucht, mit Ausschluß des Zweckes, und gar von Personen gleichen
Geschlechts, so handeln sie unnatürlich, sie verstoßen gegen das von der Natur
Eingerichtete, ja sie entarten dies ins Gegenteil. Damit ist unseres Erachtens
das Brandmal auf die Homosexualität geprägt, und zwar in schwer belastender
Weise, ganz in: Gegensatz zu der Theorie der Verteidiger, daß sie etwas
Angeborenes, ganz Natürliches sei.

Aber nehmen wir dies an; wir können dann nicht beim Einzelfall stehen
bleiben, sondern müssen den Grundsatz des Angeborenen und folglich Erlaubten
weiterführen. Demnach ist auch das Verbrechen beim Sohne eines Verbrecher-
paares angeboren und hätte straflos zu bleiben. Was kann der arme Junge
dafür, daß er von solchen Eltern gezeugt wurde; er könnte nach Eulenburgs
Theorie Einbruch, Totschlag und Mord begehen und stets sagen, was wollt
ihr inhumanen Menschen: „ich bin erblich belastet" und bin deshalb zu meinem
Tun berechtigt. Theoretisch steht dies ganz auf gleicher Stufe mit der erblichen
homosexuellen Belastung, und wohin würde es tatsächlich führen? Nun behauptet
Eulenburg, die Homosexualität sei eine in der Organisation des betreffenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/243>, abgerufen am 24.07.2024.