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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Zwischen Alt- und Neu-Wien

lassen. Das politische Empfinden scheint es mir zu sein, das Schlögls Schaffen
und Urteilen bestimmt. Und wie sollte es auch anders sein, da er in empfäng¬
lichsten Jahren die Revolution durchlebte.

Er wurde als Sohn bitterarmer Eltern 1821 in Wien geboren. Der
Vater war Hutmacher und hatte für vierzehn Kinder zu sorgen; da stand es
naturgemäß um Friedrich Schlögls Ausbildung nicht gut. Die Eltern hatten
zwar ihren begabten Ältesten unter großen Opfern in ein Gymnasium geschickt,
konnten es ihn aber doch nicht bis zu Ende besuchen lassen. Mit neunzehn
Jahren nahm er einen niedrigsten Beamtenposten an und hat sich dann ein
ganzes Menschenalter hindurch in Subalternstellen gequält. Erst 1870 ließ er
sich pensionieren und lebte von da an als Schriftsteller und Journalist in
günstigeren Verhältnissen. Vom Anbeginn bis zum Ende, das ihn 1892 von
langer Krankheit erlöste, war Wien sein ständiger Aufenthalt. Er hing mit
seinem Herzen und seinem Kunstverstand an der eigentümlichen Schönheit der
alten Stadt, schilderte sie oft und war voller Wehmut, wenn ein Stück davon
der Neuzeit weichen mußte; aber keineswegs artete diese "Heimatfrömmigkeit"
in Feindseligkeit gegen das Neue aus. War er doch nichts weniger als ein
konservativer Mensch, und im Grunde sind all seine Schriften Aufrüttelungs¬
versuche, ja Peitschenhiebe gegen die Wiener Gemütlichkeit. Die Not im Eltern¬
hause und die Qual des engen Bureaudienstes haben gewiß bedeutend dazu
beigetragen, aus Schlögl einen Anhänger der Opposition zu machen. Der alternde
Mann erinnert sich mit frohem Stolz, wie er "im frühesten Vormärz" zu einer
kleinen "Verschwörerbande" gehörte. Die jungen Leute führten in der Schenke
ihre begeisterten Reden, wagten aber doch nicht, der unverschleierten Freiheit
zu huldigen. "Wir feierten sie unter dem Namen ,Ärmchen von Tharan'.
Wenn dann ein Delegierter der vorstädtischen Hermandad die Ohren spitzte und
unsern Gesprächen seine geneigteste Aufmerksamkeit schenken wollte, dann intonierte
der.Kantor' das Dachhase Lied, und wir sangen verständnisinnig den für uns
parabolischen Text:


Annchen von Thann, mein Reichtum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut. . ."

Und 1848 richtete Schlögl einen gereimten Aufruf an Grillparzer: wo so viele
österreichische Sänger die Freiheit priesen, möge auch der größte unter ihnen nicht
schweigen -- und war dann höchst erstaunt, als der Dichter, seinem gar nicht
Schillerschen Wesen durchaus getreu, dem Marschall Radetzky bescheinigte: "In
deinem Lager ist Osterreich".

Verwunderlich, ja fast unbegreiflich für den heutigen Leser ist nur, daß sich
zu Schlögls politischer Opposition keine soziale gesellt. Aber es ist offenbar
für die vierziger Jahre in ganz Deutschland charakteristisch, daß das politische
Interesse das soziale stark überwog. Schlögl hat zeitlebens auf diesem Stand¬
punkt beharrt. Man findet in seinen Arbeiten (deren beste 1893 in Wien als
"Gesammelte Werke" in drei Bänden erschienen) erstaunlich wenig Schilderungen


Grenzboten I 1911 28
Zwischen Alt- und Neu-Wien

lassen. Das politische Empfinden scheint es mir zu sein, das Schlögls Schaffen
und Urteilen bestimmt. Und wie sollte es auch anders sein, da er in empfäng¬
lichsten Jahren die Revolution durchlebte.

Er wurde als Sohn bitterarmer Eltern 1821 in Wien geboren. Der
Vater war Hutmacher und hatte für vierzehn Kinder zu sorgen; da stand es
naturgemäß um Friedrich Schlögls Ausbildung nicht gut. Die Eltern hatten
zwar ihren begabten Ältesten unter großen Opfern in ein Gymnasium geschickt,
konnten es ihn aber doch nicht bis zu Ende besuchen lassen. Mit neunzehn
Jahren nahm er einen niedrigsten Beamtenposten an und hat sich dann ein
ganzes Menschenalter hindurch in Subalternstellen gequält. Erst 1870 ließ er
sich pensionieren und lebte von da an als Schriftsteller und Journalist in
günstigeren Verhältnissen. Vom Anbeginn bis zum Ende, das ihn 1892 von
langer Krankheit erlöste, war Wien sein ständiger Aufenthalt. Er hing mit
seinem Herzen und seinem Kunstverstand an der eigentümlichen Schönheit der
alten Stadt, schilderte sie oft und war voller Wehmut, wenn ein Stück davon
der Neuzeit weichen mußte; aber keineswegs artete diese „Heimatfrömmigkeit"
in Feindseligkeit gegen das Neue aus. War er doch nichts weniger als ein
konservativer Mensch, und im Grunde sind all seine Schriften Aufrüttelungs¬
versuche, ja Peitschenhiebe gegen die Wiener Gemütlichkeit. Die Not im Eltern¬
hause und die Qual des engen Bureaudienstes haben gewiß bedeutend dazu
beigetragen, aus Schlögl einen Anhänger der Opposition zu machen. Der alternde
Mann erinnert sich mit frohem Stolz, wie er „im frühesten Vormärz" zu einer
kleinen „Verschwörerbande" gehörte. Die jungen Leute führten in der Schenke
ihre begeisterten Reden, wagten aber doch nicht, der unverschleierten Freiheit
zu huldigen. „Wir feierten sie unter dem Namen ,Ärmchen von Tharan'.
Wenn dann ein Delegierter der vorstädtischen Hermandad die Ohren spitzte und
unsern Gesprächen seine geneigteste Aufmerksamkeit schenken wollte, dann intonierte
der.Kantor' das Dachhase Lied, und wir sangen verständnisinnig den für uns
parabolischen Text:


Annchen von Thann, mein Reichtum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut. . ."

Und 1848 richtete Schlögl einen gereimten Aufruf an Grillparzer: wo so viele
österreichische Sänger die Freiheit priesen, möge auch der größte unter ihnen nicht
schweigen — und war dann höchst erstaunt, als der Dichter, seinem gar nicht
Schillerschen Wesen durchaus getreu, dem Marschall Radetzky bescheinigte: „In
deinem Lager ist Osterreich".

Verwunderlich, ja fast unbegreiflich für den heutigen Leser ist nur, daß sich
zu Schlögls politischer Opposition keine soziale gesellt. Aber es ist offenbar
für die vierziger Jahre in ganz Deutschland charakteristisch, daß das politische
Interesse das soziale stark überwog. Schlögl hat zeitlebens auf diesem Stand¬
punkt beharrt. Man findet in seinen Arbeiten (deren beste 1893 in Wien als
„Gesammelte Werke" in drei Bänden erschienen) erstaunlich wenig Schilderungen


Grenzboten I 1911 28
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[0231] Zwischen Alt- und Neu-Wien lassen. Das politische Empfinden scheint es mir zu sein, das Schlögls Schaffen und Urteilen bestimmt. Und wie sollte es auch anders sein, da er in empfäng¬ lichsten Jahren die Revolution durchlebte. Er wurde als Sohn bitterarmer Eltern 1821 in Wien geboren. Der Vater war Hutmacher und hatte für vierzehn Kinder zu sorgen; da stand es naturgemäß um Friedrich Schlögls Ausbildung nicht gut. Die Eltern hatten zwar ihren begabten Ältesten unter großen Opfern in ein Gymnasium geschickt, konnten es ihn aber doch nicht bis zu Ende besuchen lassen. Mit neunzehn Jahren nahm er einen niedrigsten Beamtenposten an und hat sich dann ein ganzes Menschenalter hindurch in Subalternstellen gequält. Erst 1870 ließ er sich pensionieren und lebte von da an als Schriftsteller und Journalist in günstigeren Verhältnissen. Vom Anbeginn bis zum Ende, das ihn 1892 von langer Krankheit erlöste, war Wien sein ständiger Aufenthalt. Er hing mit seinem Herzen und seinem Kunstverstand an der eigentümlichen Schönheit der alten Stadt, schilderte sie oft und war voller Wehmut, wenn ein Stück davon der Neuzeit weichen mußte; aber keineswegs artete diese „Heimatfrömmigkeit" in Feindseligkeit gegen das Neue aus. War er doch nichts weniger als ein konservativer Mensch, und im Grunde sind all seine Schriften Aufrüttelungs¬ versuche, ja Peitschenhiebe gegen die Wiener Gemütlichkeit. Die Not im Eltern¬ hause und die Qual des engen Bureaudienstes haben gewiß bedeutend dazu beigetragen, aus Schlögl einen Anhänger der Opposition zu machen. Der alternde Mann erinnert sich mit frohem Stolz, wie er „im frühesten Vormärz" zu einer kleinen „Verschwörerbande" gehörte. Die jungen Leute führten in der Schenke ihre begeisterten Reden, wagten aber doch nicht, der unverschleierten Freiheit zu huldigen. „Wir feierten sie unter dem Namen ,Ärmchen von Tharan'. Wenn dann ein Delegierter der vorstädtischen Hermandad die Ohren spitzte und unsern Gesprächen seine geneigteste Aufmerksamkeit schenken wollte, dann intonierte der.Kantor' das Dachhase Lied, und wir sangen verständnisinnig den für uns parabolischen Text: Annchen von Thann, mein Reichtum, mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut. . ." Und 1848 richtete Schlögl einen gereimten Aufruf an Grillparzer: wo so viele österreichische Sänger die Freiheit priesen, möge auch der größte unter ihnen nicht schweigen — und war dann höchst erstaunt, als der Dichter, seinem gar nicht Schillerschen Wesen durchaus getreu, dem Marschall Radetzky bescheinigte: „In deinem Lager ist Osterreich". Verwunderlich, ja fast unbegreiflich für den heutigen Leser ist nur, daß sich zu Schlögls politischer Opposition keine soziale gesellt. Aber es ist offenbar für die vierziger Jahre in ganz Deutschland charakteristisch, daß das politische Interesse das soziale stark überwog. Schlögl hat zeitlebens auf diesem Stand¬ punkt beharrt. Man findet in seinen Arbeiten (deren beste 1893 in Wien als „Gesammelte Werke" in drei Bänden erschienen) erstaunlich wenig Schilderungen Grenzboten I 1911 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/231>, abgerufen am 29.12.2024.