Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Zwischen Alt- und Um-U)lau Ergründen seiner Lmrdsleute bäumt sich deshalb so sehr gegen jenes spöttische Über das Phäakentum der Wiener ist jahrhundertelang von Eingeborenen Da ist es gewiß von Wert, Schöpfungen kennen zu lernen, die das Wiener Der älteste und weitaus bedeutendste dieser dichterischen Kulturhistoriker ist Zwischen Alt- und Um-U)lau Ergründen seiner Lmrdsleute bäumt sich deshalb so sehr gegen jenes spöttische Über das Phäakentum der Wiener ist jahrhundertelang von Eingeborenen Da ist es gewiß von Wert, Schöpfungen kennen zu lernen, die das Wiener Der älteste und weitaus bedeutendste dieser dichterischen Kulturhistoriker ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317843"/> <fw type="header" place="top"> Zwischen Alt- und Um-U)lau</fw><lb/> <p xml:id="ID_1113" prev="#ID_1112"> Ergründen seiner Lmrdsleute bäumt sich deshalb so sehr gegen jenes spöttische<lb/> „Capua" auf, weil er die teilweise Berechtigung des Spottwortes einsieht, weil<lb/> er wie kaum ein Zweiter die Gefahren der „Gemütlichkeit", als Schlaffheit und<lb/> Gleichgültigkeit, kennt. Und so ist ihm denn jede Wiener Kraftentfaltung an<lb/> sich, ganz abgesehen von ihrer Richtung, erfreulich und ruft ihm große Erinne¬<lb/> rungen an andere, wenn auch von der gegenwärtigen durchaus verschiedene Kraft¬<lb/> entfaltungen Wiens ins Gedächtnis. Man kann einen ganz ähnlichen seelischen<lb/> Vorgang bei einem modernen österreichischen Schriftsteller beobachten. Hermann<lb/> Bahr, gewiß kein konservativer Politiker und Anhänger des Militarismus, zeigt<lb/> sich in seinem „Tagebuch" voller Freude über Österreichs energisch kriegerisches<lb/> Auftreten in der böhmischen Angelegenheit, einzig weil er Kraftentfaltung, ein<lb/> Sich-aufraffen aus lässigen Behagen darin erblickt. . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_1114"> Über das Phäakentum der Wiener ist jahrhundertelang von Eingeborenen<lb/> und Fremden, von Entzückten und peinlich Berührten geschrieben worden. In<lb/> neuer Zeit hat Wiener Behagen in zwei verschiedenen Epochen das eigentümliche<lb/> Gepräge einer Reihe von Dichtungen geschaffen, die weit über Österreich hinaus<lb/> zu Ansehen gelangten. Außer Landes berühmt geworden ist die Wiener Gemüt¬<lb/> lichkeit in Raimunds milden und humorvollen Kindlichkeiten und gleichzeitig<lb/> in Nestroys geistreich-frechen Späßen, denen freilich mehr der Schein als das<lb/> Wesen der Gemütlichkeit eignet. Darauf vergingen zwei Menschenalter, bis die<lb/> „süßen Mädel", bei denen Schnitzlers Helden gern Erholung suchen, das Wiener<lb/> Phäakentum wieder in aller Bewußtsein riefen. Nun liegt aber zwischen Raimund<lb/> und Schnitzler eine ungeheure Entwicklung, mehr als der Hauch jener Gemüt¬<lb/> lichkeit ist den Dichtern kaum gemeinsam, und die Stadt, die ihn ausatmet, hat<lb/> sich in der Zwischenzeit vielfach verändert, vom Engen und Eigenartigen fort<lb/> dein Weiten und allgemein Europäischen entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1115"> Da ist es gewiß von Wert, Schöpfungen kennen zu lernen, die das Wiener<lb/> Wesen dieser Zwischenzeit behandeln, auch wenn es sich um Werke handelt, die<lb/> ihrer rein dichterischen Bedeutung nach nicht zu den ganz vollkommenen zählen.<lb/> Drei Männer find es vor allen, die ihre Gestalten immer wieder zwischen Alt- und<lb/> Um-Wien angesiedelt haben. Zur annähernden Gleichheit der Stoffwahl tritt bei<lb/> ihnen eine gewisse Ähnlichkeit der humoristischen Betrachtungsweise und auch der<lb/> Form — sie bevorzugen, wohl durch deu journalistischen Beruf gewohnt und<lb/> manchmal gezwungen, die feuilletonistische Skizze. Desto wesentlicher sind die<lb/> Verschiedenheiten in den Gesichtspunkten ihres Beobachters, und das ist um so<lb/> bedeutsamer, als den drei verschiedenen Gesichtspunkten drei Schichten moderner<lb/> Weltanschauung entsprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1116" next="#ID_1117"> Der älteste und weitaus bedeutendste dieser dichterischen Kulturhistoriker ist<lb/> eben Friedrich Schlögl. Richard M. Meyer, der ihn in seiner „Deutschen<lb/> Literatur des neunzehnten Jahrhunderts" mit höchster Auszeichnung auf der<lb/> Raimund-Schnitzler-Linie nennt, der die „Heinmtfrömmigkeit" des „echten Herzens¬<lb/> humoristen" preist, hat den Kern in Schlögls Wesen auch nur anzudeuten unter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Zwischen Alt- und Um-U)lau
Ergründen seiner Lmrdsleute bäumt sich deshalb so sehr gegen jenes spöttische
„Capua" auf, weil er die teilweise Berechtigung des Spottwortes einsieht, weil
er wie kaum ein Zweiter die Gefahren der „Gemütlichkeit", als Schlaffheit und
Gleichgültigkeit, kennt. Und so ist ihm denn jede Wiener Kraftentfaltung an
sich, ganz abgesehen von ihrer Richtung, erfreulich und ruft ihm große Erinne¬
rungen an andere, wenn auch von der gegenwärtigen durchaus verschiedene Kraft¬
entfaltungen Wiens ins Gedächtnis. Man kann einen ganz ähnlichen seelischen
Vorgang bei einem modernen österreichischen Schriftsteller beobachten. Hermann
Bahr, gewiß kein konservativer Politiker und Anhänger des Militarismus, zeigt
sich in seinem „Tagebuch" voller Freude über Österreichs energisch kriegerisches
Auftreten in der böhmischen Angelegenheit, einzig weil er Kraftentfaltung, ein
Sich-aufraffen aus lässigen Behagen darin erblickt. . . .
Über das Phäakentum der Wiener ist jahrhundertelang von Eingeborenen
und Fremden, von Entzückten und peinlich Berührten geschrieben worden. In
neuer Zeit hat Wiener Behagen in zwei verschiedenen Epochen das eigentümliche
Gepräge einer Reihe von Dichtungen geschaffen, die weit über Österreich hinaus
zu Ansehen gelangten. Außer Landes berühmt geworden ist die Wiener Gemüt¬
lichkeit in Raimunds milden und humorvollen Kindlichkeiten und gleichzeitig
in Nestroys geistreich-frechen Späßen, denen freilich mehr der Schein als das
Wesen der Gemütlichkeit eignet. Darauf vergingen zwei Menschenalter, bis die
„süßen Mädel", bei denen Schnitzlers Helden gern Erholung suchen, das Wiener
Phäakentum wieder in aller Bewußtsein riefen. Nun liegt aber zwischen Raimund
und Schnitzler eine ungeheure Entwicklung, mehr als der Hauch jener Gemüt¬
lichkeit ist den Dichtern kaum gemeinsam, und die Stadt, die ihn ausatmet, hat
sich in der Zwischenzeit vielfach verändert, vom Engen und Eigenartigen fort
dein Weiten und allgemein Europäischen entgegen.
Da ist es gewiß von Wert, Schöpfungen kennen zu lernen, die das Wiener
Wesen dieser Zwischenzeit behandeln, auch wenn es sich um Werke handelt, die
ihrer rein dichterischen Bedeutung nach nicht zu den ganz vollkommenen zählen.
Drei Männer find es vor allen, die ihre Gestalten immer wieder zwischen Alt- und
Um-Wien angesiedelt haben. Zur annähernden Gleichheit der Stoffwahl tritt bei
ihnen eine gewisse Ähnlichkeit der humoristischen Betrachtungsweise und auch der
Form — sie bevorzugen, wohl durch deu journalistischen Beruf gewohnt und
manchmal gezwungen, die feuilletonistische Skizze. Desto wesentlicher sind die
Verschiedenheiten in den Gesichtspunkten ihres Beobachters, und das ist um so
bedeutsamer, als den drei verschiedenen Gesichtspunkten drei Schichten moderner
Weltanschauung entsprechen.
Der älteste und weitaus bedeutendste dieser dichterischen Kulturhistoriker ist
eben Friedrich Schlögl. Richard M. Meyer, der ihn in seiner „Deutschen
Literatur des neunzehnten Jahrhunderts" mit höchster Auszeichnung auf der
Raimund-Schnitzler-Linie nennt, der die „Heinmtfrömmigkeit" des „echten Herzens¬
humoristen" preist, hat den Kern in Schlögls Wesen auch nur anzudeuten unter-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |