Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Aoriolcm Daran Nlüssen wir festhalten, wenn wir den Widersprüchen innerhalb der Shakespeare hat zwei Mächte ins Feld geführt, die als innere Gegenspieler Die eine Macht ist die humoristische Auffassung der Dinge, die durch Jedes Staatswesen setzt Kompromisse voraus, also Verleugnung und Ent¬ Menenius Agrippa ist Aristokrat genug, um als unverdächtiger Zeuge des Der Humorist darf freilich, und allermeist im politischen Leben kein Witzbold Aoriolcm Daran Nlüssen wir festhalten, wenn wir den Widersprüchen innerhalb der Shakespeare hat zwei Mächte ins Feld geführt, die als innere Gegenspieler Die eine Macht ist die humoristische Auffassung der Dinge, die durch Jedes Staatswesen setzt Kompromisse voraus, also Verleugnung und Ent¬ Menenius Agrippa ist Aristokrat genug, um als unverdächtiger Zeuge des Der Humorist darf freilich, und allermeist im politischen Leben kein Witzbold <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317635"/> <fw type="header" place="top"> Aoriolcm</fw><lb/> <p xml:id="ID_67"> Daran Nlüssen wir festhalten, wenn wir den Widersprüchen innerhalb der<lb/> Lebensfragen der Politik und der staatlichen Gemeinschaft entgehen wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_68"> Shakespeare hat zwei Mächte ins Feld geführt, die als innere Gegenspieler<lb/> im Bewußtsein des Zuschauers eine Versöhnung des Konfliktes herbeizuführen<lb/> haben. Sie läßt er die höchste Weisheit in der Politik sein: Wenn sie versagt —<lb/> im Charakter des Helden versagt sie, sollte aber nicht versagen im Ideal eines<lb/> Staatslebens —, dann ist auf irgendeinem Wege der Ausgang des Konflikts<lb/> zur tragischen Katastrophe unvermeidlich. -</p><lb/> <p xml:id="ID_69"> Die eine Macht ist die humoristische Auffassung der Dinge, die durch<lb/> Menenius Agrippa vertreten wird, während die andere die in Mutter und<lb/> Gattin Koriolcms verkörperte Weiblichkeit repräsentiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_70"> Jedes Staatswesen setzt Kompromisse voraus, also Verleugnung und Ent¬<lb/> sagung alles selbstischen in denjenigen, die dieses Staatswesens Träger sind.<lb/> Man kann nicht immer seinen eigenen Willen, und sei er auf das Beste gerichtet,<lb/> ohne Schaden für die staatliche Gemeinschaft durchsetzen. Solche Kompromisse<lb/> brauchen aber noch lange nicht Verleugnung des eigenen innersten Wesens zu<lb/> bedingen. Es bleibt der Kraft des Mannes z. B. noch Spielraum genug, sich<lb/> zu entfalten, sei es auf dem Felde der Ehre (Cominius und Titus LartiusI),<lb/> oder im Kampfe gegen die Naturgewalten, oder auch auf irgendeinem<lb/> Gebiete, das einen ganzen Mann verlangt. In der inneren Politik hat nur<lb/> die persönliche Kraft eine eigenartige Gestalt anzunehmen und eine eigenartige<lb/> Richtung in das Gebiet des Verständigen einzuschlagen. Und da gilt nicht<lb/> Biegen oder Brechen, sondern Biegen und Siegen. Da hilft keine pathetische<lb/> Energie, sondern nur eine niemals verzweifelnde starke Geduld.</p><lb/> <p xml:id="ID_71"> Menenius Agrippa ist Aristokrat genug, um als unverdächtiger Zeuge des<lb/> Humors dem selbstbewußtesten aristokratischen Parteigänger zu gelten. Wer<lb/> freute sich nicht seines lustigen Verkehrs mit den Plebejern? Wer hätte nicht<lb/> stets sein Wohlgefallen an jener Fabel vom Magen und den Gliedern des<lb/> menschlichen Körpers gehabt? Wem wäre nicht wohl ums Herz bei einer<lb/> gelegentlichen Grobheit, die Menenius einem Volkshaufen entgegenschleudert,<lb/> und die nicht einmal den Zorn und den Haß derer erregt, denen sie gilt? Das<lb/> ist's aber! Das Volk versteht Humor. Es versteht ihn um so mehr und liebt<lb/> ihn, weil es das Herz des Humoristen sieht und fühlt, wie gut er es im<lb/> Grunde mit ihm meint.</p><lb/> <p xml:id="ID_72" next="#ID_73"> Der Humorist darf freilich, und allermeist im politischen Leben kein Witzbold<lb/> und bissiger Satiriker sein; die Theoretiker tun Menenius Agrippa bitter unrecht,<lb/> wenn sie ihn als solchen hinstellen. Eine gewisse Güte muß stets in seinen<lb/> Äußerungen zu bemerken sein, die Güte der Klugheit, die alles versteht, um<lb/> alles zu verzeihen, eine Güte, die selbst im schärfsten Tadel durchzublicken ist.<lb/> Im Koriolan tritt sie besonders eigenartig hervor, wenn Menenius in der<lb/> Strafrede wie in der Verkündigung des Unheils sich selbst mit einschließt und<lb/> in der Wir-Form spricht. Ein Wink, den sich der Politiker ernstlich merken</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Aoriolcm
Daran Nlüssen wir festhalten, wenn wir den Widersprüchen innerhalb der
Lebensfragen der Politik und der staatlichen Gemeinschaft entgehen wollen.
Shakespeare hat zwei Mächte ins Feld geführt, die als innere Gegenspieler
im Bewußtsein des Zuschauers eine Versöhnung des Konfliktes herbeizuführen
haben. Sie läßt er die höchste Weisheit in der Politik sein: Wenn sie versagt —
im Charakter des Helden versagt sie, sollte aber nicht versagen im Ideal eines
Staatslebens —, dann ist auf irgendeinem Wege der Ausgang des Konflikts
zur tragischen Katastrophe unvermeidlich. -
Die eine Macht ist die humoristische Auffassung der Dinge, die durch
Menenius Agrippa vertreten wird, während die andere die in Mutter und
Gattin Koriolcms verkörperte Weiblichkeit repräsentiert.
Jedes Staatswesen setzt Kompromisse voraus, also Verleugnung und Ent¬
sagung alles selbstischen in denjenigen, die dieses Staatswesens Träger sind.
Man kann nicht immer seinen eigenen Willen, und sei er auf das Beste gerichtet,
ohne Schaden für die staatliche Gemeinschaft durchsetzen. Solche Kompromisse
brauchen aber noch lange nicht Verleugnung des eigenen innersten Wesens zu
bedingen. Es bleibt der Kraft des Mannes z. B. noch Spielraum genug, sich
zu entfalten, sei es auf dem Felde der Ehre (Cominius und Titus LartiusI),
oder im Kampfe gegen die Naturgewalten, oder auch auf irgendeinem
Gebiete, das einen ganzen Mann verlangt. In der inneren Politik hat nur
die persönliche Kraft eine eigenartige Gestalt anzunehmen und eine eigenartige
Richtung in das Gebiet des Verständigen einzuschlagen. Und da gilt nicht
Biegen oder Brechen, sondern Biegen und Siegen. Da hilft keine pathetische
Energie, sondern nur eine niemals verzweifelnde starke Geduld.
Menenius Agrippa ist Aristokrat genug, um als unverdächtiger Zeuge des
Humors dem selbstbewußtesten aristokratischen Parteigänger zu gelten. Wer
freute sich nicht seines lustigen Verkehrs mit den Plebejern? Wer hätte nicht
stets sein Wohlgefallen an jener Fabel vom Magen und den Gliedern des
menschlichen Körpers gehabt? Wem wäre nicht wohl ums Herz bei einer
gelegentlichen Grobheit, die Menenius einem Volkshaufen entgegenschleudert,
und die nicht einmal den Zorn und den Haß derer erregt, denen sie gilt? Das
ist's aber! Das Volk versteht Humor. Es versteht ihn um so mehr und liebt
ihn, weil es das Herz des Humoristen sieht und fühlt, wie gut er es im
Grunde mit ihm meint.
Der Humorist darf freilich, und allermeist im politischen Leben kein Witzbold
und bissiger Satiriker sein; die Theoretiker tun Menenius Agrippa bitter unrecht,
wenn sie ihn als solchen hinstellen. Eine gewisse Güte muß stets in seinen
Äußerungen zu bemerken sein, die Güte der Klugheit, die alles versteht, um
alles zu verzeihen, eine Güte, die selbst im schärfsten Tadel durchzublicken ist.
Im Koriolan tritt sie besonders eigenartig hervor, wenn Menenius in der
Strafrede wie in der Verkündigung des Unheils sich selbst mit einschließt und
in der Wir-Form spricht. Ein Wink, den sich der Politiker ernstlich merken
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |