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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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tragische Schuld vermehrt, anderseits das versöhnende Moment genannt werden
kann, das nicht allein bei seinem Sturz uns erschüttert, sondern auch unser
Mitleid erweckt: Koriolan als wahrhaft Großer hatte, weil er von sich das
Größte verlangt, ursprünglich auch der Menschheit um sich herum das Größte,
wenigstens aber mehr zugemutet, als sie leisten kann, und in der Erkenntnis
seines Irrtums wird sein Stolz und seine Verachtung um so gewaltiger, so
gewaltig, daß er in seinem Innern sich selbst daran zerschmettert. Man vergleiche
in dieser Hinsicht sein Verhältnis zu Aufidius. das die Katastrophe bringt!

Die ungeheure Gewalt seines Hochmuts ist's, die Koriolan zugrunde richtet,
und in deren Darstellung uns der Dichter ahnen läßt, wie doch das tragische
Schicksal eines Aristokratismus, der auf Irrwege gerät, der göttlichen Gerechtigkeit
gemäß ist.

Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um zu beweisen, daß dieser
Fehler im Charakter Koriolans in vielen und gerade in den besten Vertretern
der aristokratischen Weltanschauung unserer Zeit zutage tritt. Sollte man sich
wundern, wenn denselben Zoll der Menschlichkeit mit Koriolan auch der Erste
im Staatswesen unseres Vaterlandes bezahlt, dem man doch zum mindesten nach¬
reden kann, daß er den besten Willen habe, seinem Volke auf seinein Wege zu
dienen, und der um seines Dienstes willen Haß und Undank erntet? "Undank
ist etwas Ungeheures", sagt Shakespeare. Bis zu gewissen Grenzen kann zudem
Stolz eine Tugend im Staatswesen bedeuten! Man beachte überhaupt, wieder
Hochmut vielen und nicht immer den geringsten Menschen in unserem Staats¬
leben innewohnt, seitdem es mit unserer Stellung inmitten des europäischen
Völkerkonzertes vorwärts geht, daß dieser Hochmut ebenso Demokraten wie
Aristokraten, Volkstribune wie hohe Beamte erfüllt, wenn sie etwas leisten und
das Bewußtsein ihres Wertes in sich tragen. In der Kraft dieses Hochmutes
bekämpfen sich die politischen Parteien, in der Verachtung der Anschauungen der
Gegner gleichen oft aristokratische Konservative den Sozialdemokraten! In der
Verkennung der Ironie des Goethescher Wortes: "Nur die Lumpe sind bescheiden"
ist es in Wirklichkeit so geworden, daß die Unbescheidenheit als ein Zeichen der
Größe und der Vornehmheit gilt! In dieser Erkenntnis muß man sich erschüttert
fragen, ob nicht auch für uns eine Zeit kommen kann, in der wie in der Welt
der Dichtung eine Katastrophe hereinbreche, die zwar der Menschheit eine Katharsis
bringe, aber auch manchen: einzelnen Menschendasein Vernichtung I

Es ist ein Glück freilich, daß die Menschheit nicht immer so logisch handelt
und sich so folgerichtig entwickelt, wie Shakespeare Koriolans Charakter sich ent¬
wickeln läßt. Anderseits hat das Studium der Weltgeschichte und ihrer Irrtümer
die besten unserer Zeitgenossen -- nicht das Volk, denn niemals noch hat ein
solches als Masse etwas aus der Geschichte gelernt -- zu der Einsicht
gebracht, daß jede Einseitigkeit, auch die Einseitigkeit einer aristokratischen Welt¬
anschauung, zum Verderben führen muß. Und das ist's, was auch Shakespeare
uns in seinem Koriolan lehren will.


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tragische Schuld vermehrt, anderseits das versöhnende Moment genannt werden
kann, das nicht allein bei seinem Sturz uns erschüttert, sondern auch unser
Mitleid erweckt: Koriolan als wahrhaft Großer hatte, weil er von sich das
Größte verlangt, ursprünglich auch der Menschheit um sich herum das Größte,
wenigstens aber mehr zugemutet, als sie leisten kann, und in der Erkenntnis
seines Irrtums wird sein Stolz und seine Verachtung um so gewaltiger, so
gewaltig, daß er in seinem Innern sich selbst daran zerschmettert. Man vergleiche
in dieser Hinsicht sein Verhältnis zu Aufidius. das die Katastrophe bringt!

Die ungeheure Gewalt seines Hochmuts ist's, die Koriolan zugrunde richtet,
und in deren Darstellung uns der Dichter ahnen läßt, wie doch das tragische
Schicksal eines Aristokratismus, der auf Irrwege gerät, der göttlichen Gerechtigkeit
gemäß ist.

Es bedarf keiner langen Auseinandersetzung, um zu beweisen, daß dieser
Fehler im Charakter Koriolans in vielen und gerade in den besten Vertretern
der aristokratischen Weltanschauung unserer Zeit zutage tritt. Sollte man sich
wundern, wenn denselben Zoll der Menschlichkeit mit Koriolan auch der Erste
im Staatswesen unseres Vaterlandes bezahlt, dem man doch zum mindesten nach¬
reden kann, daß er den besten Willen habe, seinem Volke auf seinein Wege zu
dienen, und der um seines Dienstes willen Haß und Undank erntet? „Undank
ist etwas Ungeheures", sagt Shakespeare. Bis zu gewissen Grenzen kann zudem
Stolz eine Tugend im Staatswesen bedeuten! Man beachte überhaupt, wieder
Hochmut vielen und nicht immer den geringsten Menschen in unserem Staats¬
leben innewohnt, seitdem es mit unserer Stellung inmitten des europäischen
Völkerkonzertes vorwärts geht, daß dieser Hochmut ebenso Demokraten wie
Aristokraten, Volkstribune wie hohe Beamte erfüllt, wenn sie etwas leisten und
das Bewußtsein ihres Wertes in sich tragen. In der Kraft dieses Hochmutes
bekämpfen sich die politischen Parteien, in der Verachtung der Anschauungen der
Gegner gleichen oft aristokratische Konservative den Sozialdemokraten! In der
Verkennung der Ironie des Goethescher Wortes: „Nur die Lumpe sind bescheiden"
ist es in Wirklichkeit so geworden, daß die Unbescheidenheit als ein Zeichen der
Größe und der Vornehmheit gilt! In dieser Erkenntnis muß man sich erschüttert
fragen, ob nicht auch für uns eine Zeit kommen kann, in der wie in der Welt
der Dichtung eine Katastrophe hereinbreche, die zwar der Menschheit eine Katharsis
bringe, aber auch manchen: einzelnen Menschendasein Vernichtung I

Es ist ein Glück freilich, daß die Menschheit nicht immer so logisch handelt
und sich so folgerichtig entwickelt, wie Shakespeare Koriolans Charakter sich ent¬
wickeln läßt. Anderseits hat das Studium der Weltgeschichte und ihrer Irrtümer
die besten unserer Zeitgenossen — nicht das Volk, denn niemals noch hat ein
solches als Masse etwas aus der Geschichte gelernt — zu der Einsicht
gebracht, daß jede Einseitigkeit, auch die Einseitigkeit einer aristokratischen Welt¬
anschauung, zum Verderben führen muß. Und das ist's, was auch Shakespeare
uns in seinem Koriolan lehren will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/21>, abgerufen am 24.07.2024.