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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Gegner. Ihre Einwände liegen sehr nahe,
und man könnte sie gegen die italienische
wie gegen die französische Feier in Rücksicht
auf den Papst oder die Katholiken Europas
und der ganzen Welt, oder in Rücksicht auf
die Monarchien Europas sehr wohl ebenfalls
machen, Aber das kommt niemand bei, oder es
verhallt ungehört. Nicht ungehört sind die in
deutschen Zeitungen selbst gemachten Einwände
gegen dieSedanfeier aus Rücksicht auf die fran¬
zösische Empfindlichkeit verhallt. Wir sollen
nicht unaufhörlich einen den Nachbarn demü¬
tigender Sieg feiern, wir sollen nicht immer
wieder die Franzosen um ihre Niederlage (die
sie selbst um wenigsten bergessen haben) er¬
innern, weil sie das ärgert und schmerzt.
Dem kann man um sich sehr bestimmt
widersprechen. Wir haben ein Recht, diese
Erinnerung zu feiern, und solche Rücksicht¬
nahme ist zweifellos zu weitgehend.


[Spaltenumbruch]

Wir haben es vor allem nötig, um einem
Tag im Jnhre ans die rein nationalen Er-
rnngenschnften deS großen Krieges zurück¬
zublicken, indem wir nuf ihre Folgen für uus
bis auf die Gegenwart herab und ihre
Festigung in der Zukunft blicken, uns so in
Gedanken zusammenfinden und dnbei über
die partikularen Unterschiede und Verschieden¬
heiten bewußt hinwegsetzen.

Der gegebene Tag dafür ist der 18, Januar,

Ich habe mich schon lange -- schon als
Knabe -- im stillen gewundert, daß dieser
Tag, der das Deutsche Reich schuf und
der Tag ist und bleibt, den die Geschichte
als dessen Geburtstag nennen wird, all¬
jährlich so spurlos und klanglos vorübergleitet.
Was läge eigentlich näher, als in Preuße"
wie im übrigen Reich diesen Tag zum Patrio¬
tischen Feiertag zu erheben? Der große Krieg,
der siegesstolz, die Niederlagen unserer
Nachbarn, das Eigenlob, all dies wäre in
den Hintergrund gerückt. Die eigentlichen
Siegesfeiern blieben denen dabei unbenommen,
die stets ein Recht darauf haben werden, sie
zu feiern, nämlich de" Armeekorps, den Re¬
gimentern und Veteranen. Auch der Landes¬
fürst brauchte nicht zu kurz zu kommen. Aber
das deutsche Volk gewänne trotzdem mit dein
18. Januar eine" Nationalfeiertag, der dem
Zweck eines solchen weit besser mitspräche als die
Scdanseier. Der Blick würde ans dus gelenkt,
was uns allen frommt, nicht auf dus, was vor
Jahrzehnten gewesen ist, auf Blut und Eisen.
Loszulösen ist die Geburt des Deutschen
Reiches vom Kriege ja nimmermehr. Aber die
Erinnerung daran sollte nicht unaufhörlich
gerade im Vordergründe stehen. Mit Maßen
ist sie nützlich auch für das heutige Geschlecht.
Als Selbstzweck muß sie, je länger desto mehr,
an Leben und Wirksamkeit verlieren. Das
Bleibende und um uus her sich Regende aber,
das, was unsere Nation heute fühlt und wünscht
und hofft, das ist es, was wir, anknüpfend
an ihre Wiedergeburt in der großen Zeit, an
einem Nationalfeiertage uns vor die Seele
führen sollen.

Dr. Manfred Lime [Ende Spaltensatz]

den kriegerische" Ereignissen steht und stehe" soll.




Grenzboten I 1911
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Gegner. Ihre Einwände liegen sehr nahe,
und man könnte sie gegen die italienische
wie gegen die französische Feier in Rücksicht
auf den Papst oder die Katholiken Europas
und der ganzen Welt, oder in Rücksicht auf
die Monarchien Europas sehr wohl ebenfalls
machen, Aber das kommt niemand bei, oder es
verhallt ungehört. Nicht ungehört sind die in
deutschen Zeitungen selbst gemachten Einwände
gegen dieSedanfeier aus Rücksicht auf die fran¬
zösische Empfindlichkeit verhallt. Wir sollen
nicht unaufhörlich einen den Nachbarn demü¬
tigender Sieg feiern, wir sollen nicht immer
wieder die Franzosen um ihre Niederlage (die
sie selbst um wenigsten bergessen haben) er¬
innern, weil sie das ärgert und schmerzt.
Dem kann man um sich sehr bestimmt
widersprechen. Wir haben ein Recht, diese
Erinnerung zu feiern, und solche Rücksicht¬
nahme ist zweifellos zu weitgehend.


[Spaltenumbruch]

Wir haben es vor allem nötig, um einem
Tag im Jnhre ans die rein nationalen Er-
rnngenschnften deS großen Krieges zurück¬
zublicken, indem wir nuf ihre Folgen für uus
bis auf die Gegenwart herab und ihre
Festigung in der Zukunft blicken, uns so in
Gedanken zusammenfinden und dnbei über
die partikularen Unterschiede und Verschieden¬
heiten bewußt hinwegsetzen.

Der gegebene Tag dafür ist der 18, Januar,

Ich habe mich schon lange — schon als
Knabe — im stillen gewundert, daß dieser
Tag, der das Deutsche Reich schuf und
der Tag ist und bleibt, den die Geschichte
als dessen Geburtstag nennen wird, all¬
jährlich so spurlos und klanglos vorübergleitet.
Was läge eigentlich näher, als in Preuße»
wie im übrigen Reich diesen Tag zum Patrio¬
tischen Feiertag zu erheben? Der große Krieg,
der siegesstolz, die Niederlagen unserer
Nachbarn, das Eigenlob, all dies wäre in
den Hintergrund gerückt. Die eigentlichen
Siegesfeiern blieben denen dabei unbenommen,
die stets ein Recht darauf haben werden, sie
zu feiern, nämlich de» Armeekorps, den Re¬
gimentern und Veteranen. Auch der Landes¬
fürst brauchte nicht zu kurz zu kommen. Aber
das deutsche Volk gewänne trotzdem mit dein
18. Januar eine» Nationalfeiertag, der dem
Zweck eines solchen weit besser mitspräche als die
Scdanseier. Der Blick würde ans dus gelenkt,
was uns allen frommt, nicht auf dus, was vor
Jahrzehnten gewesen ist, auf Blut und Eisen.
Loszulösen ist die Geburt des Deutschen
Reiches vom Kriege ja nimmermehr. Aber die
Erinnerung daran sollte nicht unaufhörlich
gerade im Vordergründe stehen. Mit Maßen
ist sie nützlich auch für das heutige Geschlecht.
Als Selbstzweck muß sie, je länger desto mehr,
an Leben und Wirksamkeit verlieren. Das
Bleibende und um uus her sich Regende aber,
das, was unsere Nation heute fühlt und wünscht
und hofft, das ist es, was wir, anknüpfend
an ihre Wiedergeburt in der großen Zeit, an
einem Nationalfeiertage uns vor die Seele
führen sollen.

Dr. Manfred Lime [Ende Spaltensatz]

den kriegerische» Ereignissen steht und stehe» soll.




Grenzboten I 1911
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[0159] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gegner. Ihre Einwände liegen sehr nahe, und man könnte sie gegen die italienische wie gegen die französische Feier in Rücksicht auf den Papst oder die Katholiken Europas und der ganzen Welt, oder in Rücksicht auf die Monarchien Europas sehr wohl ebenfalls machen, Aber das kommt niemand bei, oder es verhallt ungehört. Nicht ungehört sind die in deutschen Zeitungen selbst gemachten Einwände gegen dieSedanfeier aus Rücksicht auf die fran¬ zösische Empfindlichkeit verhallt. Wir sollen nicht unaufhörlich einen den Nachbarn demü¬ tigender Sieg feiern, wir sollen nicht immer wieder die Franzosen um ihre Niederlage (die sie selbst um wenigsten bergessen haben) er¬ innern, weil sie das ärgert und schmerzt. Dem kann man um sich sehr bestimmt widersprechen. Wir haben ein Recht, diese Erinnerung zu feiern, und solche Rücksicht¬ nahme ist zweifellos zu weitgehend. Wir haben es vor allem nötig, um einem Tag im Jnhre ans die rein nationalen Er- rnngenschnften deS großen Krieges zurück¬ zublicken, indem wir nuf ihre Folgen für uus bis auf die Gegenwart herab und ihre Festigung in der Zukunft blicken, uns so in Gedanken zusammenfinden und dnbei über die partikularen Unterschiede und Verschieden¬ heiten bewußt hinwegsetzen. Der gegebene Tag dafür ist der 18, Januar, Ich habe mich schon lange — schon als Knabe — im stillen gewundert, daß dieser Tag, der das Deutsche Reich schuf und der Tag ist und bleibt, den die Geschichte als dessen Geburtstag nennen wird, all¬ jährlich so spurlos und klanglos vorübergleitet. Was läge eigentlich näher, als in Preuße» wie im übrigen Reich diesen Tag zum Patrio¬ tischen Feiertag zu erheben? Der große Krieg, der siegesstolz, die Niederlagen unserer Nachbarn, das Eigenlob, all dies wäre in den Hintergrund gerückt. Die eigentlichen Siegesfeiern blieben denen dabei unbenommen, die stets ein Recht darauf haben werden, sie zu feiern, nämlich de» Armeekorps, den Re¬ gimentern und Veteranen. Auch der Landes¬ fürst brauchte nicht zu kurz zu kommen. Aber das deutsche Volk gewänne trotzdem mit dein 18. Januar eine» Nationalfeiertag, der dem Zweck eines solchen weit besser mitspräche als die Scdanseier. Der Blick würde ans dus gelenkt, was uns allen frommt, nicht auf dus, was vor Jahrzehnten gewesen ist, auf Blut und Eisen. Loszulösen ist die Geburt des Deutschen Reiches vom Kriege ja nimmermehr. Aber die Erinnerung daran sollte nicht unaufhörlich gerade im Vordergründe stehen. Mit Maßen ist sie nützlich auch für das heutige Geschlecht. Als Selbstzweck muß sie, je länger desto mehr, an Leben und Wirksamkeit verlieren. Das Bleibende und um uus her sich Regende aber, das, was unsere Nation heute fühlt und wünscht und hofft, das ist es, was wir, anknüpfend an ihre Wiedergeburt in der großen Zeit, an einem Nationalfeiertage uns vor die Seele führen sollen. Dr. Manfred Lime den kriegerische» Ereignissen steht und stehe» soll. Grenzboten I 1911

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/159>, abgerufen am 24.07.2024.