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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Tagesfragen

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vielmehr, daß die Nation an einem Tage des
Jahres in ihren eigenen politischen Grenzen
sich als Nation fühlt, und zwar in einer Weise,
die über das Persönliche hinausgeht, d. h.
über den Geburtstag des Staatsoberhauptes,
der sich in mehr formellen und offiziellen
Grenzen bewegt und je nach der Beliebtheit
des betreffenden Regenten unter Umständen ein
Zwang werden könnte. Auch ist, anßer in Eng¬
land, wo dieser Tag festgelegt ist, der Geburts¬
tag des Staatsoberhauptes ein dem Datum nach
nicht feststehender Tag im Jahre. Kurz, er ist
ein bewegliches Fest der Person. Man kann ja
ein Nationalfest daraus machen, den Herrscher
als Symbol des Staates feiern n. tgi. Aber
an seinem Geburtstage soll das Oberhaupt
im Bordergrunde stehen, nicht das Volk oder
die Volksgemeinschaft. Und überdies ist des
Kaisers Geburtstag in Deutschland weder ein
gesetzlicher noch ein allgemeiner Feiertag: in
Bayern wird er nur vom Hofe, nicht all¬
gemein, z. B. um den Schule", begangen.

In Ländern wie Osterreich ist ein nationa ter
Tag undenkbar, denn es gibt keine öster¬
reichische Ration. Den Geburtstag des Kaisers
kann man dort feiern, aber die Nation hat als
solche keinen Gedenktag. Anders verhält es sich in
Italien, wo der 20. September ohne jede Rück¬
sicht auf den Papst das Nntionalfest ist, der Tag,
wo 1870 die italienischen Truppen in Rom
einzogen. So feiern die Frnnzosen als Re¬
publikaner den 14. Juli als Nationalfeiertag,
den Tag, wo 1789 mit der Erstürmung der
Bastille die Revolution begann. In Italien
wird also ein Politisch-kriegerisches Ereignis
mit der Erinnerung an die Erwerbung der
Hauptstadt Rom, in Frankreich ein politisch-
konstitutionelles Fest mit der Erinnerung an
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit be¬
gangen, um die Nation an ihr Dasein, ihre
Einheit zu gemahnen.

In keinem Lande aber ist die moralische
Bedeutung eines nationalen Feiertags höher
anzuschlagen als in dem eigenartigen Deut¬
schen Reiche, wo beständig Gegensätze auf¬
tauchen und niederzuhalten sind, die in der
politischen Zusammensetzung des Reiches aus
Einzelstaaten begründet'sind. Sicherlich sind
es vielfach keine Freunde der Stärkung unseres
Nationalbewußtseins, welche die Sedcmfeier
bekämpfen, sondern deren geheime oder offene

[Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Tagesfragen

[Spaltenumbruch]

vielmehr, daß die Nation an einem Tage des
Jahres in ihren eigenen politischen Grenzen
sich als Nation fühlt, und zwar in einer Weise,
die über das Persönliche hinausgeht, d. h.
über den Geburtstag des Staatsoberhauptes,
der sich in mehr formellen und offiziellen
Grenzen bewegt und je nach der Beliebtheit
des betreffenden Regenten unter Umständen ein
Zwang werden könnte. Auch ist, anßer in Eng¬
land, wo dieser Tag festgelegt ist, der Geburts¬
tag des Staatsoberhauptes ein dem Datum nach
nicht feststehender Tag im Jahre. Kurz, er ist
ein bewegliches Fest der Person. Man kann ja
ein Nationalfest daraus machen, den Herrscher
als Symbol des Staates feiern n. tgi. Aber
an seinem Geburtstage soll das Oberhaupt
im Bordergrunde stehen, nicht das Volk oder
die Volksgemeinschaft. Und überdies ist des
Kaisers Geburtstag in Deutschland weder ein
gesetzlicher noch ein allgemeiner Feiertag: in
Bayern wird er nur vom Hofe, nicht all¬
gemein, z. B. um den Schule», begangen.

In Ländern wie Osterreich ist ein nationa ter
Tag undenkbar, denn es gibt keine öster¬
reichische Ration. Den Geburtstag des Kaisers
kann man dort feiern, aber die Nation hat als
solche keinen Gedenktag. Anders verhält es sich in
Italien, wo der 20. September ohne jede Rück¬
sicht auf den Papst das Nntionalfest ist, der Tag,
wo 1870 die italienischen Truppen in Rom
einzogen. So feiern die Frnnzosen als Re¬
publikaner den 14. Juli als Nationalfeiertag,
den Tag, wo 1789 mit der Erstürmung der
Bastille die Revolution begann. In Italien
wird also ein Politisch-kriegerisches Ereignis
mit der Erinnerung an die Erwerbung der
Hauptstadt Rom, in Frankreich ein politisch-
konstitutionelles Fest mit der Erinnerung an
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit be¬
gangen, um die Nation an ihr Dasein, ihre
Einheit zu gemahnen.

In keinem Lande aber ist die moralische
Bedeutung eines nationalen Feiertags höher
anzuschlagen als in dem eigenartigen Deut¬
schen Reiche, wo beständig Gegensätze auf¬
tauchen und niederzuhalten sind, die in der
politischen Zusammensetzung des Reiches aus
Einzelstaaten begründet'sind. Sicherlich sind
es vielfach keine Freunde der Stärkung unseres
Nationalbewußtseins, welche die Sedcmfeier
bekämpfen, sondern deren geheime oder offene

[Ende Spaltensatz]


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[0158] Maßgebliches und Unmaßgebliches Tagesfragen vielmehr, daß die Nation an einem Tage des Jahres in ihren eigenen politischen Grenzen sich als Nation fühlt, und zwar in einer Weise, die über das Persönliche hinausgeht, d. h. über den Geburtstag des Staatsoberhauptes, der sich in mehr formellen und offiziellen Grenzen bewegt und je nach der Beliebtheit des betreffenden Regenten unter Umständen ein Zwang werden könnte. Auch ist, anßer in Eng¬ land, wo dieser Tag festgelegt ist, der Geburts¬ tag des Staatsoberhauptes ein dem Datum nach nicht feststehender Tag im Jahre. Kurz, er ist ein bewegliches Fest der Person. Man kann ja ein Nationalfest daraus machen, den Herrscher als Symbol des Staates feiern n. tgi. Aber an seinem Geburtstage soll das Oberhaupt im Bordergrunde stehen, nicht das Volk oder die Volksgemeinschaft. Und überdies ist des Kaisers Geburtstag in Deutschland weder ein gesetzlicher noch ein allgemeiner Feiertag: in Bayern wird er nur vom Hofe, nicht all¬ gemein, z. B. um den Schule», begangen. In Ländern wie Osterreich ist ein nationa ter Tag undenkbar, denn es gibt keine öster¬ reichische Ration. Den Geburtstag des Kaisers kann man dort feiern, aber die Nation hat als solche keinen Gedenktag. Anders verhält es sich in Italien, wo der 20. September ohne jede Rück¬ sicht auf den Papst das Nntionalfest ist, der Tag, wo 1870 die italienischen Truppen in Rom einzogen. So feiern die Frnnzosen als Re¬ publikaner den 14. Juli als Nationalfeiertag, den Tag, wo 1789 mit der Erstürmung der Bastille die Revolution begann. In Italien wird also ein Politisch-kriegerisches Ereignis mit der Erinnerung an die Erwerbung der Hauptstadt Rom, in Frankreich ein politisch- konstitutionelles Fest mit der Erinnerung an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit be¬ gangen, um die Nation an ihr Dasein, ihre Einheit zu gemahnen. In keinem Lande aber ist die moralische Bedeutung eines nationalen Feiertags höher anzuschlagen als in dem eigenartigen Deut¬ schen Reiche, wo beständig Gegensätze auf¬ tauchen und niederzuhalten sind, die in der politischen Zusammensetzung des Reiches aus Einzelstaaten begründet'sind. Sicherlich sind es vielfach keine Freunde der Stärkung unseres Nationalbewußtseins, welche die Sedcmfeier bekämpfen, sondern deren geheime oder offene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/158>, abgerufen am 24.07.2024.