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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Hast du dich wieder angesogen, versoffene Fratze!"

Okolitsch wandte sich, um weiterzugehen. Da sah er, wie der Hund aus der
Spur des Bauern eifrig schnupperte und dabei wedelte.

"Gefällt dir der Geruch des Saufbruders, Bol?"

Der Hund hob den Kopf zu ihm, sträubte das Haar und knurrte. Kalt lief
es dem Jäger über den Rücken. Sollte es möglich sein!

"Wer ist es, Bol?"

Nochmals machte das Tier sich an die Spur, verfolgte sie ein Stückchen,
wedelte mit dem Schwänze, wandte sich zum Herrn, sträubte von neuem das Haar
und knurrte heiser.

Nun hielt Okolitsch jeden Zweifel für ausgeschlossen. Hastig schritt er aus,
auf den Schutzmann zu. Der Hund schien nur darauf gewartet zu haben. Mit
einem schreiartigen Toi:, den man für Freude oder für Zorn nehmen konnte, sprang
er vor und wollte forteilen, dem Bauern nach.

"Zurück, Bol!"

Gehorsam begab er sich hinter seinen Herrn.

"Oinssim," sprach Okolitsch, jetzt bereits ruhig und gesammelt, "sage doch,
Bruder, kennst du den Menschen, der dich so tief grüßte?"

Der Alte warf einen bösen Blick auf die schmutzige Gestalt, die eben um die
Ecke bog.

"Wie soll ich ihn nicht kennen! Das ist ja der Saufaus Nikifor, der im
Flecken Aborte reinigt."

Das stimmte nicht recht. Okolitsch hatte ihn zu genau erkannt. Der Mann
war kein Fleckenbewohner, sondern ein Bauer vom Lande.

"Irrst du nicht, Onissim? Ich weiß, daß es ein Landmann aus der Um¬
gegend ist."

"Nun ja, er ist auch aus der Unigegend. Er kommt zum Reinigen in der
Nacht hergefahren. Heute, am Feiertage, hat er wohl Geld für die Arbeit ein¬
kassiert und sich natürlich betrunken."

"Er wohnt dort" -- Okolitsch wies mit der Hand zurück -- "an der Chaussee
zum Gouvernement?"

"Jawohl, er hat da seinen Hof in der Nähe der Chaussee."

"Weißt du vielleicht, in welchem Dorfe?"

"Nein, aber ich habe gehört, daß es etwa acht Werst dahin seien. Es lebt
dort eine ganze Verwandtschaft von solchen nichtsnutzigen Kerlen."

Eine ganze Verwandtschaft! Gewiß. Damals, im vorigen Jahre fand sich
auf der Chaussee ja auch gleich ein Schwager -- Himmel! Okolitsch fühlte, wie
ihm heiß wurde. Der Schwager! Das war ja der lange Kerl mit den kleinen,
stechenden Augen und dem gelbblonden Barte, den er vor einigen Tagen durch
Bärengebrüll verscheucht hatte. Jetzt wurde es klar vor seinen Augen. Der kleine,
schmutzige Nikifor -- den hatte er wahrscheinlich im vorigen Herbste in der
Dunkelheit gepackt, wobei das Laternchen in den Graben gerollt war. Dessen
Spur war es gewesen, die der Hund damals erkannt hatte, weil ihm der Geruch
im Frühjahr so aufgefallen war, und daß dieser Geruch ihn ganz besonders
interessiert hatte, war begreiflich, da der Kerl Aborte reinigte. Der Schwager
aber -- darauf hätte Okolitsch schwören mögen -- das war der Kerl, der das


Im Flecken

„Hast du dich wieder angesogen, versoffene Fratze!"

Okolitsch wandte sich, um weiterzugehen. Da sah er, wie der Hund aus der
Spur des Bauern eifrig schnupperte und dabei wedelte.

„Gefällt dir der Geruch des Saufbruders, Bol?"

Der Hund hob den Kopf zu ihm, sträubte das Haar und knurrte. Kalt lief
es dem Jäger über den Rücken. Sollte es möglich sein!

„Wer ist es, Bol?"

Nochmals machte das Tier sich an die Spur, verfolgte sie ein Stückchen,
wedelte mit dem Schwänze, wandte sich zum Herrn, sträubte von neuem das Haar
und knurrte heiser.

Nun hielt Okolitsch jeden Zweifel für ausgeschlossen. Hastig schritt er aus,
auf den Schutzmann zu. Der Hund schien nur darauf gewartet zu haben. Mit
einem schreiartigen Toi:, den man für Freude oder für Zorn nehmen konnte, sprang
er vor und wollte forteilen, dem Bauern nach.

„Zurück, Bol!"

Gehorsam begab er sich hinter seinen Herrn.

„Oinssim," sprach Okolitsch, jetzt bereits ruhig und gesammelt, „sage doch,
Bruder, kennst du den Menschen, der dich so tief grüßte?"

Der Alte warf einen bösen Blick auf die schmutzige Gestalt, die eben um die
Ecke bog.

„Wie soll ich ihn nicht kennen! Das ist ja der Saufaus Nikifor, der im
Flecken Aborte reinigt."

Das stimmte nicht recht. Okolitsch hatte ihn zu genau erkannt. Der Mann
war kein Fleckenbewohner, sondern ein Bauer vom Lande.

„Irrst du nicht, Onissim? Ich weiß, daß es ein Landmann aus der Um¬
gegend ist."

„Nun ja, er ist auch aus der Unigegend. Er kommt zum Reinigen in der
Nacht hergefahren. Heute, am Feiertage, hat er wohl Geld für die Arbeit ein¬
kassiert und sich natürlich betrunken."

„Er wohnt dort" — Okolitsch wies mit der Hand zurück — „an der Chaussee
zum Gouvernement?"

„Jawohl, er hat da seinen Hof in der Nähe der Chaussee."

„Weißt du vielleicht, in welchem Dorfe?"

„Nein, aber ich habe gehört, daß es etwa acht Werst dahin seien. Es lebt
dort eine ganze Verwandtschaft von solchen nichtsnutzigen Kerlen."

Eine ganze Verwandtschaft! Gewiß. Damals, im vorigen Jahre fand sich
auf der Chaussee ja auch gleich ein Schwager — Himmel! Okolitsch fühlte, wie
ihm heiß wurde. Der Schwager! Das war ja der lange Kerl mit den kleinen,
stechenden Augen und dem gelbblonden Barte, den er vor einigen Tagen durch
Bärengebrüll verscheucht hatte. Jetzt wurde es klar vor seinen Augen. Der kleine,
schmutzige Nikifor — den hatte er wahrscheinlich im vorigen Herbste in der
Dunkelheit gepackt, wobei das Laternchen in den Graben gerollt war. Dessen
Spur war es gewesen, die der Hund damals erkannt hatte, weil ihm der Geruch
im Frühjahr so aufgefallen war, und daß dieser Geruch ihn ganz besonders
interessiert hatte, war begreiflich, da der Kerl Aborte reinigte. Der Schwager
aber — darauf hätte Okolitsch schwören mögen — das war der Kerl, der das


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[0149] Im Flecken „Hast du dich wieder angesogen, versoffene Fratze!" Okolitsch wandte sich, um weiterzugehen. Da sah er, wie der Hund aus der Spur des Bauern eifrig schnupperte und dabei wedelte. „Gefällt dir der Geruch des Saufbruders, Bol?" Der Hund hob den Kopf zu ihm, sträubte das Haar und knurrte. Kalt lief es dem Jäger über den Rücken. Sollte es möglich sein! „Wer ist es, Bol?" Nochmals machte das Tier sich an die Spur, verfolgte sie ein Stückchen, wedelte mit dem Schwänze, wandte sich zum Herrn, sträubte von neuem das Haar und knurrte heiser. Nun hielt Okolitsch jeden Zweifel für ausgeschlossen. Hastig schritt er aus, auf den Schutzmann zu. Der Hund schien nur darauf gewartet zu haben. Mit einem schreiartigen Toi:, den man für Freude oder für Zorn nehmen konnte, sprang er vor und wollte forteilen, dem Bauern nach. „Zurück, Bol!" Gehorsam begab er sich hinter seinen Herrn. „Oinssim," sprach Okolitsch, jetzt bereits ruhig und gesammelt, „sage doch, Bruder, kennst du den Menschen, der dich so tief grüßte?" Der Alte warf einen bösen Blick auf die schmutzige Gestalt, die eben um die Ecke bog. „Wie soll ich ihn nicht kennen! Das ist ja der Saufaus Nikifor, der im Flecken Aborte reinigt." Das stimmte nicht recht. Okolitsch hatte ihn zu genau erkannt. Der Mann war kein Fleckenbewohner, sondern ein Bauer vom Lande. „Irrst du nicht, Onissim? Ich weiß, daß es ein Landmann aus der Um¬ gegend ist." „Nun ja, er ist auch aus der Unigegend. Er kommt zum Reinigen in der Nacht hergefahren. Heute, am Feiertage, hat er wohl Geld für die Arbeit ein¬ kassiert und sich natürlich betrunken." „Er wohnt dort" — Okolitsch wies mit der Hand zurück — „an der Chaussee zum Gouvernement?" „Jawohl, er hat da seinen Hof in der Nähe der Chaussee." „Weißt du vielleicht, in welchem Dorfe?" „Nein, aber ich habe gehört, daß es etwa acht Werst dahin seien. Es lebt dort eine ganze Verwandtschaft von solchen nichtsnutzigen Kerlen." Eine ganze Verwandtschaft! Gewiß. Damals, im vorigen Jahre fand sich auf der Chaussee ja auch gleich ein Schwager — Himmel! Okolitsch fühlte, wie ihm heiß wurde. Der Schwager! Das war ja der lange Kerl mit den kleinen, stechenden Augen und dem gelbblonden Barte, den er vor einigen Tagen durch Bärengebrüll verscheucht hatte. Jetzt wurde es klar vor seinen Augen. Der kleine, schmutzige Nikifor — den hatte er wahrscheinlich im vorigen Herbste in der Dunkelheit gepackt, wobei das Laternchen in den Graben gerollt war. Dessen Spur war es gewesen, die der Hund damals erkannt hatte, weil ihm der Geruch im Frühjahr so aufgefallen war, und daß dieser Geruch ihn ganz besonders interessiert hatte, war begreiflich, da der Kerl Aborte reinigte. Der Schwager aber — darauf hätte Okolitsch schwören mögen — das war der Kerl, der das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/149>, abgerufen am 28.12.2024.