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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

Die Bedeutung dieses Abkommens wird klar, wenn man die Haltung Deutsch¬
lands gegenüber der französischen Okkupationspolitik beachtet, besonders aber,
wenn man den Wortlaut mit dem des englisch-französischen Abkommens von
1904 vergleicht. Hier wie dort die Phrase von der Aufrechterhaltung des
8laws amo und dem besonderen Interesse Frankreichs an der Sicherung von
Ordnung und Ruhe in Marokko, hier wie dort Abmachungen über die Behandlung
der wirtschaftlichen Interessen! -- Kurz, das deutsche Februarabkommen ist ein
Parallelvertrag zum englischen und spanischen Abkommen vom Jahre 1904; mit
ihm ist Deutschland nachträglich in den Kreis der damaligen Kontrahenten ein¬
getreten. In politischer Hinsicht sind die Ergebnisse dieses Abkommens klar,
denn das Zugeständnis der politischen Vorherrschaft Frankreichs in Marokko
bedeutet nichts anderes als ein französisches Protektorat, das ja, mit der
zugesicherten "Integrität und Unabhängigkeit" Marokkos praktisch sehr wohl
in Einklang zu bringen ist. Deutschland hat danach endgültig darauf
verzichtet, politische Bestrebungen in Marokko insoweit zu verfolgen, als
sie mit französischen Interessen kollidieren würden; im übrigen hat es
sich natürlich die eigene Wahrung seiner politischen Interessen vorbehalten.
In wirtschaftlicher Beziehung dagegen bedeutet das Abkommen einen großen
Schritt vorwärts gegenüber den Bestimmungen der Algecirasakte. Denn in
letzterer war den Franzosen eine wirtschaftliche Vorrechtsstellung eingeräumt
worden, die jetzt dahin beschränkt wurde, daß keine der beiden Mächte neue
wirtschaftliche Vorrechte schaffen, sondern an allen Geschäften die Staats¬
angehörigen der anderen Macht teilnehmen lassen soll. Hieraus folgt, daß alle
in Kapitel L der Algecirasakte erwähnten Angelegenheiten des öffentlichen
Dienstes und der öffentlichen Arbeiten, soweit sie französischen Unternehmern
zufallen, auch deutschen Unternehmern zur Beteiligung angeboten werden sollen
und umgekehrt. Da über die Höhe der Beteiligung nichts gesagt ist, bleibt sie
von Fall zu Fall der freien Vereinbarung überlassen. Die in dein Abkommen
geschaffene Vorzugsstellung Deutschlands vor den übrigen Signatarmächten der
Algecirasakte würde zweifellos eine befriedigende Lösung der wirtschaftlichen
Betätigungsfrage für Deutschland in Marokko bedeuten, wenn die papierener
Abmachungen in demselben Geiste ausgeführt werden, in dem sie abgeschlossen
sind -- und wenn nicht die politische Vorherrschaft Frankreichs bestünde. Denn
die französischen Lokalautoritäten in Marokko haben schon des öfteren in einem
ganz anderen Sinne gewirkt, als es die Zentralregierung in Paris wünschte
oder zu wünschen vorgab, und die Macht der tatsächlichen Verhältnisse, das
durch Bajonette gestützte Schwergewicht des französischen Einflusses in Marokko,
wird auch in wirtschaftlichen Fragen immer nach der Richtung der französischen
Interessen hinüberdrücken. Und dann, wird sich zwischen den deutscheu
und den französischen Unternehmern immer ein Einverständnis über die
gemeinsame Beteiligung erzielen lassen? Und wenn nicht, -- ums soll dann
geschehen?


Marokkanischer Brief

Die Bedeutung dieses Abkommens wird klar, wenn man die Haltung Deutsch¬
lands gegenüber der französischen Okkupationspolitik beachtet, besonders aber,
wenn man den Wortlaut mit dem des englisch-französischen Abkommens von
1904 vergleicht. Hier wie dort die Phrase von der Aufrechterhaltung des
8laws amo und dem besonderen Interesse Frankreichs an der Sicherung von
Ordnung und Ruhe in Marokko, hier wie dort Abmachungen über die Behandlung
der wirtschaftlichen Interessen! — Kurz, das deutsche Februarabkommen ist ein
Parallelvertrag zum englischen und spanischen Abkommen vom Jahre 1904; mit
ihm ist Deutschland nachträglich in den Kreis der damaligen Kontrahenten ein¬
getreten. In politischer Hinsicht sind die Ergebnisse dieses Abkommens klar,
denn das Zugeständnis der politischen Vorherrschaft Frankreichs in Marokko
bedeutet nichts anderes als ein französisches Protektorat, das ja, mit der
zugesicherten „Integrität und Unabhängigkeit" Marokkos praktisch sehr wohl
in Einklang zu bringen ist. Deutschland hat danach endgültig darauf
verzichtet, politische Bestrebungen in Marokko insoweit zu verfolgen, als
sie mit französischen Interessen kollidieren würden; im übrigen hat es
sich natürlich die eigene Wahrung seiner politischen Interessen vorbehalten.
In wirtschaftlicher Beziehung dagegen bedeutet das Abkommen einen großen
Schritt vorwärts gegenüber den Bestimmungen der Algecirasakte. Denn in
letzterer war den Franzosen eine wirtschaftliche Vorrechtsstellung eingeräumt
worden, die jetzt dahin beschränkt wurde, daß keine der beiden Mächte neue
wirtschaftliche Vorrechte schaffen, sondern an allen Geschäften die Staats¬
angehörigen der anderen Macht teilnehmen lassen soll. Hieraus folgt, daß alle
in Kapitel L der Algecirasakte erwähnten Angelegenheiten des öffentlichen
Dienstes und der öffentlichen Arbeiten, soweit sie französischen Unternehmern
zufallen, auch deutschen Unternehmern zur Beteiligung angeboten werden sollen
und umgekehrt. Da über die Höhe der Beteiligung nichts gesagt ist, bleibt sie
von Fall zu Fall der freien Vereinbarung überlassen. Die in dein Abkommen
geschaffene Vorzugsstellung Deutschlands vor den übrigen Signatarmächten der
Algecirasakte würde zweifellos eine befriedigende Lösung der wirtschaftlichen
Betätigungsfrage für Deutschland in Marokko bedeuten, wenn die papierener
Abmachungen in demselben Geiste ausgeführt werden, in dem sie abgeschlossen
sind — und wenn nicht die politische Vorherrschaft Frankreichs bestünde. Denn
die französischen Lokalautoritäten in Marokko haben schon des öfteren in einem
ganz anderen Sinne gewirkt, als es die Zentralregierung in Paris wünschte
oder zu wünschen vorgab, und die Macht der tatsächlichen Verhältnisse, das
durch Bajonette gestützte Schwergewicht des französischen Einflusses in Marokko,
wird auch in wirtschaftlichen Fragen immer nach der Richtung der französischen
Interessen hinüberdrücken. Und dann, wird sich zwischen den deutscheu
und den französischen Unternehmern immer ein Einverständnis über die
gemeinsame Beteiligung erzielen lassen? Und wenn nicht, — ums soll dann
geschehen?


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[0147] Marokkanischer Brief Die Bedeutung dieses Abkommens wird klar, wenn man die Haltung Deutsch¬ lands gegenüber der französischen Okkupationspolitik beachtet, besonders aber, wenn man den Wortlaut mit dem des englisch-französischen Abkommens von 1904 vergleicht. Hier wie dort die Phrase von der Aufrechterhaltung des 8laws amo und dem besonderen Interesse Frankreichs an der Sicherung von Ordnung und Ruhe in Marokko, hier wie dort Abmachungen über die Behandlung der wirtschaftlichen Interessen! — Kurz, das deutsche Februarabkommen ist ein Parallelvertrag zum englischen und spanischen Abkommen vom Jahre 1904; mit ihm ist Deutschland nachträglich in den Kreis der damaligen Kontrahenten ein¬ getreten. In politischer Hinsicht sind die Ergebnisse dieses Abkommens klar, denn das Zugeständnis der politischen Vorherrschaft Frankreichs in Marokko bedeutet nichts anderes als ein französisches Protektorat, das ja, mit der zugesicherten „Integrität und Unabhängigkeit" Marokkos praktisch sehr wohl in Einklang zu bringen ist. Deutschland hat danach endgültig darauf verzichtet, politische Bestrebungen in Marokko insoweit zu verfolgen, als sie mit französischen Interessen kollidieren würden; im übrigen hat es sich natürlich die eigene Wahrung seiner politischen Interessen vorbehalten. In wirtschaftlicher Beziehung dagegen bedeutet das Abkommen einen großen Schritt vorwärts gegenüber den Bestimmungen der Algecirasakte. Denn in letzterer war den Franzosen eine wirtschaftliche Vorrechtsstellung eingeräumt worden, die jetzt dahin beschränkt wurde, daß keine der beiden Mächte neue wirtschaftliche Vorrechte schaffen, sondern an allen Geschäften die Staats¬ angehörigen der anderen Macht teilnehmen lassen soll. Hieraus folgt, daß alle in Kapitel L der Algecirasakte erwähnten Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Arbeiten, soweit sie französischen Unternehmern zufallen, auch deutschen Unternehmern zur Beteiligung angeboten werden sollen und umgekehrt. Da über die Höhe der Beteiligung nichts gesagt ist, bleibt sie von Fall zu Fall der freien Vereinbarung überlassen. Die in dein Abkommen geschaffene Vorzugsstellung Deutschlands vor den übrigen Signatarmächten der Algecirasakte würde zweifellos eine befriedigende Lösung der wirtschaftlichen Betätigungsfrage für Deutschland in Marokko bedeuten, wenn die papierener Abmachungen in demselben Geiste ausgeführt werden, in dem sie abgeschlossen sind — und wenn nicht die politische Vorherrschaft Frankreichs bestünde. Denn die französischen Lokalautoritäten in Marokko haben schon des öfteren in einem ganz anderen Sinne gewirkt, als es die Zentralregierung in Paris wünschte oder zu wünschen vorgab, und die Macht der tatsächlichen Verhältnisse, das durch Bajonette gestützte Schwergewicht des französischen Einflusses in Marokko, wird auch in wirtschaftlichen Fragen immer nach der Richtung der französischen Interessen hinüberdrücken. Und dann, wird sich zwischen den deutscheu und den französischen Unternehmern immer ein Einverständnis über die gemeinsame Beteiligung erzielen lassen? Und wenn nicht, — ums soll dann geschehen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/147>, abgerufen am 24.07.2024.