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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

kauernden marokkanischen Sultans, darüber auf der Mitte des Brettes sitzt mit
etwas ängstlichem Gesicht der französische Präsident, während sich Kaiser Wilhelm
und König Eduard, auf den beiden Enden des Brettes sitzend, mit in der
Richtung nach dem Präsidenten drohend vorgehaltenen Revolvern schaukeln. --
Eine den Nagel auf den Kopf treffende, selten gute politische Karikatur! --

Das Ergebnis der Konferenz, auf der es nach dem Wort des Fürsten
Bülow weder Sieger noch Besiegte gegeben hatte, war nicht völlig klar. Zunächst
muß hervorgehoben werden, daß die Erörterung des französischen Abkommens
mit England und Spanien, also die eigentliche Ursache der Konferenz, von
ihrer Tagesordnung von vornherein ausgeschlossen war; es war dies die
conclitio "me qua non der Weststaaten gewesen, überhaupt auf die Konferenz
zu kommen. Für die Würdigung des Konferenzergebnisses ist deshalb ent¬
scheidend, inwieweit die früheren Abkommen durch die Algecirasakte praktisch
außer Wirksamkeit gesetzt worden sind.

Sehr verheißungsvoll in dieser Hinsicht klingt der Eingang der Akte,
worin in feierlichen Worten erklärt wird, daß die notwendigen Reformen in
Marokko vorgenommen werden sollen "8ur le triple Principe ac la "ouverainete
et ac I'inäepenäance ac La ^sje3te- le Sultan, ac I'inteZrite ac Le8 Lot8
et ac la liberte econoniique 8an3 aucune insMlite". -- Souveränität und
Unabhängigkeit des Sultans, Integrität seines Reichs und unterschiedslose wirt¬
schaftliche Freiheit, das sind fürwahr drei inhaltsschwere Prinzipien, wenn sie
streng nach Völker- und staatsrechtlichen Lehren aufgefaßt werden! -- In der
Politik, die ja die Kunst des Erreichbaren ist, sind diese Begriffe aber leider
sehr dehnbar, so daß z. B. die Souveränität eigentlich nur negativ dahin
definiert werden kann, daß ein souveräner Staat äußerlich seiue Selbständigkeit
noch nicht völlig verloren haben darf; hatte doch schon das englisch-französische
Abkommen von 1904 die Aufrechterhaltung des 8tatu8 quo in Marokko aus¬
drücklich vorgesehen und trotzdem in einem Atemzuge Frankreich ein Protektorat
reinsten Wassers zugestanden. Kritisch betrachtet enthalten deshalb die feier¬
lichen Eingangserklärungen der Akte wenig Positives, sie konnten eine
bestimmte Umgrenzung und einen wirklichen Inhalt erst durch die spätere
praktische Auslegung der einzelnen Begriffe erhalten und ließen deshalb den
Beteiligten vorläufig noch freie Hand. Anders steht es mit dem eigentlichen
Inhalt der Akte, der in hundertdreiundzwanzig Artikeln eine große Zahl handels¬
politischer und verwaltungsrechtlicher Einzelbestimmungen enthält, deren Durch¬
führung schon gute Erfolge gezeitigt hat und sicherlich in Zukunft noch zeitigen
wird. Alle diese Bestimmungen sind darauf zugeschnitten, Frankreich vor den
übrigen Mächten zwar ein gewisses Vorrecht zu geben, gleichzeitig aber zu
verhüten, daß ein französisches Monopol für die wirtschaftliche Erschließung des
außerordentlich reichen Landes entstehen kann. Gegenüber der im englisch-
französischen Abkommen beabsichtigten Protektorats- und Monopolstellung Frank¬
reichs bedeuten also die Bestimmungen der Algecirasakte eine starke Zurück-


Marokkanischer Brief

kauernden marokkanischen Sultans, darüber auf der Mitte des Brettes sitzt mit
etwas ängstlichem Gesicht der französische Präsident, während sich Kaiser Wilhelm
und König Eduard, auf den beiden Enden des Brettes sitzend, mit in der
Richtung nach dem Präsidenten drohend vorgehaltenen Revolvern schaukeln. —
Eine den Nagel auf den Kopf treffende, selten gute politische Karikatur! —

Das Ergebnis der Konferenz, auf der es nach dem Wort des Fürsten
Bülow weder Sieger noch Besiegte gegeben hatte, war nicht völlig klar. Zunächst
muß hervorgehoben werden, daß die Erörterung des französischen Abkommens
mit England und Spanien, also die eigentliche Ursache der Konferenz, von
ihrer Tagesordnung von vornherein ausgeschlossen war; es war dies die
conclitio »me qua non der Weststaaten gewesen, überhaupt auf die Konferenz
zu kommen. Für die Würdigung des Konferenzergebnisses ist deshalb ent¬
scheidend, inwieweit die früheren Abkommen durch die Algecirasakte praktisch
außer Wirksamkeit gesetzt worden sind.

Sehr verheißungsvoll in dieser Hinsicht klingt der Eingang der Akte,
worin in feierlichen Worten erklärt wird, daß die notwendigen Reformen in
Marokko vorgenommen werden sollen „8ur le triple Principe ac la »ouverainete
et ac I'inäepenäance ac La ^sje3te- le Sultan, ac I'inteZrite ac Le8 Lot8
et ac la liberte econoniique 8an3 aucune insMlite". — Souveränität und
Unabhängigkeit des Sultans, Integrität seines Reichs und unterschiedslose wirt¬
schaftliche Freiheit, das sind fürwahr drei inhaltsschwere Prinzipien, wenn sie
streng nach Völker- und staatsrechtlichen Lehren aufgefaßt werden! — In der
Politik, die ja die Kunst des Erreichbaren ist, sind diese Begriffe aber leider
sehr dehnbar, so daß z. B. die Souveränität eigentlich nur negativ dahin
definiert werden kann, daß ein souveräner Staat äußerlich seiue Selbständigkeit
noch nicht völlig verloren haben darf; hatte doch schon das englisch-französische
Abkommen von 1904 die Aufrechterhaltung des 8tatu8 quo in Marokko aus¬
drücklich vorgesehen und trotzdem in einem Atemzuge Frankreich ein Protektorat
reinsten Wassers zugestanden. Kritisch betrachtet enthalten deshalb die feier¬
lichen Eingangserklärungen der Akte wenig Positives, sie konnten eine
bestimmte Umgrenzung und einen wirklichen Inhalt erst durch die spätere
praktische Auslegung der einzelnen Begriffe erhalten und ließen deshalb den
Beteiligten vorläufig noch freie Hand. Anders steht es mit dem eigentlichen
Inhalt der Akte, der in hundertdreiundzwanzig Artikeln eine große Zahl handels¬
politischer und verwaltungsrechtlicher Einzelbestimmungen enthält, deren Durch¬
führung schon gute Erfolge gezeitigt hat und sicherlich in Zukunft noch zeitigen
wird. Alle diese Bestimmungen sind darauf zugeschnitten, Frankreich vor den
übrigen Mächten zwar ein gewisses Vorrecht zu geben, gleichzeitig aber zu
verhüten, daß ein französisches Monopol für die wirtschaftliche Erschließung des
außerordentlich reichen Landes entstehen kann. Gegenüber der im englisch-
französischen Abkommen beabsichtigten Protektorats- und Monopolstellung Frank¬
reichs bedeuten also die Bestimmungen der Algecirasakte eine starke Zurück-


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[0145] Marokkanischer Brief kauernden marokkanischen Sultans, darüber auf der Mitte des Brettes sitzt mit etwas ängstlichem Gesicht der französische Präsident, während sich Kaiser Wilhelm und König Eduard, auf den beiden Enden des Brettes sitzend, mit in der Richtung nach dem Präsidenten drohend vorgehaltenen Revolvern schaukeln. — Eine den Nagel auf den Kopf treffende, selten gute politische Karikatur! — Das Ergebnis der Konferenz, auf der es nach dem Wort des Fürsten Bülow weder Sieger noch Besiegte gegeben hatte, war nicht völlig klar. Zunächst muß hervorgehoben werden, daß die Erörterung des französischen Abkommens mit England und Spanien, also die eigentliche Ursache der Konferenz, von ihrer Tagesordnung von vornherein ausgeschlossen war; es war dies die conclitio »me qua non der Weststaaten gewesen, überhaupt auf die Konferenz zu kommen. Für die Würdigung des Konferenzergebnisses ist deshalb ent¬ scheidend, inwieweit die früheren Abkommen durch die Algecirasakte praktisch außer Wirksamkeit gesetzt worden sind. Sehr verheißungsvoll in dieser Hinsicht klingt der Eingang der Akte, worin in feierlichen Worten erklärt wird, daß die notwendigen Reformen in Marokko vorgenommen werden sollen „8ur le triple Principe ac la »ouverainete et ac I'inäepenäance ac La ^sje3te- le Sultan, ac I'inteZrite ac Le8 Lot8 et ac la liberte econoniique 8an3 aucune insMlite". — Souveränität und Unabhängigkeit des Sultans, Integrität seines Reichs und unterschiedslose wirt¬ schaftliche Freiheit, das sind fürwahr drei inhaltsschwere Prinzipien, wenn sie streng nach Völker- und staatsrechtlichen Lehren aufgefaßt werden! — In der Politik, die ja die Kunst des Erreichbaren ist, sind diese Begriffe aber leider sehr dehnbar, so daß z. B. die Souveränität eigentlich nur negativ dahin definiert werden kann, daß ein souveräner Staat äußerlich seiue Selbständigkeit noch nicht völlig verloren haben darf; hatte doch schon das englisch-französische Abkommen von 1904 die Aufrechterhaltung des 8tatu8 quo in Marokko aus¬ drücklich vorgesehen und trotzdem in einem Atemzuge Frankreich ein Protektorat reinsten Wassers zugestanden. Kritisch betrachtet enthalten deshalb die feier¬ lichen Eingangserklärungen der Akte wenig Positives, sie konnten eine bestimmte Umgrenzung und einen wirklichen Inhalt erst durch die spätere praktische Auslegung der einzelnen Begriffe erhalten und ließen deshalb den Beteiligten vorläufig noch freie Hand. Anders steht es mit dem eigentlichen Inhalt der Akte, der in hundertdreiundzwanzig Artikeln eine große Zahl handels¬ politischer und verwaltungsrechtlicher Einzelbestimmungen enthält, deren Durch¬ führung schon gute Erfolge gezeitigt hat und sicherlich in Zukunft noch zeitigen wird. Alle diese Bestimmungen sind darauf zugeschnitten, Frankreich vor den übrigen Mächten zwar ein gewisses Vorrecht zu geben, gleichzeitig aber zu verhüten, daß ein französisches Monopol für die wirtschaftliche Erschließung des außerordentlich reichen Landes entstehen kann. Gegenüber der im englisch- französischen Abkommen beabsichtigten Protektorats- und Monopolstellung Frank¬ reichs bedeuten also die Bestimmungen der Algecirasakte eine starke Zurück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/145>, abgerufen am 24.07.2024.