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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

keinerlei Opfern verpflichtet; der Osten dagegen muß sich der Rechtsprechung des
römischen Papstes völlig unterwerfen und überdies alle Dogmen anerkennen,
welche die römischen Theologen der jüngsten Zeit aufgestellt haben."

Weiterhin weist der Verfasser an der Hand der Geschichte nach, daß die
römische Kirche niemals weder besondere, ihr eigentümliche Privilegien, noch
gesetzgeberische Gewalten besessen habe, die geeignet wären, sie der griechischen
Kirche überzuordnen. Die Verteidiger des heutigen Roms haben die Geschichte
vergessen und wenn sie von: christlichen Altertum sprechen, so stellen sie es sich
in der Gestalt des gegenwärtigen monarchischen Systems vor. Deshalb suchen
sie die Union diesem System anzupassen*).

Was hier offen über die Absichten gegenüber dem byzantinischen Glaubens¬
bekenntnis ausgeplaudert wird, gilt auch für die Stellung der Kurie gegenüber
der evangelischen Kirche. Nur die Wege sind verschieden, die hier und dort
eingeschlagen werden müssen. In Deutschland muß eine politische Partei, die
sich bald eine katholische, bald eine konfessionslose, bald eine demokratische oder
konservative nennt, die Wege ebnen. Gegenwärtig gebärdet sich das Zentrum
konservativ. Denn es gilt, eine Vereinigung der Konservativen im Reich mit den
Nationalliberalen zu hintertreiben. Und die Konservativen wollen allen: Anschein
nach darauf hineinfallen, obwohl das Zentrum sich durch die Anklageschrift des
Grafen Oppersdorf gegen Martin spähn ganz offen als eine Förderin des
Internationalismus gezeigt hat. Das neuerliche Verhalten der Deutschkonser¬
vativen ist nur zu verstehen aus wirtschaftlichen Gründen, dürfte indessen schwere
Folgen für die Partei haben. Hat schon das Verhalten dieser Partei bei der
letzten Finanzreform mit Recht die größte Verbitterung im Lande hervorgerufen,
so dürfte ihr Zusammengehen mit dem Zentrum ihr noch mehr den Boden
unter den Füßen entziehen, und jede andere bürgerliche Partei, die sich auf eine
Kombination mit dem Zentrum einlassen wollte, würde damit nur die Propaganda
der Sozialdemokratie unterstützen. Darum können wir auch die Ausführungen
des Reichsboten als ein Moment fortschreitender Genesung unseres politischen
Lebens begrüßen.

Nun wird entgegengehalten: man kann doch unmöglich das Vorhanden¬
sein der Sozialdemokratie ignorieren. Das wird auch nicht verlangt. Doch
soll man sie da und mit denselben Mitteln angreifen, wo sie verwundbar
ist, nämlich in ihrer wirtschaftlichen Betätigung. -- Der Epilog zu den
vorjährigen Streiks gipfelt in den Worten des Sozialdemokraten Parvus, der
über den Schiedsspruch des Einigungsamts für das Berliner Baugewerbe sagt:



") Wir beziehen uns auf die ruthenische Zeitschrift Djilo, weil Prinz Mar mit dem
Nniatcnbischof zu Lemberg, Andreas Schepticki', in engerer Beziehung gestanden hat, und
weil anzunehmen ist, daß dieser die genannte Zeitschrift aus dem Original des in Frage
stehenden Aufsatzes unterrichtet hat. --' Dies neue Moment ist auch für die Beurteilung des
Prinzen wertvoll: er steht vor uns als ein weicher, leicht beeinflußbarer Mensch, von dein
Wohl ein unüberlegter Schritt, nicht aber eine kühne Tat zu erwarte" ist.
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keinerlei Opfern verpflichtet; der Osten dagegen muß sich der Rechtsprechung des
römischen Papstes völlig unterwerfen und überdies alle Dogmen anerkennen,
welche die römischen Theologen der jüngsten Zeit aufgestellt haben."

Weiterhin weist der Verfasser an der Hand der Geschichte nach, daß die
römische Kirche niemals weder besondere, ihr eigentümliche Privilegien, noch
gesetzgeberische Gewalten besessen habe, die geeignet wären, sie der griechischen
Kirche überzuordnen. Die Verteidiger des heutigen Roms haben die Geschichte
vergessen und wenn sie von: christlichen Altertum sprechen, so stellen sie es sich
in der Gestalt des gegenwärtigen monarchischen Systems vor. Deshalb suchen
sie die Union diesem System anzupassen*).

Was hier offen über die Absichten gegenüber dem byzantinischen Glaubens¬
bekenntnis ausgeplaudert wird, gilt auch für die Stellung der Kurie gegenüber
der evangelischen Kirche. Nur die Wege sind verschieden, die hier und dort
eingeschlagen werden müssen. In Deutschland muß eine politische Partei, die
sich bald eine katholische, bald eine konfessionslose, bald eine demokratische oder
konservative nennt, die Wege ebnen. Gegenwärtig gebärdet sich das Zentrum
konservativ. Denn es gilt, eine Vereinigung der Konservativen im Reich mit den
Nationalliberalen zu hintertreiben. Und die Konservativen wollen allen: Anschein
nach darauf hineinfallen, obwohl das Zentrum sich durch die Anklageschrift des
Grafen Oppersdorf gegen Martin spähn ganz offen als eine Förderin des
Internationalismus gezeigt hat. Das neuerliche Verhalten der Deutschkonser¬
vativen ist nur zu verstehen aus wirtschaftlichen Gründen, dürfte indessen schwere
Folgen für die Partei haben. Hat schon das Verhalten dieser Partei bei der
letzten Finanzreform mit Recht die größte Verbitterung im Lande hervorgerufen,
so dürfte ihr Zusammengehen mit dem Zentrum ihr noch mehr den Boden
unter den Füßen entziehen, und jede andere bürgerliche Partei, die sich auf eine
Kombination mit dem Zentrum einlassen wollte, würde damit nur die Propaganda
der Sozialdemokratie unterstützen. Darum können wir auch die Ausführungen
des Reichsboten als ein Moment fortschreitender Genesung unseres politischen
Lebens begrüßen.

Nun wird entgegengehalten: man kann doch unmöglich das Vorhanden¬
sein der Sozialdemokratie ignorieren. Das wird auch nicht verlangt. Doch
soll man sie da und mit denselben Mitteln angreifen, wo sie verwundbar
ist, nämlich in ihrer wirtschaftlichen Betätigung. — Der Epilog zu den
vorjährigen Streiks gipfelt in den Worten des Sozialdemokraten Parvus, der
über den Schiedsspruch des Einigungsamts für das Berliner Baugewerbe sagt:



") Wir beziehen uns auf die ruthenische Zeitschrift Djilo, weil Prinz Mar mit dem
Nniatcnbischof zu Lemberg, Andreas Schepticki', in engerer Beziehung gestanden hat, und
weil anzunehmen ist, daß dieser die genannte Zeitschrift aus dem Original des in Frage
stehenden Aufsatzes unterrichtet hat. —' Dies neue Moment ist auch für die Beurteilung des
Prinzen wertvoll: er steht vor uns als ein weicher, leicht beeinflußbarer Mensch, von dein
Wohl ein unüberlegter Schritt, nicht aber eine kühne Tat zu erwarte» ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/113>, abgerufen am 24.07.2024.