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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Chopin und seine Liebe

Der Meister hat ihr in der F-Moll-Etude op. 25 (ihrem Porträt, wie er sagt)
und dem von glühendster Leidenschaft durchzogenen Cis-Moll-Notturno ein zärtliches
Denkmal gesetzt. Das Notturno des unglücklich Liebenden: Nacht, Geheimnis und
Schweigen und eine leise Klage -- halb im Traum.... Die Enttäuschung aber
war sehr groß, und auf dem Bündel Briefe der Maria stand von der Hand
Chopins zu lesen: "iVwia bieäa" (Mein Unglück).

Und nun lichtete sich der Kranz von Frauen. Eine einzige -- George Sand --
trat auf, um den Künstler ganz mit dem Reichtum ihrer sprühenden Seele aus¬
zufüllen. Nach dem Bruch mit ihr ist seine beste Kraft dahin. Diese Wunde war
tödlich gewesen. ..Nichts fällt mir mehr ein," jammerte er, "ich bin wie ein Esel
auf dein Maskenball!" Wie weit war er von dem wohltemperierten, dem
lutherisch heiter-strengen Meister Sebastian! Und so floh Chopin, wirr in Leid
und Weh versunken, nach England und schleppte sich dort auf einer Bahre von
Konzert zu Konzert, von Herzogschloß zu Herzogschloß. "Meine schottischen Damen
sind ja sehr gütig," heißt es in einem Briefe, "aber -- so--langweiligl"

Sterbend kehrte er heim. Seine Freunde brachten ihn in einen schönen
Garten in Chaillot, der dem Leidenden Ruhe und klare Luft spenden sollte.
Baronin Nathaniel Rothschild enthob den Totkranken seiner letzten Sorgen, wie
1832 der Baron Rothschild die Kämpfe des Ringenden gemildert hatte. Auch
Miß Jane Sterling ließ ihm mit 25000 Fr. eine fast fürstliche Hilfe angedeihen
und bewahrte bis zum Tode die Erinnerung dieser Liebe. Als er in seiner letzten
bitteren Not in der Rue Vendome lag, umstanden wieder zarte weibliche Gestalten
das Lager. Seine Schwester Louise kam mit Gatten und Tochter, Marcelline
Czatoryska (die seine musikalische Wesenheit im Spiel fortsetzte) benetzte seine Stirn
mit den Tränen ihrer herrlichen Augen, und die vollendete Delphine Potocka sang
ihm, mit erstickter Stimme, sein Sterbelied, die Arie der "Beatrice ti Tenda"
von Bellini.

"Wie schön, ach -- wie schön, . . ." flüsterte Chopin verhauchend. Dann bat
er um etwas Wasser, küßte die Hand seines treuen Schülers Gutmann, die er
ihm bot, und verschied.

Rosen, Rosen, Rosen streuten schöne Frauen über seinen entseelten Leib, dein
der Tod wieder allen jünglinghaften Reiz zurückgegeben hatte. Polnische Erde
fiel auf seinen Sarg. Und die göttliche Viardot sandte ihm ihre Stimme in die
Gruft, als der Meister unter den Klängen des Requiems von Mozart zur letzten
Ruhe geleitet wurde.

Segen ihm! Sein junges Haupt ist uns vou der Romantik eines zehrenden
Leidens, der Tragik eines frühen Todes umflossen....

Mich aber umspinnt ein feines Lied, eine leise Weise -- der Sehnsuchtsruf
des edlen, kranken Polen:





Chopin und seine Liebe

Der Meister hat ihr in der F-Moll-Etude op. 25 (ihrem Porträt, wie er sagt)
und dem von glühendster Leidenschaft durchzogenen Cis-Moll-Notturno ein zärtliches
Denkmal gesetzt. Das Notturno des unglücklich Liebenden: Nacht, Geheimnis und
Schweigen und eine leise Klage — halb im Traum.... Die Enttäuschung aber
war sehr groß, und auf dem Bündel Briefe der Maria stand von der Hand
Chopins zu lesen: „iVwia bieäa" (Mein Unglück).

Und nun lichtete sich der Kranz von Frauen. Eine einzige — George Sand —
trat auf, um den Künstler ganz mit dem Reichtum ihrer sprühenden Seele aus¬
zufüllen. Nach dem Bruch mit ihr ist seine beste Kraft dahin. Diese Wunde war
tödlich gewesen. ..Nichts fällt mir mehr ein," jammerte er, „ich bin wie ein Esel
auf dein Maskenball!" Wie weit war er von dem wohltemperierten, dem
lutherisch heiter-strengen Meister Sebastian! Und so floh Chopin, wirr in Leid
und Weh versunken, nach England und schleppte sich dort auf einer Bahre von
Konzert zu Konzert, von Herzogschloß zu Herzogschloß. „Meine schottischen Damen
sind ja sehr gütig," heißt es in einem Briefe, „aber — so--langweiligl"

Sterbend kehrte er heim. Seine Freunde brachten ihn in einen schönen
Garten in Chaillot, der dem Leidenden Ruhe und klare Luft spenden sollte.
Baronin Nathaniel Rothschild enthob den Totkranken seiner letzten Sorgen, wie
1832 der Baron Rothschild die Kämpfe des Ringenden gemildert hatte. Auch
Miß Jane Sterling ließ ihm mit 25000 Fr. eine fast fürstliche Hilfe angedeihen
und bewahrte bis zum Tode die Erinnerung dieser Liebe. Als er in seiner letzten
bitteren Not in der Rue Vendome lag, umstanden wieder zarte weibliche Gestalten
das Lager. Seine Schwester Louise kam mit Gatten und Tochter, Marcelline
Czatoryska (die seine musikalische Wesenheit im Spiel fortsetzte) benetzte seine Stirn
mit den Tränen ihrer herrlichen Augen, und die vollendete Delphine Potocka sang
ihm, mit erstickter Stimme, sein Sterbelied, die Arie der „Beatrice ti Tenda"
von Bellini.

„Wie schön, ach — wie schön, . . ." flüsterte Chopin verhauchend. Dann bat
er um etwas Wasser, küßte die Hand seines treuen Schülers Gutmann, die er
ihm bot, und verschied.

Rosen, Rosen, Rosen streuten schöne Frauen über seinen entseelten Leib, dein
der Tod wieder allen jünglinghaften Reiz zurückgegeben hatte. Polnische Erde
fiel auf seinen Sarg. Und die göttliche Viardot sandte ihm ihre Stimme in die
Gruft, als der Meister unter den Klängen des Requiems von Mozart zur letzten
Ruhe geleitet wurde.

Segen ihm! Sein junges Haupt ist uns vou der Romantik eines zehrenden
Leidens, der Tragik eines frühen Todes umflossen....

Mich aber umspinnt ein feines Lied, eine leise Weise — der Sehnsuchtsruf
des edlen, kranken Polen:





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[0105] Chopin und seine Liebe Der Meister hat ihr in der F-Moll-Etude op. 25 (ihrem Porträt, wie er sagt) und dem von glühendster Leidenschaft durchzogenen Cis-Moll-Notturno ein zärtliches Denkmal gesetzt. Das Notturno des unglücklich Liebenden: Nacht, Geheimnis und Schweigen und eine leise Klage — halb im Traum.... Die Enttäuschung aber war sehr groß, und auf dem Bündel Briefe der Maria stand von der Hand Chopins zu lesen: „iVwia bieäa" (Mein Unglück). Und nun lichtete sich der Kranz von Frauen. Eine einzige — George Sand — trat auf, um den Künstler ganz mit dem Reichtum ihrer sprühenden Seele aus¬ zufüllen. Nach dem Bruch mit ihr ist seine beste Kraft dahin. Diese Wunde war tödlich gewesen. ..Nichts fällt mir mehr ein," jammerte er, „ich bin wie ein Esel auf dein Maskenball!" Wie weit war er von dem wohltemperierten, dem lutherisch heiter-strengen Meister Sebastian! Und so floh Chopin, wirr in Leid und Weh versunken, nach England und schleppte sich dort auf einer Bahre von Konzert zu Konzert, von Herzogschloß zu Herzogschloß. „Meine schottischen Damen sind ja sehr gütig," heißt es in einem Briefe, „aber — so--langweiligl" Sterbend kehrte er heim. Seine Freunde brachten ihn in einen schönen Garten in Chaillot, der dem Leidenden Ruhe und klare Luft spenden sollte. Baronin Nathaniel Rothschild enthob den Totkranken seiner letzten Sorgen, wie 1832 der Baron Rothschild die Kämpfe des Ringenden gemildert hatte. Auch Miß Jane Sterling ließ ihm mit 25000 Fr. eine fast fürstliche Hilfe angedeihen und bewahrte bis zum Tode die Erinnerung dieser Liebe. Als er in seiner letzten bitteren Not in der Rue Vendome lag, umstanden wieder zarte weibliche Gestalten das Lager. Seine Schwester Louise kam mit Gatten und Tochter, Marcelline Czatoryska (die seine musikalische Wesenheit im Spiel fortsetzte) benetzte seine Stirn mit den Tränen ihrer herrlichen Augen, und die vollendete Delphine Potocka sang ihm, mit erstickter Stimme, sein Sterbelied, die Arie der „Beatrice ti Tenda" von Bellini. „Wie schön, ach — wie schön, . . ." flüsterte Chopin verhauchend. Dann bat er um etwas Wasser, küßte die Hand seines treuen Schülers Gutmann, die er ihm bot, und verschied. Rosen, Rosen, Rosen streuten schöne Frauen über seinen entseelten Leib, dein der Tod wieder allen jünglinghaften Reiz zurückgegeben hatte. Polnische Erde fiel auf seinen Sarg. Und die göttliche Viardot sandte ihm ihre Stimme in die Gruft, als der Meister unter den Klängen des Requiems von Mozart zur letzten Ruhe geleitet wurde. Segen ihm! Sein junges Haupt ist uns vou der Romantik eines zehrenden Leidens, der Tragik eines frühen Todes umflossen.... Mich aber umspinnt ein feines Lied, eine leise Weise — der Sehnsuchtsruf des edlen, kranken Polen: [Abbildung]

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/105>, abgerufen am 24.07.2024.