Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Im Flecken schlimmsten, wenn die Bauern vom Markt kommen, das heißt, zu einem großen In Röcken aus Bauernzeug, aber nach städtischem Schnitt gemacht, rollten "Weib, Teufelsweib!" hörte Okolitsch, während er ihnen nachblickte, hinter Der Jäger schaute seitwärts. Im Vorderteil des Wagens, der eben vorüber¬ "O, o, sah!" schien jemand ein feuriges Pferd zu besänftige". "He, Jäger, Auf einem jämmerlichen Karren saß vorn ein schmieriger kleiner Kerl in Okolitsch mußte bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln. "Guten Tag, Herr Landbesitzer!" rief er dem Bauern zu. "O, o, sah!" beschwichtigte der Mann wieder das Pferd, das nicht daran "Frau, sitze nur fest, daß du uicht hinausfallest," wandte er sich zum Weibe, "Ich sage dir aber, ich will Grischka haben," klang es bald darauf zankend "Liege still, Nachbar," ließ sich ärgerlich die Antwort vernehmen, "liege ganz "Gebt mir Grischka," beharrte die erste Stimme. "Ich will nicht nach Hause. Es war diesmal eine Art von Leiterwagen, den einige Mädchen einnahmen. Grenzboten IV 1910 10
Im Flecken schlimmsten, wenn die Bauern vom Markt kommen, das heißt, zu einem großen In Röcken aus Bauernzeug, aber nach städtischem Schnitt gemacht, rollten „Weib, Teufelsweib!" hörte Okolitsch, während er ihnen nachblickte, hinter Der Jäger schaute seitwärts. Im Vorderteil des Wagens, der eben vorüber¬ „O, o, sah!" schien jemand ein feuriges Pferd zu besänftige». „He, Jäger, Auf einem jämmerlichen Karren saß vorn ein schmieriger kleiner Kerl in Okolitsch mußte bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln. „Guten Tag, Herr Landbesitzer!" rief er dem Bauern zu. „O, o, sah!" beschwichtigte der Mann wieder das Pferd, das nicht daran „Frau, sitze nur fest, daß du uicht hinausfallest," wandte er sich zum Weibe, „Ich sage dir aber, ich will Grischka haben," klang es bald darauf zankend „Liege still, Nachbar," ließ sich ärgerlich die Antwort vernehmen, „liege ganz „Gebt mir Grischka," beharrte die erste Stimme. „Ich will nicht nach Hause. Es war diesmal eine Art von Leiterwagen, den einige Mädchen einnahmen. Grenzboten IV 1910 10
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317036"/> <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/> <p xml:id="ID_239" prev="#ID_238"> schlimmsten, wenn die Bauern vom Markt kommen, das heißt, zu einem großen<lb/> Teil mehr oder weniger betrunken sind. Bald fahren sie Schritt, bald Trab. Bald<lb/> halten sie, bald jagen sie im Galopp. Es ist nicht möglich sie loszuwerden, um<lb/> den Staub oder das Spritzen des Kotes zu vermeiden. Kaum glaubt man sie<lb/> hinter sich zu haben, so bauen sie auf die Pferde ein. Kaum hofft man zurück¬<lb/> geblieben zu sein, so lassen sie einen wieder vorgehen. Man muß gute Miene zum<lb/> bösen Spiel machen, sich Unempfindlichkeit gegen Staub und Kot aneignen und<lb/> es kaltblütig nehmen — wenn man das kann, und kann man es nicht, dann muß<lb/> man, wie das irische Sprichwort sagt, es dennoch kaltblütig nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_240"> In Röcken aus Bauernzeug, aber nach städtischem Schnitt gemacht, rollten<lb/> eben auf einem leichten Wagen zwei junge Leute vorbei. Okolitsch kannte sie. Es<lb/> waren auch Jäger. Da sie den Wald vor der Nase hatten, sobald sie die Tür<lb/> ihres Hauses öffneten, betrachteten sie jeden Fremden, der mit der Flinte zu<lb/> „ihrem" Walde zog, als Eindringling, der ihr Recht schmälerte.</p><lb/> <p xml:id="ID_241"> „Weib, Teufelsweib!" hörte Okolitsch, während er ihnen nachblickte, hinter<lb/> sich eine knurrende Stimme. „Du denkst, ich sähe dich nicht, ich wäre betrunken<lb/> und Hütte dich vergessen. Ha, ha! Pass mal auf, wie ich dir den Rücken kratzen<lb/> werde. Vergiß nicht, Frau, deine Prügel bekommst du doch. Wenn wir nur erst<lb/> zu Hause siud, kriegst du sie, deine Prügel!"</p><lb/> <p xml:id="ID_242"> Der Jäger schaute seitwärts. Im Vorderteil des Wagens, der eben vorüber¬<lb/> fuhr, kauerte ein bleiches Weib mit einem Brustkinde im Arm, und hielt die Leine.<lb/> Hinter ihr lag auf dem Bauche der völlig betrunkene Mann, hatte das Gesicht in<lb/> das Stroh des Wagens gedrückt und schwatzte, was ihm gerade in den Sinn kam,<lb/> oder vielmehr, was er gewöhnlich im Sinne hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_243"> „O, o, sah!" schien jemand ein feuriges Pferd zu besänftige». „He, Jäger,<lb/> mach Platz!"</p><lb/> <p xml:id="ID_244"> Auf einem jämmerlichen Karren saß vorn ein schmieriger kleiner Kerl in<lb/> stolzer Haltung und sog an einem weichgekauten Zigarrenstummel. Das Pferd,<lb/> das er lenkte, war die jämmerlichste Mähre, klein und verhungert, kaum imstande<lb/> das Gefährt im Hundetrabe fortzubewegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_245"> Okolitsch mußte bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_246"> „Guten Tag, Herr Landbesitzer!" rief er dem Bauern zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_247"> „O, o, sah!" beschwichtigte der Mann wieder das Pferd, das nicht daran<lb/> dachte, eine raschere Gangart anzunehmen, es wohl auch gar nicht konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_248"> „Frau, sitze nur fest, daß du uicht hinausfallest," wandte er sich zum Weibe,<lb/> das bequem in der Tiefe des Karrens ruhte und an einem Weißbrote kaute. „Sonst<lb/> sorge dich um nichts. Ich werde das Roß schon bändigen."</p><lb/> <p xml:id="ID_249"> „Ich sage dir aber, ich will Grischka haben," klang es bald darauf zankend<lb/> hinter Okolitsch. „Verstehst du, verfluchter Unterrock? Grischka will ich."</p><lb/> <p xml:id="ID_250"> „Liege still, Nachbar," ließ sich ärgerlich die Antwort vernehmen, „liege ganz<lb/> still. Wir kommen gleich nach Hause. Dort ist Grischka."</p><lb/> <p xml:id="ID_251"> „Gebt mir Grischka," beharrte die erste Stimme. „Ich will nicht nach Hause.<lb/> Ich will Grischka haben! Jäger, he, Jäger, hast du nicht meinen Grischka gesehen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_252"> Es war diesmal eine Art von Leiterwagen, den einige Mädchen einnahmen.<lb/> Zwischen ihnen kroch auf allen Vieren ein Bauer, den sie nur mit Mühe festhalten<lb/> konnten.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1910 10</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
Im Flecken
schlimmsten, wenn die Bauern vom Markt kommen, das heißt, zu einem großen
Teil mehr oder weniger betrunken sind. Bald fahren sie Schritt, bald Trab. Bald
halten sie, bald jagen sie im Galopp. Es ist nicht möglich sie loszuwerden, um
den Staub oder das Spritzen des Kotes zu vermeiden. Kaum glaubt man sie
hinter sich zu haben, so bauen sie auf die Pferde ein. Kaum hofft man zurück¬
geblieben zu sein, so lassen sie einen wieder vorgehen. Man muß gute Miene zum
bösen Spiel machen, sich Unempfindlichkeit gegen Staub und Kot aneignen und
es kaltblütig nehmen — wenn man das kann, und kann man es nicht, dann muß
man, wie das irische Sprichwort sagt, es dennoch kaltblütig nehmen.
In Röcken aus Bauernzeug, aber nach städtischem Schnitt gemacht, rollten
eben auf einem leichten Wagen zwei junge Leute vorbei. Okolitsch kannte sie. Es
waren auch Jäger. Da sie den Wald vor der Nase hatten, sobald sie die Tür
ihres Hauses öffneten, betrachteten sie jeden Fremden, der mit der Flinte zu
„ihrem" Walde zog, als Eindringling, der ihr Recht schmälerte.
„Weib, Teufelsweib!" hörte Okolitsch, während er ihnen nachblickte, hinter
sich eine knurrende Stimme. „Du denkst, ich sähe dich nicht, ich wäre betrunken
und Hütte dich vergessen. Ha, ha! Pass mal auf, wie ich dir den Rücken kratzen
werde. Vergiß nicht, Frau, deine Prügel bekommst du doch. Wenn wir nur erst
zu Hause siud, kriegst du sie, deine Prügel!"
Der Jäger schaute seitwärts. Im Vorderteil des Wagens, der eben vorüber¬
fuhr, kauerte ein bleiches Weib mit einem Brustkinde im Arm, und hielt die Leine.
Hinter ihr lag auf dem Bauche der völlig betrunkene Mann, hatte das Gesicht in
das Stroh des Wagens gedrückt und schwatzte, was ihm gerade in den Sinn kam,
oder vielmehr, was er gewöhnlich im Sinne hatte.
„O, o, sah!" schien jemand ein feuriges Pferd zu besänftige». „He, Jäger,
mach Platz!"
Auf einem jämmerlichen Karren saß vorn ein schmieriger kleiner Kerl in
stolzer Haltung und sog an einem weichgekauten Zigarrenstummel. Das Pferd,
das er lenkte, war die jämmerlichste Mähre, klein und verhungert, kaum imstande
das Gefährt im Hundetrabe fortzubewegen.
Okolitsch mußte bei diesem Anblick unwillkürlich lächeln.
„Guten Tag, Herr Landbesitzer!" rief er dem Bauern zu.
„O, o, sah!" beschwichtigte der Mann wieder das Pferd, das nicht daran
dachte, eine raschere Gangart anzunehmen, es wohl auch gar nicht konnte.
„Frau, sitze nur fest, daß du uicht hinausfallest," wandte er sich zum Weibe,
das bequem in der Tiefe des Karrens ruhte und an einem Weißbrote kaute. „Sonst
sorge dich um nichts. Ich werde das Roß schon bändigen."
„Ich sage dir aber, ich will Grischka haben," klang es bald darauf zankend
hinter Okolitsch. „Verstehst du, verfluchter Unterrock? Grischka will ich."
„Liege still, Nachbar," ließ sich ärgerlich die Antwort vernehmen, „liege ganz
still. Wir kommen gleich nach Hause. Dort ist Grischka."
„Gebt mir Grischka," beharrte die erste Stimme. „Ich will nicht nach Hause.
Ich will Grischka haben! Jäger, he, Jäger, hast du nicht meinen Grischka gesehen?"
Es war diesmal eine Art von Leiterwagen, den einige Mädchen einnahmen.
Zwischen ihnen kroch auf allen Vieren ein Bauer, den sie nur mit Mühe festhalten
konnten.
Grenzboten IV 1910 10
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |