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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Philosophischer Dogmatismus

von heterogenen Substanzen, wie Körper und Geist, nicht zu denken sei. Die
von ihm erkannte Schwierigkeit, die im Dualismus liegt, ist gewiß; aber die
einseitige Lösung verweist seine Weltauffassung, nach der die Naturgesetze nur
die Ordnung der Aufeinanderfolge unserer Ideen sind -- mag der geistvolle
Mann auch mit noch so großem Scharfsinn und mit bewunderungswürdiger
Konsequenz seine Ansichten vorgetragen haben -- doch in das Reich der meta¬
physischen Träume.

Es ist nicht zu erwarten, daß diese Lehre je ein größeres Publikum
beschäftige", geschweige denn von ihm angenommen wird. In um so weitere
Volkskreise aber ist die entgegengesetzte Ansicht, der Materialismus, gedrungen,
und diese gilt bei vielen als eine festbegründete, vollkommen befriedigende Welt¬
auffassung. Nun ist aber zunächst der Begriff, nach dem sie ihren Namen
führt, Materie, höchst dunkel und mit unlösbaren Schwierigkeiten für das
Denken behaftet.

Denn gehen wir, wie billig ist, von der Erfahrung aus, so findet sich in
ihr nirgends das, was man philosophisch Materie nennt. Die Erfahrung liefert
uns nichts anderes als Sinnesempfindungen, die, verbunden mit den durch sie
ins Spiel gesetzten, in uns vorhandenen Vorstellungen von Raum, Zeit und
Kausalität, alles Objektive, das heißt alles Erscheinende, jede Vorstellung von
Außendingen hervorbringen. Wir nennen dies Erscheinende wirklich, weil es
auf uns unmittelbar wirkt oder seine Wirkung auf anderes von uns wahr¬
genommen wird; was auf uns nicht wirkt, dessen Existenz wir aber annehmen,
find entweder Phantasiegebilde oder Dinge, auf die wir aus dem Wirklichen
nach logischen Gesetzen schließen. Als ein Phantasma wollen aber die Mate¬
rialisten ihre Materie am allerwenigsten gelten lassen; es bleibt also nur übrig,
sie als etwas Existierendes, zwar nicht Sinnenfälliges und Erscheinendes --
denn das muß stets eine Kraft sein, die auf Auge, Ohr oder irgendeinen anderen
Sinn wirkt --, aber doch mit zwingenden Gründen Erschlossenes anzunehmen.
Die Gründe sind nun zwar vorhanden, aber es fehlt ihnen die Hauptsache:
das Zwingende. Die Begründung heißt nämlich: Es ist keine Kraft ohne
Substrat oder Substanz oder Vehikel, oder wie man dieses Phantasiegebilde
bezeichnen mag, denkbar. Was soll nun dieses Substrat? Soll es die einzelne
Kraft tragen, verschiedene Kräfte zusammenhalten, so wäre dieses Tragen und
Zusammenhalten wieder nichts weiter als eine Kraft. Leistet das Substrat aber
dieses nicht, wozu es annehmen, und was ist es dann? Außer den Kräften,
die wir an einem Dinge erkennen, noch eine kraftlose Materie annehmen, ist
nicht nur eine willkürliche, sondern auch eine nichts erklärende Annahme. Körper
sind nichts als krafterfüllte Räume. Will man dies Beieinander, dies Zusammen¬
sein der Kräfte als Materie bezeichnen, so würde das Wort nur ein räumliches
Verhältnis bedeuten, was wohl am wenigsten im Sinne der Materialisten wäre.

Ich möchte hier die schlagenden Worte von Locke anführen, in denen er
über die verkehrte Anwendung der Begriffe Substanz und Akzidenzien in meta-


Philosophischer Dogmatismus

von heterogenen Substanzen, wie Körper und Geist, nicht zu denken sei. Die
von ihm erkannte Schwierigkeit, die im Dualismus liegt, ist gewiß; aber die
einseitige Lösung verweist seine Weltauffassung, nach der die Naturgesetze nur
die Ordnung der Aufeinanderfolge unserer Ideen sind — mag der geistvolle
Mann auch mit noch so großem Scharfsinn und mit bewunderungswürdiger
Konsequenz seine Ansichten vorgetragen haben — doch in das Reich der meta¬
physischen Träume.

Es ist nicht zu erwarten, daß diese Lehre je ein größeres Publikum
beschäftige», geschweige denn von ihm angenommen wird. In um so weitere
Volkskreise aber ist die entgegengesetzte Ansicht, der Materialismus, gedrungen,
und diese gilt bei vielen als eine festbegründete, vollkommen befriedigende Welt¬
auffassung. Nun ist aber zunächst der Begriff, nach dem sie ihren Namen
führt, Materie, höchst dunkel und mit unlösbaren Schwierigkeiten für das
Denken behaftet.

Denn gehen wir, wie billig ist, von der Erfahrung aus, so findet sich in
ihr nirgends das, was man philosophisch Materie nennt. Die Erfahrung liefert
uns nichts anderes als Sinnesempfindungen, die, verbunden mit den durch sie
ins Spiel gesetzten, in uns vorhandenen Vorstellungen von Raum, Zeit und
Kausalität, alles Objektive, das heißt alles Erscheinende, jede Vorstellung von
Außendingen hervorbringen. Wir nennen dies Erscheinende wirklich, weil es
auf uns unmittelbar wirkt oder seine Wirkung auf anderes von uns wahr¬
genommen wird; was auf uns nicht wirkt, dessen Existenz wir aber annehmen,
find entweder Phantasiegebilde oder Dinge, auf die wir aus dem Wirklichen
nach logischen Gesetzen schließen. Als ein Phantasma wollen aber die Mate¬
rialisten ihre Materie am allerwenigsten gelten lassen; es bleibt also nur übrig,
sie als etwas Existierendes, zwar nicht Sinnenfälliges und Erscheinendes —
denn das muß stets eine Kraft sein, die auf Auge, Ohr oder irgendeinen anderen
Sinn wirkt —, aber doch mit zwingenden Gründen Erschlossenes anzunehmen.
Die Gründe sind nun zwar vorhanden, aber es fehlt ihnen die Hauptsache:
das Zwingende. Die Begründung heißt nämlich: Es ist keine Kraft ohne
Substrat oder Substanz oder Vehikel, oder wie man dieses Phantasiegebilde
bezeichnen mag, denkbar. Was soll nun dieses Substrat? Soll es die einzelne
Kraft tragen, verschiedene Kräfte zusammenhalten, so wäre dieses Tragen und
Zusammenhalten wieder nichts weiter als eine Kraft. Leistet das Substrat aber
dieses nicht, wozu es annehmen, und was ist es dann? Außer den Kräften,
die wir an einem Dinge erkennen, noch eine kraftlose Materie annehmen, ist
nicht nur eine willkürliche, sondern auch eine nichts erklärende Annahme. Körper
sind nichts als krafterfüllte Räume. Will man dies Beieinander, dies Zusammen¬
sein der Kräfte als Materie bezeichnen, so würde das Wort nur ein räumliches
Verhältnis bedeuten, was wohl am wenigsten im Sinne der Materialisten wäre.

Ich möchte hier die schlagenden Worte von Locke anführen, in denen er
über die verkehrte Anwendung der Begriffe Substanz und Akzidenzien in meta-


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[0615] Philosophischer Dogmatismus von heterogenen Substanzen, wie Körper und Geist, nicht zu denken sei. Die von ihm erkannte Schwierigkeit, die im Dualismus liegt, ist gewiß; aber die einseitige Lösung verweist seine Weltauffassung, nach der die Naturgesetze nur die Ordnung der Aufeinanderfolge unserer Ideen sind — mag der geistvolle Mann auch mit noch so großem Scharfsinn und mit bewunderungswürdiger Konsequenz seine Ansichten vorgetragen haben — doch in das Reich der meta¬ physischen Träume. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Lehre je ein größeres Publikum beschäftige», geschweige denn von ihm angenommen wird. In um so weitere Volkskreise aber ist die entgegengesetzte Ansicht, der Materialismus, gedrungen, und diese gilt bei vielen als eine festbegründete, vollkommen befriedigende Welt¬ auffassung. Nun ist aber zunächst der Begriff, nach dem sie ihren Namen führt, Materie, höchst dunkel und mit unlösbaren Schwierigkeiten für das Denken behaftet. Denn gehen wir, wie billig ist, von der Erfahrung aus, so findet sich in ihr nirgends das, was man philosophisch Materie nennt. Die Erfahrung liefert uns nichts anderes als Sinnesempfindungen, die, verbunden mit den durch sie ins Spiel gesetzten, in uns vorhandenen Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität, alles Objektive, das heißt alles Erscheinende, jede Vorstellung von Außendingen hervorbringen. Wir nennen dies Erscheinende wirklich, weil es auf uns unmittelbar wirkt oder seine Wirkung auf anderes von uns wahr¬ genommen wird; was auf uns nicht wirkt, dessen Existenz wir aber annehmen, find entweder Phantasiegebilde oder Dinge, auf die wir aus dem Wirklichen nach logischen Gesetzen schließen. Als ein Phantasma wollen aber die Mate¬ rialisten ihre Materie am allerwenigsten gelten lassen; es bleibt also nur übrig, sie als etwas Existierendes, zwar nicht Sinnenfälliges und Erscheinendes — denn das muß stets eine Kraft sein, die auf Auge, Ohr oder irgendeinen anderen Sinn wirkt —, aber doch mit zwingenden Gründen Erschlossenes anzunehmen. Die Gründe sind nun zwar vorhanden, aber es fehlt ihnen die Hauptsache: das Zwingende. Die Begründung heißt nämlich: Es ist keine Kraft ohne Substrat oder Substanz oder Vehikel, oder wie man dieses Phantasiegebilde bezeichnen mag, denkbar. Was soll nun dieses Substrat? Soll es die einzelne Kraft tragen, verschiedene Kräfte zusammenhalten, so wäre dieses Tragen und Zusammenhalten wieder nichts weiter als eine Kraft. Leistet das Substrat aber dieses nicht, wozu es annehmen, und was ist es dann? Außer den Kräften, die wir an einem Dinge erkennen, noch eine kraftlose Materie annehmen, ist nicht nur eine willkürliche, sondern auch eine nichts erklärende Annahme. Körper sind nichts als krafterfüllte Räume. Will man dies Beieinander, dies Zusammen¬ sein der Kräfte als Materie bezeichnen, so würde das Wort nur ein räumliches Verhältnis bedeuten, was wohl am wenigsten im Sinne der Materialisten wäre. Ich möchte hier die schlagenden Worte von Locke anführen, in denen er über die verkehrte Anwendung der Begriffe Substanz und Akzidenzien in meta-

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/615>, abgerufen am 26.06.2024.