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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

Zolleinnahmen durch einen wirtschaftspolitischen Zusammenschluß der Länder
von 15 auf 43 Millionen Mark steigern würden und die zolltechnischen Schwierig¬
keiten durch Übergangsabgaben gehoben werden könnten. Aber in den letzten
zehn Jahren hat die Zollvereiusfrage in beiden Ländern keine nennenswerten
Fortschritte gemacht oder wertvolle Veröffentlichungen und Kundgebungen
gezeitigt, und es scheint heute, als ob auch bei den neuen Vertragshandlungen
etwaige Erörterungen über den akademischen Charakter kaum hinausgehen
werden. "Käme... die Frage in den (holländischen) Kammern zur Verhandlung,
so würde sie gewiß mit großer Mehrheit verneint werden." Dieser 1900 von
E. Francs) getane Ausspruch besteht unseres Erachtens auch heute noch
zu Recht. "Deutschland muß jedenfalls von jedem unmittelbarem Schritte zur
Herbeiführung eines deutsch-holländischen Zollvereins Abstand nehmen. Holland
möge zu Deutschland kommen. Wir haben seinen Schutz nicht nötig, so wünschens¬
wert auch sein Anschluß sein mag. Aber wir können hinzufügen, daß Deutsch¬
land jeden aus Holland kommenden Vorschlag mit Wohlwollen aufnehmen und
prüfen muß und es an Bemühungen nicht fehlen lassen darf, die Einigung des
vom Hauptstamme abgetrennten Gliedes der deutschen Völkerfamilie herbei¬
zuführen""')."

Die Notwendigkeit der Neuregelung des deutsch-niederländischen Handels¬
vertragsverhältnisses wird einerseits wegen des lebhaften Warenaustausches
zwischen beiden Ländern, anderseits wegen des Umstandes, daß die Vertrags¬
verhandlungen das Vorspiel zu der Erneuerung der Tarifverträge sein werden,
eine hohe Bedeutung für sich beanspruchen. Soweit es sich um die Abänderung
der schiffahrtspolitischen Bestimmungen handelt, ist das Deutsche Reich der
bittende und daher schwächere Teil; soweit jedoch die den Handelsverkehr
betreffenden Vereinbarungen in Frage kommen, gilt dies für Holland. Die Neu¬
regelung des handelspolitischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern hat insofern
über den einzelnen Fall hinausgehende allgemeine Bedeutung, als die Ver¬
handlungen einen Prüfstein dafür abgeben werden, ob das Deutsche Reich die
jetzige Richtung seiner Handelspolitik noch einige Zeit beibehalten kann oder
ob in den nächsten Jahren schon ein Umschwung eintreten muß. Die Nieder¬
lande dagegen mögen erwägen, daß die weitere Entwicklung der deutsch¬
holländischen Handelsbeziehungen weniger von ihren eigenen Wünschen und
Einsprüchen abhängt, als von der Gestaltung der Weltkonstellation, von der
Politik der Großmächte und den inneren Verhältnissen der Niederlande. Der
Übergang zur Schutzzollpolitik wird den wichtigsten wirtschaftlichen Gegengrund
für ein Zollbttndnis zwischen beiden Ländern beseitigen.






") "Jollpolitische Einiqungsbestrevnngen in Mitteleuropa wahrend des letzten Jahr¬
zehnts" (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 90 S. 237).
W, Lexis in der Münchner "Slllgein, Ztg." vom 21. Februar 1900.
Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik

Zolleinnahmen durch einen wirtschaftspolitischen Zusammenschluß der Länder
von 15 auf 43 Millionen Mark steigern würden und die zolltechnischen Schwierig¬
keiten durch Übergangsabgaben gehoben werden könnten. Aber in den letzten
zehn Jahren hat die Zollvereiusfrage in beiden Ländern keine nennenswerten
Fortschritte gemacht oder wertvolle Veröffentlichungen und Kundgebungen
gezeitigt, und es scheint heute, als ob auch bei den neuen Vertragshandlungen
etwaige Erörterungen über den akademischen Charakter kaum hinausgehen
werden. „Käme... die Frage in den (holländischen) Kammern zur Verhandlung,
so würde sie gewiß mit großer Mehrheit verneint werden." Dieser 1900 von
E. Francs) getane Ausspruch besteht unseres Erachtens auch heute noch
zu Recht. „Deutschland muß jedenfalls von jedem unmittelbarem Schritte zur
Herbeiführung eines deutsch-holländischen Zollvereins Abstand nehmen. Holland
möge zu Deutschland kommen. Wir haben seinen Schutz nicht nötig, so wünschens¬
wert auch sein Anschluß sein mag. Aber wir können hinzufügen, daß Deutsch¬
land jeden aus Holland kommenden Vorschlag mit Wohlwollen aufnehmen und
prüfen muß und es an Bemühungen nicht fehlen lassen darf, die Einigung des
vom Hauptstamme abgetrennten Gliedes der deutschen Völkerfamilie herbei¬
zuführen""')."

Die Notwendigkeit der Neuregelung des deutsch-niederländischen Handels¬
vertragsverhältnisses wird einerseits wegen des lebhaften Warenaustausches
zwischen beiden Ländern, anderseits wegen des Umstandes, daß die Vertrags¬
verhandlungen das Vorspiel zu der Erneuerung der Tarifverträge sein werden,
eine hohe Bedeutung für sich beanspruchen. Soweit es sich um die Abänderung
der schiffahrtspolitischen Bestimmungen handelt, ist das Deutsche Reich der
bittende und daher schwächere Teil; soweit jedoch die den Handelsverkehr
betreffenden Vereinbarungen in Frage kommen, gilt dies für Holland. Die Neu¬
regelung des handelspolitischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern hat insofern
über den einzelnen Fall hinausgehende allgemeine Bedeutung, als die Ver¬
handlungen einen Prüfstein dafür abgeben werden, ob das Deutsche Reich die
jetzige Richtung seiner Handelspolitik noch einige Zeit beibehalten kann oder
ob in den nächsten Jahren schon ein Umschwung eintreten muß. Die Nieder¬
lande dagegen mögen erwägen, daß die weitere Entwicklung der deutsch¬
holländischen Handelsbeziehungen weniger von ihren eigenen Wünschen und
Einsprüchen abhängt, als von der Gestaltung der Weltkonstellation, von der
Politik der Großmächte und den inneren Verhältnissen der Niederlande. Der
Übergang zur Schutzzollpolitik wird den wichtigsten wirtschaftlichen Gegengrund
für ein Zollbttndnis zwischen beiden Ländern beseitigen.






") „Jollpolitische Einiqungsbestrevnngen in Mitteleuropa wahrend des letzten Jahr¬
zehnts" (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 90 S. 237).
W, Lexis in der Münchner „Slllgein, Ztg." vom 21. Februar 1900.
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[0611] Der Übergang der Niederlande zur Schutzzollpolitik Zolleinnahmen durch einen wirtschaftspolitischen Zusammenschluß der Länder von 15 auf 43 Millionen Mark steigern würden und die zolltechnischen Schwierig¬ keiten durch Übergangsabgaben gehoben werden könnten. Aber in den letzten zehn Jahren hat die Zollvereiusfrage in beiden Ländern keine nennenswerten Fortschritte gemacht oder wertvolle Veröffentlichungen und Kundgebungen gezeitigt, und es scheint heute, als ob auch bei den neuen Vertragshandlungen etwaige Erörterungen über den akademischen Charakter kaum hinausgehen werden. „Käme... die Frage in den (holländischen) Kammern zur Verhandlung, so würde sie gewiß mit großer Mehrheit verneint werden." Dieser 1900 von E. Francs) getane Ausspruch besteht unseres Erachtens auch heute noch zu Recht. „Deutschland muß jedenfalls von jedem unmittelbarem Schritte zur Herbeiführung eines deutsch-holländischen Zollvereins Abstand nehmen. Holland möge zu Deutschland kommen. Wir haben seinen Schutz nicht nötig, so wünschens¬ wert auch sein Anschluß sein mag. Aber wir können hinzufügen, daß Deutsch¬ land jeden aus Holland kommenden Vorschlag mit Wohlwollen aufnehmen und prüfen muß und es an Bemühungen nicht fehlen lassen darf, die Einigung des vom Hauptstamme abgetrennten Gliedes der deutschen Völkerfamilie herbei¬ zuführen""')." Die Notwendigkeit der Neuregelung des deutsch-niederländischen Handels¬ vertragsverhältnisses wird einerseits wegen des lebhaften Warenaustausches zwischen beiden Ländern, anderseits wegen des Umstandes, daß die Vertrags¬ verhandlungen das Vorspiel zu der Erneuerung der Tarifverträge sein werden, eine hohe Bedeutung für sich beanspruchen. Soweit es sich um die Abänderung der schiffahrtspolitischen Bestimmungen handelt, ist das Deutsche Reich der bittende und daher schwächere Teil; soweit jedoch die den Handelsverkehr betreffenden Vereinbarungen in Frage kommen, gilt dies für Holland. Die Neu¬ regelung des handelspolitischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern hat insofern über den einzelnen Fall hinausgehende allgemeine Bedeutung, als die Ver¬ handlungen einen Prüfstein dafür abgeben werden, ob das Deutsche Reich die jetzige Richtung seiner Handelspolitik noch einige Zeit beibehalten kann oder ob in den nächsten Jahren schon ein Umschwung eintreten muß. Die Nieder¬ lande dagegen mögen erwägen, daß die weitere Entwicklung der deutsch¬ holländischen Handelsbeziehungen weniger von ihren eigenen Wünschen und Einsprüchen abhängt, als von der Gestaltung der Weltkonstellation, von der Politik der Großmächte und den inneren Verhältnissen der Niederlande. Der Übergang zur Schutzzollpolitik wird den wichtigsten wirtschaftlichen Gegengrund für ein Zollbttndnis zwischen beiden Ländern beseitigen. ") „Jollpolitische Einiqungsbestrevnngen in Mitteleuropa wahrend des letzten Jahr¬ zehnts" (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 90 S. 237). W, Lexis in der Münchner „Slllgein, Ztg." vom 21. Februar 1900.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/611>, abgerufen am 28.09.2024.