Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Lernsprcchgebnhrcnordnung

während andere Staaten für die Normalgebühr wesentlich geringere Entfernungen
annehmen (Dänemark und Norwegen nnr 1,5 Kilometer, Schweden und die
Schweiz 2 Kilometer usw.) und über diese Grenzen hinaus besondere, erheb¬
liche Zuschlage erheben.

Daß die Teilnehmer, denen der neue Tarif eine größere Rechnung macht,
sich gegen diese Zumutung wehren, kann man ihnen nicht verdenken, nur
scheint mir eine falsche Flagge aufs Dach gesteckt zu werdeu, wenn in der
großstädtischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, daß auch der Mittelstand
unter der Tarifreform zu leiden haben würde. Gerade das Gegenteil ist richtig.
Die neue Gebührenordnung soll ja ebeu den Mittelstand mit seinem Kleinverkehr
entlasten und das Unrecht beseitigen, daß dieser für die Großen mitbezahlen
muß. Nun hat sich unter dem Schutze des Pauschgebührensystems die Gewohnheit
herausgebildet, daß Gastwirte und Ladeninhaber, die man ja zum Mittelstand
zu rechnen hat, ihren Anschluß den Kunden unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Aber diese Freistellen, zu denen jeder hinlaufen kann, um kostenlos zu telephonieren,
sind doch ein Auswuchs, dem gar keine Billigkeitsgründe zur Seite stehen. Natürlich
ist es sür den telephonlosen Bürger sehr bequem, wenn er die Möglichkeit hat,
im ersten besten Zigarrenladen oder Gasthause zu telephonieren; und diese
Bequemlichkeit bleibt ihm auch erhalten. Nur muß er sich daran gewöhnen,
als Gegenleistung für den ihm gewährten Dienst dem Inhaber eine Gebühr
von 5 oder 10 Pf. zu entrichten; denn wie ihm der Ladenbesitzer keine Post¬
karten oder Freimarken umsonst geben kann, ebensowenig kann er ihm in
Zukunft seinen Fernsprecher unentgeltlich überlassen.

Da die Tarifreform dem kleinen Verkehr zu seinein Rechte verhelfen will
und der Kleinverkehr sich vorwiegend in der Provinz und auf dem Lande
befindet, fo ist sie zu ihrer Verdächtigung auch in den Geruch agrarischer
Begünstigung gebracht worden. Nun beschränkt sich die billigste Gebührenstufe
aber durchaus nicht auf das platte Land, sondern erstreckt sich auf die Ortsnetze
bis zu 1000 Anschlüssen, zieht also auch die Klein- und Mittelstädte in ihren
Kreis. Und was wollen dann überhaupt die paar Gutsbesitzer, die sich einen
Fernsprechanschluß zulegen, besagen gegen die vielen Tausende von Kaufleuten
und Kleinfabrikanten, die in den Klein- und Mittelstädten der Provinz Handel
und Wandel pflegen oder in den gewerbefleißigen Gebirgsgegenden einen schweren
wirtschaftlichen Kampf kämpfen! Es sind so viele darunter, die sich gern ohne
Telephon behelfen würden, weil sie es nicht gehörig ausnützen können. Aber sie dürfen
nicht außerhalb der Fernsprechteilnahme bleiben, denn die Kundschaft will rasch
bedient werden und würde einfach zur größeren Konkurrenz übergehen, mit der
eine schnelle und bequeme Verbindung möglich ist. Heute kostet sie der
Anschluß mindestens 80 Mark; sie müssen außer der Grundgebühr 400 Pflicht¬
gespräche bezahlen, die sie oft gar nicht fuhren, weil die kleinen Netze keinen
nennenswerten Ortsverkehr zu pflegen brauchen, sondern in der Hauptsache Fern¬
verkehr unterhalten müssen. In Zukunft können sie schon für 50 Mark einen


Die deutsche Lernsprcchgebnhrcnordnung

während andere Staaten für die Normalgebühr wesentlich geringere Entfernungen
annehmen (Dänemark und Norwegen nnr 1,5 Kilometer, Schweden und die
Schweiz 2 Kilometer usw.) und über diese Grenzen hinaus besondere, erheb¬
liche Zuschlage erheben.

Daß die Teilnehmer, denen der neue Tarif eine größere Rechnung macht,
sich gegen diese Zumutung wehren, kann man ihnen nicht verdenken, nur
scheint mir eine falsche Flagge aufs Dach gesteckt zu werdeu, wenn in der
großstädtischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, daß auch der Mittelstand
unter der Tarifreform zu leiden haben würde. Gerade das Gegenteil ist richtig.
Die neue Gebührenordnung soll ja ebeu den Mittelstand mit seinem Kleinverkehr
entlasten und das Unrecht beseitigen, daß dieser für die Großen mitbezahlen
muß. Nun hat sich unter dem Schutze des Pauschgebührensystems die Gewohnheit
herausgebildet, daß Gastwirte und Ladeninhaber, die man ja zum Mittelstand
zu rechnen hat, ihren Anschluß den Kunden unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Aber diese Freistellen, zu denen jeder hinlaufen kann, um kostenlos zu telephonieren,
sind doch ein Auswuchs, dem gar keine Billigkeitsgründe zur Seite stehen. Natürlich
ist es sür den telephonlosen Bürger sehr bequem, wenn er die Möglichkeit hat,
im ersten besten Zigarrenladen oder Gasthause zu telephonieren; und diese
Bequemlichkeit bleibt ihm auch erhalten. Nur muß er sich daran gewöhnen,
als Gegenleistung für den ihm gewährten Dienst dem Inhaber eine Gebühr
von 5 oder 10 Pf. zu entrichten; denn wie ihm der Ladenbesitzer keine Post¬
karten oder Freimarken umsonst geben kann, ebensowenig kann er ihm in
Zukunft seinen Fernsprecher unentgeltlich überlassen.

Da die Tarifreform dem kleinen Verkehr zu seinein Rechte verhelfen will
und der Kleinverkehr sich vorwiegend in der Provinz und auf dem Lande
befindet, fo ist sie zu ihrer Verdächtigung auch in den Geruch agrarischer
Begünstigung gebracht worden. Nun beschränkt sich die billigste Gebührenstufe
aber durchaus nicht auf das platte Land, sondern erstreckt sich auf die Ortsnetze
bis zu 1000 Anschlüssen, zieht also auch die Klein- und Mittelstädte in ihren
Kreis. Und was wollen dann überhaupt die paar Gutsbesitzer, die sich einen
Fernsprechanschluß zulegen, besagen gegen die vielen Tausende von Kaufleuten
und Kleinfabrikanten, die in den Klein- und Mittelstädten der Provinz Handel
und Wandel pflegen oder in den gewerbefleißigen Gebirgsgegenden einen schweren
wirtschaftlichen Kampf kämpfen! Es sind so viele darunter, die sich gern ohne
Telephon behelfen würden, weil sie es nicht gehörig ausnützen können. Aber sie dürfen
nicht außerhalb der Fernsprechteilnahme bleiben, denn die Kundschaft will rasch
bedient werden und würde einfach zur größeren Konkurrenz übergehen, mit der
eine schnelle und bequeme Verbindung möglich ist. Heute kostet sie der
Anschluß mindestens 80 Mark; sie müssen außer der Grundgebühr 400 Pflicht¬
gespräche bezahlen, die sie oft gar nicht fuhren, weil die kleinen Netze keinen
nennenswerten Ortsverkehr zu pflegen brauchen, sondern in der Hauptsache Fern¬
verkehr unterhalten müssen. In Zukunft können sie schon für 50 Mark einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317533"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Lernsprcchgebnhrcnordnung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2787" prev="#ID_2786"> während andere Staaten für die Normalgebühr wesentlich geringere Entfernungen<lb/>
annehmen (Dänemark und Norwegen nnr 1,5 Kilometer, Schweden und die<lb/>
Schweiz 2 Kilometer usw.) und über diese Grenzen hinaus besondere, erheb¬<lb/>
liche Zuschlage erheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2788"> Daß die Teilnehmer, denen der neue Tarif eine größere Rechnung macht,<lb/>
sich gegen diese Zumutung wehren, kann man ihnen nicht verdenken, nur<lb/>
scheint mir eine falsche Flagge aufs Dach gesteckt zu werdeu, wenn in der<lb/>
großstädtischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, daß auch der Mittelstand<lb/>
unter der Tarifreform zu leiden haben würde. Gerade das Gegenteil ist richtig.<lb/>
Die neue Gebührenordnung soll ja ebeu den Mittelstand mit seinem Kleinverkehr<lb/>
entlasten und das Unrecht beseitigen, daß dieser für die Großen mitbezahlen<lb/>
muß. Nun hat sich unter dem Schutze des Pauschgebührensystems die Gewohnheit<lb/>
herausgebildet, daß Gastwirte und Ladeninhaber, die man ja zum Mittelstand<lb/>
zu rechnen hat, ihren Anschluß den Kunden unentgeltlich zur Verfügung stellen.<lb/>
Aber diese Freistellen, zu denen jeder hinlaufen kann, um kostenlos zu telephonieren,<lb/>
sind doch ein Auswuchs, dem gar keine Billigkeitsgründe zur Seite stehen. Natürlich<lb/>
ist es sür den telephonlosen Bürger sehr bequem, wenn er die Möglichkeit hat,<lb/>
im ersten besten Zigarrenladen oder Gasthause zu telephonieren; und diese<lb/>
Bequemlichkeit bleibt ihm auch erhalten. Nur muß er sich daran gewöhnen,<lb/>
als Gegenleistung für den ihm gewährten Dienst dem Inhaber eine Gebühr<lb/>
von 5 oder 10 Pf. zu entrichten; denn wie ihm der Ladenbesitzer keine Post¬<lb/>
karten oder Freimarken umsonst geben kann, ebensowenig kann er ihm in<lb/>
Zukunft seinen Fernsprecher unentgeltlich überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2789" next="#ID_2790"> Da die Tarifreform dem kleinen Verkehr zu seinein Rechte verhelfen will<lb/>
und der Kleinverkehr sich vorwiegend in der Provinz und auf dem Lande<lb/>
befindet, fo ist sie zu ihrer Verdächtigung auch in den Geruch agrarischer<lb/>
Begünstigung gebracht worden. Nun beschränkt sich die billigste Gebührenstufe<lb/>
aber durchaus nicht auf das platte Land, sondern erstreckt sich auf die Ortsnetze<lb/>
bis zu 1000 Anschlüssen, zieht also auch die Klein- und Mittelstädte in ihren<lb/>
Kreis. Und was wollen dann überhaupt die paar Gutsbesitzer, die sich einen<lb/>
Fernsprechanschluß zulegen, besagen gegen die vielen Tausende von Kaufleuten<lb/>
und Kleinfabrikanten, die in den Klein- und Mittelstädten der Provinz Handel<lb/>
und Wandel pflegen oder in den gewerbefleißigen Gebirgsgegenden einen schweren<lb/>
wirtschaftlichen Kampf kämpfen! Es sind so viele darunter, die sich gern ohne<lb/>
Telephon behelfen würden, weil sie es nicht gehörig ausnützen können. Aber sie dürfen<lb/>
nicht außerhalb der Fernsprechteilnahme bleiben, denn die Kundschaft will rasch<lb/>
bedient werden und würde einfach zur größeren Konkurrenz übergehen, mit der<lb/>
eine schnelle und bequeme Verbindung möglich ist. Heute kostet sie der<lb/>
Anschluß mindestens 80 Mark; sie müssen außer der Grundgebühr 400 Pflicht¬<lb/>
gespräche bezahlen, die sie oft gar nicht fuhren, weil die kleinen Netze keinen<lb/>
nennenswerten Ortsverkehr zu pflegen brauchen, sondern in der Hauptsache Fern¬<lb/>
verkehr unterhalten müssen. In Zukunft können sie schon für 50 Mark einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0582] Die deutsche Lernsprcchgebnhrcnordnung während andere Staaten für die Normalgebühr wesentlich geringere Entfernungen annehmen (Dänemark und Norwegen nnr 1,5 Kilometer, Schweden und die Schweiz 2 Kilometer usw.) und über diese Grenzen hinaus besondere, erheb¬ liche Zuschlage erheben. Daß die Teilnehmer, denen der neue Tarif eine größere Rechnung macht, sich gegen diese Zumutung wehren, kann man ihnen nicht verdenken, nur scheint mir eine falsche Flagge aufs Dach gesteckt zu werdeu, wenn in der großstädtischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, daß auch der Mittelstand unter der Tarifreform zu leiden haben würde. Gerade das Gegenteil ist richtig. Die neue Gebührenordnung soll ja ebeu den Mittelstand mit seinem Kleinverkehr entlasten und das Unrecht beseitigen, daß dieser für die Großen mitbezahlen muß. Nun hat sich unter dem Schutze des Pauschgebührensystems die Gewohnheit herausgebildet, daß Gastwirte und Ladeninhaber, die man ja zum Mittelstand zu rechnen hat, ihren Anschluß den Kunden unentgeltlich zur Verfügung stellen. Aber diese Freistellen, zu denen jeder hinlaufen kann, um kostenlos zu telephonieren, sind doch ein Auswuchs, dem gar keine Billigkeitsgründe zur Seite stehen. Natürlich ist es sür den telephonlosen Bürger sehr bequem, wenn er die Möglichkeit hat, im ersten besten Zigarrenladen oder Gasthause zu telephonieren; und diese Bequemlichkeit bleibt ihm auch erhalten. Nur muß er sich daran gewöhnen, als Gegenleistung für den ihm gewährten Dienst dem Inhaber eine Gebühr von 5 oder 10 Pf. zu entrichten; denn wie ihm der Ladenbesitzer keine Post¬ karten oder Freimarken umsonst geben kann, ebensowenig kann er ihm in Zukunft seinen Fernsprecher unentgeltlich überlassen. Da die Tarifreform dem kleinen Verkehr zu seinein Rechte verhelfen will und der Kleinverkehr sich vorwiegend in der Provinz und auf dem Lande befindet, fo ist sie zu ihrer Verdächtigung auch in den Geruch agrarischer Begünstigung gebracht worden. Nun beschränkt sich die billigste Gebührenstufe aber durchaus nicht auf das platte Land, sondern erstreckt sich auf die Ortsnetze bis zu 1000 Anschlüssen, zieht also auch die Klein- und Mittelstädte in ihren Kreis. Und was wollen dann überhaupt die paar Gutsbesitzer, die sich einen Fernsprechanschluß zulegen, besagen gegen die vielen Tausende von Kaufleuten und Kleinfabrikanten, die in den Klein- und Mittelstädten der Provinz Handel und Wandel pflegen oder in den gewerbefleißigen Gebirgsgegenden einen schweren wirtschaftlichen Kampf kämpfen! Es sind so viele darunter, die sich gern ohne Telephon behelfen würden, weil sie es nicht gehörig ausnützen können. Aber sie dürfen nicht außerhalb der Fernsprechteilnahme bleiben, denn die Kundschaft will rasch bedient werden und würde einfach zur größeren Konkurrenz übergehen, mit der eine schnelle und bequeme Verbindung möglich ist. Heute kostet sie der Anschluß mindestens 80 Mark; sie müssen außer der Grundgebühr 400 Pflicht¬ gespräche bezahlen, die sie oft gar nicht fuhren, weil die kleinen Netze keinen nennenswerten Ortsverkehr zu pflegen brauchen, sondern in der Hauptsache Fern¬ verkehr unterhalten müssen. In Zukunft können sie schon für 50 Mark einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/582
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/582>, abgerufen am 22.07.2024.