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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Lernsprechgcbührenordimng

stärker herangezogen werden, hat in den Kreisen des Großhandels heftigen
Widerspruch gefunden. Handelskammern und Zweckverbände haben gegen die
"Erdrosselung" des Fernsprechers protestiert, und in der Tagespresse wurde stark
gegen die "unerhörte Verteuerung des Telephonierend rumort. Nur selten horte
man eine zaghafte Stimme zugunsten der neuen Ordnung.

Aber ist der Widerspruch gegen den Reformtarif, der die Gebühren doch
lediglich den Leistungen und dem wirtschaftlichen Werte entsprechend festsetzt,
wirklich berechtigt? Wird das Telephonieren tatsächlich verteuert? Vom Stand¬
punkt der Allgemeinheit sicher nicht.

Wie die Reichstelegraphenverwaltung in der Begründung ihres neuen Tarifs
berechnet hat, werden 66 Prozent aller Teilnehmer durch den Einzelgebühren¬
tarif eine Gebührenermäßigung erfahren. Unter der Herrschaft des neuen Tarifs,
der die Benutzung des Fernsprechers auf das wirtschaftlich richtige Maß zurück¬
führen wird, werden nun nicht etwa 34 Prozent mehr bezahlen als jetzt; eine
große Anzahl Teilnehmer wird sich daran gewöhnen, Gespräche, die für keinen
Menschen 4 Pf. wert sind, zu unterlassen, also weniger sprechen als jetzt. Der
Wunsch, daß das die Nebenwirkung des neuen Tarifs sei, ist durchaus nicht
verkehrsfeindlich, sondern verkehrsfördernd. Denn nachdem sich der Fernsprecher
zu einem so allgemeinen und unentbehrlichen Verkehrsmittel entwickelt hat, muß
er von allem unnützen und verkehrshemmenden Ballast befreit sein. Oder hat
etwa der Verkehr darunter gelitten, daß Stephan seinerzeit im Telegrammverkehr
den Normaltarif durch den Worttarif ersetzte und infolge dieser Maßnahme
die durchschnittliche Länge der Telegramme von achtzehn auf elf Worte
zurückging?

Wer unter den? neuen Tarif jährlich mehr als etwa 2200 Gesprächs¬
verbindungen verlangt, wird in Zukunft stärker herangezogen werden. Namentlich
werden Großfirmen usw., die heute für 180 oder 200 Mark Pauschgebühr fast
ununterbrochen den ganzen Tag den Apparat in Bewegung halten und fast
eine Beamtin mit 1200 Mark Gehalt allein beschäftigen, auch ihre weit über
das übliche Maß hinausgehende Ausnutzung entsprechend bezahlen und mit
erheblichem Mehraufwand für den Fernsprecher rechnen müssen. Aber sie werden
noch nicht sagen können, daß sie dadurch eine Belastung erführen, die die
Benutzung des Fernsprechers unlohnend machte. In diesem Zusammenhang
wird es nützlich sein, die neuen Gebührensätze mit den im Ausland erhobenen
Gebühren zu vergleichen. Es zahlen die Teilnehmer jährlich

in Berlin in Wien in London in New Dort
für 600 Gespräche 114 Mi. 240 Kr. 148 M. 202 M.
" 800 " 122 " 240 " 164 " 239 "
" 3000 " 210 " 300 " 340 " 617 "
" S700 " 318 " 400 " SS6 " 9S7 "

Wenn die Gebührensätze in den meisten kleineren Staaten niedriger scheinen,
so ist zur richtigen Würdigung eines Vergleichs mit Deutschland zu beachten, daß
dieses für seine Einheitsgebühr den weiten Ortskreis von 5 Kilometer zieht,


Grenzboten IV 1910 72
Die deutsche Lernsprechgcbührenordimng

stärker herangezogen werden, hat in den Kreisen des Großhandels heftigen
Widerspruch gefunden. Handelskammern und Zweckverbände haben gegen die
„Erdrosselung" des Fernsprechers protestiert, und in der Tagespresse wurde stark
gegen die „unerhörte Verteuerung des Telephonierend rumort. Nur selten horte
man eine zaghafte Stimme zugunsten der neuen Ordnung.

Aber ist der Widerspruch gegen den Reformtarif, der die Gebühren doch
lediglich den Leistungen und dem wirtschaftlichen Werte entsprechend festsetzt,
wirklich berechtigt? Wird das Telephonieren tatsächlich verteuert? Vom Stand¬
punkt der Allgemeinheit sicher nicht.

Wie die Reichstelegraphenverwaltung in der Begründung ihres neuen Tarifs
berechnet hat, werden 66 Prozent aller Teilnehmer durch den Einzelgebühren¬
tarif eine Gebührenermäßigung erfahren. Unter der Herrschaft des neuen Tarifs,
der die Benutzung des Fernsprechers auf das wirtschaftlich richtige Maß zurück¬
führen wird, werden nun nicht etwa 34 Prozent mehr bezahlen als jetzt; eine
große Anzahl Teilnehmer wird sich daran gewöhnen, Gespräche, die für keinen
Menschen 4 Pf. wert sind, zu unterlassen, also weniger sprechen als jetzt. Der
Wunsch, daß das die Nebenwirkung des neuen Tarifs sei, ist durchaus nicht
verkehrsfeindlich, sondern verkehrsfördernd. Denn nachdem sich der Fernsprecher
zu einem so allgemeinen und unentbehrlichen Verkehrsmittel entwickelt hat, muß
er von allem unnützen und verkehrshemmenden Ballast befreit sein. Oder hat
etwa der Verkehr darunter gelitten, daß Stephan seinerzeit im Telegrammverkehr
den Normaltarif durch den Worttarif ersetzte und infolge dieser Maßnahme
die durchschnittliche Länge der Telegramme von achtzehn auf elf Worte
zurückging?

Wer unter den? neuen Tarif jährlich mehr als etwa 2200 Gesprächs¬
verbindungen verlangt, wird in Zukunft stärker herangezogen werden. Namentlich
werden Großfirmen usw., die heute für 180 oder 200 Mark Pauschgebühr fast
ununterbrochen den ganzen Tag den Apparat in Bewegung halten und fast
eine Beamtin mit 1200 Mark Gehalt allein beschäftigen, auch ihre weit über
das übliche Maß hinausgehende Ausnutzung entsprechend bezahlen und mit
erheblichem Mehraufwand für den Fernsprecher rechnen müssen. Aber sie werden
noch nicht sagen können, daß sie dadurch eine Belastung erführen, die die
Benutzung des Fernsprechers unlohnend machte. In diesem Zusammenhang
wird es nützlich sein, die neuen Gebührensätze mit den im Ausland erhobenen
Gebühren zu vergleichen. Es zahlen die Teilnehmer jährlich

in Berlin in Wien in London in New Dort
für 600 Gespräche 114 Mi. 240 Kr. 148 M. 202 M.
„ 800 „ 122 „ 240 „ 164 „ 239 „
„ 3000 „ 210 „ 300 „ 340 „ 617 „
„ S700 „ 318 „ 400 „ SS6 „ 9S7 „

Wenn die Gebührensätze in den meisten kleineren Staaten niedriger scheinen,
so ist zur richtigen Würdigung eines Vergleichs mit Deutschland zu beachten, daß
dieses für seine Einheitsgebühr den weiten Ortskreis von 5 Kilometer zieht,


Grenzboten IV 1910 72
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[0581] Die deutsche Lernsprechgcbührenordimng stärker herangezogen werden, hat in den Kreisen des Großhandels heftigen Widerspruch gefunden. Handelskammern und Zweckverbände haben gegen die „Erdrosselung" des Fernsprechers protestiert, und in der Tagespresse wurde stark gegen die „unerhörte Verteuerung des Telephonierend rumort. Nur selten horte man eine zaghafte Stimme zugunsten der neuen Ordnung. Aber ist der Widerspruch gegen den Reformtarif, der die Gebühren doch lediglich den Leistungen und dem wirtschaftlichen Werte entsprechend festsetzt, wirklich berechtigt? Wird das Telephonieren tatsächlich verteuert? Vom Stand¬ punkt der Allgemeinheit sicher nicht. Wie die Reichstelegraphenverwaltung in der Begründung ihres neuen Tarifs berechnet hat, werden 66 Prozent aller Teilnehmer durch den Einzelgebühren¬ tarif eine Gebührenermäßigung erfahren. Unter der Herrschaft des neuen Tarifs, der die Benutzung des Fernsprechers auf das wirtschaftlich richtige Maß zurück¬ führen wird, werden nun nicht etwa 34 Prozent mehr bezahlen als jetzt; eine große Anzahl Teilnehmer wird sich daran gewöhnen, Gespräche, die für keinen Menschen 4 Pf. wert sind, zu unterlassen, also weniger sprechen als jetzt. Der Wunsch, daß das die Nebenwirkung des neuen Tarifs sei, ist durchaus nicht verkehrsfeindlich, sondern verkehrsfördernd. Denn nachdem sich der Fernsprecher zu einem so allgemeinen und unentbehrlichen Verkehrsmittel entwickelt hat, muß er von allem unnützen und verkehrshemmenden Ballast befreit sein. Oder hat etwa der Verkehr darunter gelitten, daß Stephan seinerzeit im Telegrammverkehr den Normaltarif durch den Worttarif ersetzte und infolge dieser Maßnahme die durchschnittliche Länge der Telegramme von achtzehn auf elf Worte zurückging? Wer unter den? neuen Tarif jährlich mehr als etwa 2200 Gesprächs¬ verbindungen verlangt, wird in Zukunft stärker herangezogen werden. Namentlich werden Großfirmen usw., die heute für 180 oder 200 Mark Pauschgebühr fast ununterbrochen den ganzen Tag den Apparat in Bewegung halten und fast eine Beamtin mit 1200 Mark Gehalt allein beschäftigen, auch ihre weit über das übliche Maß hinausgehende Ausnutzung entsprechend bezahlen und mit erheblichem Mehraufwand für den Fernsprecher rechnen müssen. Aber sie werden noch nicht sagen können, daß sie dadurch eine Belastung erführen, die die Benutzung des Fernsprechers unlohnend machte. In diesem Zusammenhang wird es nützlich sein, die neuen Gebührensätze mit den im Ausland erhobenen Gebühren zu vergleichen. Es zahlen die Teilnehmer jährlich in Berlin in Wien in London in New Dort für 600 Gespräche 114 Mi. 240 Kr. 148 M. 202 M. „ 800 „ 122 „ 240 „ 164 „ 239 „ „ 3000 „ 210 „ 300 „ 340 „ 617 „ „ S700 „ 318 „ 400 „ SS6 „ 9S7 „ Wenn die Gebührensätze in den meisten kleineren Staaten niedriger scheinen, so ist zur richtigen Würdigung eines Vergleichs mit Deutschland zu beachten, daß dieses für seine Einheitsgebühr den weiten Ortskreis von 5 Kilometer zieht, Grenzboten IV 1910 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/581>, abgerufen am 22.07.2024.