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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Philipp Gelo Runge und die Romantiker

geisterten, romantisch königlichen Ausdruck dieser Königsköpfe, die bizarre,
galante, reizende Koketterie der Damenbilder und die abenteuerliche, kecke, treue
und glücksritterliche Haltung der Buben," berichtet Brentano. Ein naiv¬
patriotischer Einfall in der Zeit napoleonischer Unterdrückung war's dabei, wenn
Runge dein Piquebuben die Züge des Freiheitshelden Schill lieh!

Noch einer romantischen Betätigung Runges ist zu gedenken nötig. Angeregt
vom "Wunderhorn" hat er als erster die Aufzeichnung von Volksmärchen unter¬
nommen: die Märchen "Vom Machandelboom" und "Vom Fischer und
siner Fru" sind in seiner Fassung bekannt geworden. Übereinstimmend
wird ihre Wiedergabe von Brentano und den Brüdern Grimm, die doch
so verschieden dachten über die Behandlung volkstümlicher Dichtung, als
vortrefflich erklärt. Jakob Grimm will eines sogar als klassisches Muster
einem Programm voranstellen für diejenigen, die sich am "Altdeutschen Sammler"
beteiligen wollen. Von Steffens und Rist wird berichtet, daß Runges "in
ihrer großen Kindlichkeit geistreiche Art, zu erzählen . . . im plattdeutschen
Märchen unwiderstehlich" gewesen. In einem Briefe an den Verleger der
Einsiedlerzeitung, die den "Machandelboom" drucken wollte, spricht Runge mit
feinstem Verständnis von der Zurückhaltung, die volkstümlicher Überlieferung
gegenüber geboten sei, von dem Reiz, den aber der plattdeutsche Dialekt seinem
Märchen gebe; er erkärt: "Vorzüglich wäre nicht zu vergessen, daß die Sachen
nicht gelesen, sondern erzählt werden sollten." Eine richtige Erkenntnis! Neuer¬
dings erst ist sie wieder voll aufgegangen und in die Tat umgesetzt durch die
künstlerische Behandlung der Märchenerzählung, den Stil, den Anny Brands
mit vollendeter Sprachkunst dafür geschaffen hat.

Als der Dichter-Maler vor nun hundert Jahren, kaum dreiunddreißig-
jährig in der Blüte dahingegangen war, klang von allen Seiten tiefstes, auf¬
richtiges Bedauern um ihn. -- Weitreichende Fortwirkung in seiner eigentlichen
Kunst als Maler war ihm, der einmal großartig von der Organisation einer
Schule geträumt, nicht beschieden; seine Werke blieben wenig bekannt. Von den
Tageszeiten abgesehen, deren formales Vorbild in der romantischen Malerei
fortgelebt hat. Nur ein kleiner Kreis Hamburger Künstler knüpfte auch im
Malerisch-Technischen an Runge an. Von Zeit zu Zeit erschienen in den ersten
Jahrzehnten nach Runges Tode Bilder von ihm auf den Ausstellungen in seiner
Heimat. Dann wurde die Öffentlichkeit einmal wieder an den zu früh Vollendeten
erinnert. Sein treuer Bruder suchte 1840 das Andenken Runges zu erneuern
durch die Herausgabe der Schriften. Unter den Subskribenten finden wir die
Namen aller, die aus der romantischen Zeit noch übrig geblieben. Den alten
Freunden Tieck und Steffens waren die beiden Bände gewidmet. Freundlich
redeten die nach und nach erscheinenden Lebenserinnerungen derer, die einst ihm
nahe gestanden, von ihm: Goethe, Perthes, Steffens, Tieck, Rist u. a. In
einer heimatlichen Zeitschrift erschien 1860 ein biographischer Aufsatz, dann fiel
Philipp Otto Runge der Vergessenheit anheim, -- um desto strahlender aufzuleben.


Philipp Gelo Runge und die Romantiker

geisterten, romantisch königlichen Ausdruck dieser Königsköpfe, die bizarre,
galante, reizende Koketterie der Damenbilder und die abenteuerliche, kecke, treue
und glücksritterliche Haltung der Buben," berichtet Brentano. Ein naiv¬
patriotischer Einfall in der Zeit napoleonischer Unterdrückung war's dabei, wenn
Runge dein Piquebuben die Züge des Freiheitshelden Schill lieh!

Noch einer romantischen Betätigung Runges ist zu gedenken nötig. Angeregt
vom „Wunderhorn" hat er als erster die Aufzeichnung von Volksmärchen unter¬
nommen: die Märchen „Vom Machandelboom" und „Vom Fischer und
siner Fru" sind in seiner Fassung bekannt geworden. Übereinstimmend
wird ihre Wiedergabe von Brentano und den Brüdern Grimm, die doch
so verschieden dachten über die Behandlung volkstümlicher Dichtung, als
vortrefflich erklärt. Jakob Grimm will eines sogar als klassisches Muster
einem Programm voranstellen für diejenigen, die sich am „Altdeutschen Sammler"
beteiligen wollen. Von Steffens und Rist wird berichtet, daß Runges „in
ihrer großen Kindlichkeit geistreiche Art, zu erzählen . . . im plattdeutschen
Märchen unwiderstehlich" gewesen. In einem Briefe an den Verleger der
Einsiedlerzeitung, die den „Machandelboom" drucken wollte, spricht Runge mit
feinstem Verständnis von der Zurückhaltung, die volkstümlicher Überlieferung
gegenüber geboten sei, von dem Reiz, den aber der plattdeutsche Dialekt seinem
Märchen gebe; er erkärt: „Vorzüglich wäre nicht zu vergessen, daß die Sachen
nicht gelesen, sondern erzählt werden sollten." Eine richtige Erkenntnis! Neuer¬
dings erst ist sie wieder voll aufgegangen und in die Tat umgesetzt durch die
künstlerische Behandlung der Märchenerzählung, den Stil, den Anny Brands
mit vollendeter Sprachkunst dafür geschaffen hat.

Als der Dichter-Maler vor nun hundert Jahren, kaum dreiunddreißig-
jährig in der Blüte dahingegangen war, klang von allen Seiten tiefstes, auf¬
richtiges Bedauern um ihn. — Weitreichende Fortwirkung in seiner eigentlichen
Kunst als Maler war ihm, der einmal großartig von der Organisation einer
Schule geträumt, nicht beschieden; seine Werke blieben wenig bekannt. Von den
Tageszeiten abgesehen, deren formales Vorbild in der romantischen Malerei
fortgelebt hat. Nur ein kleiner Kreis Hamburger Künstler knüpfte auch im
Malerisch-Technischen an Runge an. Von Zeit zu Zeit erschienen in den ersten
Jahrzehnten nach Runges Tode Bilder von ihm auf den Ausstellungen in seiner
Heimat. Dann wurde die Öffentlichkeit einmal wieder an den zu früh Vollendeten
erinnert. Sein treuer Bruder suchte 1840 das Andenken Runges zu erneuern
durch die Herausgabe der Schriften. Unter den Subskribenten finden wir die
Namen aller, die aus der romantischen Zeit noch übrig geblieben. Den alten
Freunden Tieck und Steffens waren die beiden Bände gewidmet. Freundlich
redeten die nach und nach erscheinenden Lebenserinnerungen derer, die einst ihm
nahe gestanden, von ihm: Goethe, Perthes, Steffens, Tieck, Rist u. a. In
einer heimatlichen Zeitschrift erschien 1860 ein biographischer Aufsatz, dann fiel
Philipp Otto Runge der Vergessenheit anheim, — um desto strahlender aufzuleben.


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[0524] Philipp Gelo Runge und die Romantiker geisterten, romantisch königlichen Ausdruck dieser Königsköpfe, die bizarre, galante, reizende Koketterie der Damenbilder und die abenteuerliche, kecke, treue und glücksritterliche Haltung der Buben," berichtet Brentano. Ein naiv¬ patriotischer Einfall in der Zeit napoleonischer Unterdrückung war's dabei, wenn Runge dein Piquebuben die Züge des Freiheitshelden Schill lieh! Noch einer romantischen Betätigung Runges ist zu gedenken nötig. Angeregt vom „Wunderhorn" hat er als erster die Aufzeichnung von Volksmärchen unter¬ nommen: die Märchen „Vom Machandelboom" und „Vom Fischer und siner Fru" sind in seiner Fassung bekannt geworden. Übereinstimmend wird ihre Wiedergabe von Brentano und den Brüdern Grimm, die doch so verschieden dachten über die Behandlung volkstümlicher Dichtung, als vortrefflich erklärt. Jakob Grimm will eines sogar als klassisches Muster einem Programm voranstellen für diejenigen, die sich am „Altdeutschen Sammler" beteiligen wollen. Von Steffens und Rist wird berichtet, daß Runges „in ihrer großen Kindlichkeit geistreiche Art, zu erzählen . . . im plattdeutschen Märchen unwiderstehlich" gewesen. In einem Briefe an den Verleger der Einsiedlerzeitung, die den „Machandelboom" drucken wollte, spricht Runge mit feinstem Verständnis von der Zurückhaltung, die volkstümlicher Überlieferung gegenüber geboten sei, von dem Reiz, den aber der plattdeutsche Dialekt seinem Märchen gebe; er erkärt: „Vorzüglich wäre nicht zu vergessen, daß die Sachen nicht gelesen, sondern erzählt werden sollten." Eine richtige Erkenntnis! Neuer¬ dings erst ist sie wieder voll aufgegangen und in die Tat umgesetzt durch die künstlerische Behandlung der Märchenerzählung, den Stil, den Anny Brands mit vollendeter Sprachkunst dafür geschaffen hat. Als der Dichter-Maler vor nun hundert Jahren, kaum dreiunddreißig- jährig in der Blüte dahingegangen war, klang von allen Seiten tiefstes, auf¬ richtiges Bedauern um ihn. — Weitreichende Fortwirkung in seiner eigentlichen Kunst als Maler war ihm, der einmal großartig von der Organisation einer Schule geträumt, nicht beschieden; seine Werke blieben wenig bekannt. Von den Tageszeiten abgesehen, deren formales Vorbild in der romantischen Malerei fortgelebt hat. Nur ein kleiner Kreis Hamburger Künstler knüpfte auch im Malerisch-Technischen an Runge an. Von Zeit zu Zeit erschienen in den ersten Jahrzehnten nach Runges Tode Bilder von ihm auf den Ausstellungen in seiner Heimat. Dann wurde die Öffentlichkeit einmal wieder an den zu früh Vollendeten erinnert. Sein treuer Bruder suchte 1840 das Andenken Runges zu erneuern durch die Herausgabe der Schriften. Unter den Subskribenten finden wir die Namen aller, die aus der romantischen Zeit noch übrig geblieben. Den alten Freunden Tieck und Steffens waren die beiden Bände gewidmet. Freundlich redeten die nach und nach erscheinenden Lebenserinnerungen derer, die einst ihm nahe gestanden, von ihm: Goethe, Perthes, Steffens, Tieck, Rist u. a. In einer heimatlichen Zeitschrift erschien 1860 ein biographischer Aufsatz, dann fiel Philipp Otto Runge der Vergessenheit anheim, — um desto strahlender aufzuleben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/524>, abgerufen am 22.07.2024.