Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Vorgehen der Tumultanten in Moabit zeigt genau dieselben typischen Merkmale, Die Ereignisse in Moabit werden natürlich von einem Teil der ultrcnnontanen Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Vorgehen der Tumultanten in Moabit zeigt genau dieselben typischen Merkmale, Die Ereignisse in Moabit werden natürlich von einem Teil der ultrcnnontanen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317002"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> Das Vorgehen der Tumultanten in Moabit zeigt genau dieselben typischen Merkmale,<lb/> wie sie in Petersburg, Moskau, Charkow, Kijew, Bjalystok und in hundert andern<lb/> Orten während der russischen Revolution beobachtet wurden. Wer es nicht mit<lb/> eignen Augen gesehen hat, der kann sich durch Einsichtnahme in die uns vorliegenden<lb/> Flugschriften von der Identität der Vorgänge überzeugen. Die Flugschriften,<lb/> die zum Teil in Millionen Exemplaren in Rußland verteilt wurden, enthalten genaue<lb/> Instruktionen für die Vorbereitung von Straßenkämpfen und deren Durchführung,<lb/> angefangen von der ausgelöschten Straßenlaterne bis zum Bau von Barrikaden<lb/> und der Anlage von Hinterhalten. Wie die russischen Flugblätter lehren, so ist in<lb/> Moabit verfahren worden. Freilich wird es kaum möglich sein, die wirklichen<lb/> Organisatoren gerichtlich zu belangen, eS scheint auch ausgeschlossen, den Zusammen¬<lb/> hang der Straßenkämpfer mit der Sozialdemokratie einwandfrei im Sinne unsrer<lb/> Gesetze nachzuweisen, — selbst dann nicht, wenn es der Polizei gelungen sein<lb/> sollte, einen oder den andern der Organisatoren dingfest zu machen. An der Tat¬<lb/> sache selbst, daß die sozialdemokratische Partei die Vorgänge in Moabit angestiftet<lb/> hat, sollte man dennoch nicht zweifeln. Die demokratische Presse will naturgemäß<lb/> alle Schuld von der politischen Partei abwälzen und entblödet sich nicht, die Polizei des<lb/> provokatorischen Vorgehens zu beschuldigen. In freisinnigen Blättern melden sich ge¬<lb/> bildete Persönlichkeiten znWort,diejeneAuffassungen unterstützen. Sie argumentieren,<lb/> sie hätten nichts von Unruhe bemerkt; plötzlich sei die Polizei erschienen und da<lb/> war es aus mit der Ordnung. Die Polizei hat angegriffen. Der Schaden und<lb/> die Verwirrung, die die Presse mit solchen „Laienberichten" anrichtet, sind äußerst<lb/> gefährlich. Wer, wie z. B. Journalisten in unruhigen Zeiten, durch die Straßen<lb/> einer revolutionär vorbereiteten Stadt geht, um die Tumulte zu beobachten, der<lb/> wird die ersten Male stets die Empfindung haben, daß es die Polizei ist, die<lb/> herausfordert. Aber schon bei der dritten oder vierten aufmerksamen Beobachtung<lb/> werden ihm Details auffallen, die das erstemal gänzlich übersehen, das zweitemal<lb/> unbeachtet blieben. Dann fällt es auf, wie furchtsam sich die Mehrzahl der Kinder<lb/> gibt, wie aufgeregt die Weiber sind, die man als harmlose Passanten nicht<lb/> beachtete. Dann fängt man an, auch häufig wiederkehrenden Geräuschen und Gesten<lb/> seine Aufmerksamkeit zu schenken. Bei einiger Beobachtungsgabe ist der erfahrene<lb/> Journalist selbst in der fremden Stadt, wo ihn niemand unterrichtete, hellsehend,<lb/> als hätte er sich mit den Revolutionären verabredet. Die Kriminalpolizei ist<lb/> natürlich mindestens ebensogut vertraut mit den geheimnisvollen Anzeichen, wenn<lb/> sie gut instruiert wird. Diese Tatsachen sollte die Presse bei ihrer Stellungnahme<lb/> nicht aus dem Auge lassen, andernfalls gerät sie in die Gefahr, den Revolutionären<lb/> die Geschäfte zu besorgen. Von diesen Tatsachen scheinen auch die Kollegen nichts<lb/> gewußt zu haben, die in Moabit durch das Vorgehen der Polizei zu Schaden<lb/> gekommen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_138" next="#ID_139"> Die Ereignisse in Moabit werden natürlich von einem Teil der ultrcnnontanen<lb/> und ultrakonservativen Presse dazu ausgenutzt, um die Regierung vor einer<lb/> Berücksichtigung des Liberalisinus im Sinne des alten Blockgedankens zu warnen.<lb/> Die „Steuerhetze" soll nach Ansicht der „Kreuzzeitung" und der „Deutschen Tages¬<lb/> zeitung" an allem Unglück die Schuld tragen. Wir haben an dieser Stelle so<lb/> oft und unter dem Beifall zahlreicher gerade konservativer Leser die innern Gründe<lb/> für die heutigen Zustände dargelegt, daß wir darauf nicht noch einmal einzugehen<lb/> brauchen. Aber zum Beweise dafür, daß gerade auch konservative Kreise ungehalten<lb/> über den Mißbrauch sind, den eine sich konservativ nennende Clique mit der für<lb/> den übrigens berechtigten wirtschaftlichen Kampf geschaffenen Organisation des<lb/> Bundes der Landwirte getrieben hat, sei auf die Entscheidung bei der Stichwahl</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Vorgehen der Tumultanten in Moabit zeigt genau dieselben typischen Merkmale,
wie sie in Petersburg, Moskau, Charkow, Kijew, Bjalystok und in hundert andern
Orten während der russischen Revolution beobachtet wurden. Wer es nicht mit
eignen Augen gesehen hat, der kann sich durch Einsichtnahme in die uns vorliegenden
Flugschriften von der Identität der Vorgänge überzeugen. Die Flugschriften,
die zum Teil in Millionen Exemplaren in Rußland verteilt wurden, enthalten genaue
Instruktionen für die Vorbereitung von Straßenkämpfen und deren Durchführung,
angefangen von der ausgelöschten Straßenlaterne bis zum Bau von Barrikaden
und der Anlage von Hinterhalten. Wie die russischen Flugblätter lehren, so ist in
Moabit verfahren worden. Freilich wird es kaum möglich sein, die wirklichen
Organisatoren gerichtlich zu belangen, eS scheint auch ausgeschlossen, den Zusammen¬
hang der Straßenkämpfer mit der Sozialdemokratie einwandfrei im Sinne unsrer
Gesetze nachzuweisen, — selbst dann nicht, wenn es der Polizei gelungen sein
sollte, einen oder den andern der Organisatoren dingfest zu machen. An der Tat¬
sache selbst, daß die sozialdemokratische Partei die Vorgänge in Moabit angestiftet
hat, sollte man dennoch nicht zweifeln. Die demokratische Presse will naturgemäß
alle Schuld von der politischen Partei abwälzen und entblödet sich nicht, die Polizei des
provokatorischen Vorgehens zu beschuldigen. In freisinnigen Blättern melden sich ge¬
bildete Persönlichkeiten znWort,diejeneAuffassungen unterstützen. Sie argumentieren,
sie hätten nichts von Unruhe bemerkt; plötzlich sei die Polizei erschienen und da
war es aus mit der Ordnung. Die Polizei hat angegriffen. Der Schaden und
die Verwirrung, die die Presse mit solchen „Laienberichten" anrichtet, sind äußerst
gefährlich. Wer, wie z. B. Journalisten in unruhigen Zeiten, durch die Straßen
einer revolutionär vorbereiteten Stadt geht, um die Tumulte zu beobachten, der
wird die ersten Male stets die Empfindung haben, daß es die Polizei ist, die
herausfordert. Aber schon bei der dritten oder vierten aufmerksamen Beobachtung
werden ihm Details auffallen, die das erstemal gänzlich übersehen, das zweitemal
unbeachtet blieben. Dann fällt es auf, wie furchtsam sich die Mehrzahl der Kinder
gibt, wie aufgeregt die Weiber sind, die man als harmlose Passanten nicht
beachtete. Dann fängt man an, auch häufig wiederkehrenden Geräuschen und Gesten
seine Aufmerksamkeit zu schenken. Bei einiger Beobachtungsgabe ist der erfahrene
Journalist selbst in der fremden Stadt, wo ihn niemand unterrichtete, hellsehend,
als hätte er sich mit den Revolutionären verabredet. Die Kriminalpolizei ist
natürlich mindestens ebensogut vertraut mit den geheimnisvollen Anzeichen, wenn
sie gut instruiert wird. Diese Tatsachen sollte die Presse bei ihrer Stellungnahme
nicht aus dem Auge lassen, andernfalls gerät sie in die Gefahr, den Revolutionären
die Geschäfte zu besorgen. Von diesen Tatsachen scheinen auch die Kollegen nichts
gewußt zu haben, die in Moabit durch das Vorgehen der Polizei zu Schaden
gekommen sind.
Die Ereignisse in Moabit werden natürlich von einem Teil der ultrcnnontanen
und ultrakonservativen Presse dazu ausgenutzt, um die Regierung vor einer
Berücksichtigung des Liberalisinus im Sinne des alten Blockgedankens zu warnen.
Die „Steuerhetze" soll nach Ansicht der „Kreuzzeitung" und der „Deutschen Tages¬
zeitung" an allem Unglück die Schuld tragen. Wir haben an dieser Stelle so
oft und unter dem Beifall zahlreicher gerade konservativer Leser die innern Gründe
für die heutigen Zustände dargelegt, daß wir darauf nicht noch einmal einzugehen
brauchen. Aber zum Beweise dafür, daß gerade auch konservative Kreise ungehalten
über den Mißbrauch sind, den eine sich konservativ nennende Clique mit der für
den übrigens berechtigten wirtschaftlichen Kampf geschaffenen Organisation des
Bundes der Landwirte getrieben hat, sei auf die Entscheidung bei der Stichwahl
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