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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Dmitri lllereshkowsky

gebrochen und sein Vater, den: seine Missetat erst jetzt zum Bewußtsein kommt,
wirst sich mit angstverzerrten: Gesicht vor dem Sterbenden auf die Erde und
bedeckt ihn mit heißen Küssen. Mereshkowsky hat hierzu das literarische Seiten¬
stück in der Erzählung von Peter dem Großen und Alexei geschaffen, mit dem¬
selben brennenden Farbenaufwand und einer sich ins einzelne einbohrenden
charakteristischen Schärfe der Linien.

Mereshkowsky faßte den Plan zu diesen drei Romanen, als er von Athen
und dem Parthenon, die nach seiner Versicherung den gewaltigsten Eindruck
von Schönheit in ihm zurückließen, nach Konstantinopel reiste und in der Hagia
Sophia etwas ganz Neues und gegensätzlich anderes kennen lernte, das aber
mit derselben Gewalt auf ihn eindrang. Unter den: Gesamttitel "Christus und
Antichrist" saßte er diese Dichtungen zusammen, wobei ihm der Romantiker auf
dem Thron der Cäsaren, wie David Strauß ihn nannte, als "Tod der Götter",
das Wirken Leonardos im Licht der "Auferstehung der Götter" und der
Reformator des russischen Volkes als "Antichrist" erscheint. Sowohl vom Stand¬
punkt des Künstlers wie des Moralisten erfüllt ihn das Verlangen nach einer
neuen Religion, die auf den Trümmern des Materialismus einer modernen
Weltanschauung als Stütze dienen könnte. Diese Sehnsucht bricht auch in
andern Schriften von ihm durch, wie in der vergleichenden Studie über Tolstoi
und Dostojewski, die zu seinen besten Arbeiten gehört. Sie enthält zwei Teile,
von denen nur der erste mit seiner feinsinnigen Zergliederung und Gegenüber¬
stellung der beiden Dichter deutsch vorliegt, während der andere, der in das
Geheimnis ihrer eigentlichen Weltanschauung eindringt, des Übersetzers noch
harrt. Aus der Wärme dieser Ausführungen spricht überall der ehrliche Wunsch
nach einer Vertiefung des Volksgewissens durch eine Religion voll vernünftiger
Einsicht in die Bedingungen und den Wert des Lebens. Je mehr man sich
mit der Mystik dieses Autors beschäftigt, desto deutlicher erkennt man, daß sich
dahinter ein völlig klarer Kopf verbirgt mit großen Anschauungen und Ideen,
die für die Zukunft eine fruchtbare Saat bilden müssen.

Es konnte kaum überraschen, daß ein so beweglicher und temperamentvoller
Künstler wie Mereshkowsky sich auch der Bühne zuwenden würde. Als er
seine fünfaktige Tragödie "Kaiser Pauls Tod" erscheinen ließ, wurde die
russische Monatsschrift, die sie brachte, sofort unterdrückt. Auch an eine deutsche
Aufführung ist vorläufig nicht zu denken, da die Übersetzung von August Scholz
dem Berliner Theater in unserer Reichshauptstadt behördlich untersagt wurde.
Während und nach der in Moskau und Se. Petersburg tobenden Revolution
hat man sich eingehend mit den näheren Umständen beschäftigt, die zu der
Ermordung des Sohnes und Nachfolgers der großen Katharina führten,
alle erreichbaren Dokumente aus dieser Zeit sorgfältig zusammengestellt und mit
wissenschaftlichem Ernst verglichen. Auch dagegen konnte man nichts tun, daß
ein hochangesehener russischer Professor der Psychiatrie, P. I. Kowalewskij, diesen
Zaren mit andern wahnsinnigen Herrschern in einem Buche ausführlich behandelte,


Dmitri lllereshkowsky

gebrochen und sein Vater, den: seine Missetat erst jetzt zum Bewußtsein kommt,
wirst sich mit angstverzerrten: Gesicht vor dem Sterbenden auf die Erde und
bedeckt ihn mit heißen Küssen. Mereshkowsky hat hierzu das literarische Seiten¬
stück in der Erzählung von Peter dem Großen und Alexei geschaffen, mit dem¬
selben brennenden Farbenaufwand und einer sich ins einzelne einbohrenden
charakteristischen Schärfe der Linien.

Mereshkowsky faßte den Plan zu diesen drei Romanen, als er von Athen
und dem Parthenon, die nach seiner Versicherung den gewaltigsten Eindruck
von Schönheit in ihm zurückließen, nach Konstantinopel reiste und in der Hagia
Sophia etwas ganz Neues und gegensätzlich anderes kennen lernte, das aber
mit derselben Gewalt auf ihn eindrang. Unter den: Gesamttitel „Christus und
Antichrist" saßte er diese Dichtungen zusammen, wobei ihm der Romantiker auf
dem Thron der Cäsaren, wie David Strauß ihn nannte, als „Tod der Götter",
das Wirken Leonardos im Licht der „Auferstehung der Götter" und der
Reformator des russischen Volkes als „Antichrist" erscheint. Sowohl vom Stand¬
punkt des Künstlers wie des Moralisten erfüllt ihn das Verlangen nach einer
neuen Religion, die auf den Trümmern des Materialismus einer modernen
Weltanschauung als Stütze dienen könnte. Diese Sehnsucht bricht auch in
andern Schriften von ihm durch, wie in der vergleichenden Studie über Tolstoi
und Dostojewski, die zu seinen besten Arbeiten gehört. Sie enthält zwei Teile,
von denen nur der erste mit seiner feinsinnigen Zergliederung und Gegenüber¬
stellung der beiden Dichter deutsch vorliegt, während der andere, der in das
Geheimnis ihrer eigentlichen Weltanschauung eindringt, des Übersetzers noch
harrt. Aus der Wärme dieser Ausführungen spricht überall der ehrliche Wunsch
nach einer Vertiefung des Volksgewissens durch eine Religion voll vernünftiger
Einsicht in die Bedingungen und den Wert des Lebens. Je mehr man sich
mit der Mystik dieses Autors beschäftigt, desto deutlicher erkennt man, daß sich
dahinter ein völlig klarer Kopf verbirgt mit großen Anschauungen und Ideen,
die für die Zukunft eine fruchtbare Saat bilden müssen.

Es konnte kaum überraschen, daß ein so beweglicher und temperamentvoller
Künstler wie Mereshkowsky sich auch der Bühne zuwenden würde. Als er
seine fünfaktige Tragödie „Kaiser Pauls Tod" erscheinen ließ, wurde die
russische Monatsschrift, die sie brachte, sofort unterdrückt. Auch an eine deutsche
Aufführung ist vorläufig nicht zu denken, da die Übersetzung von August Scholz
dem Berliner Theater in unserer Reichshauptstadt behördlich untersagt wurde.
Während und nach der in Moskau und Se. Petersburg tobenden Revolution
hat man sich eingehend mit den näheren Umständen beschäftigt, die zu der
Ermordung des Sohnes und Nachfolgers der großen Katharina führten,
alle erreichbaren Dokumente aus dieser Zeit sorgfältig zusammengestellt und mit
wissenschaftlichem Ernst verglichen. Auch dagegen konnte man nichts tun, daß
ein hochangesehener russischer Professor der Psychiatrie, P. I. Kowalewskij, diesen
Zaren mit andern wahnsinnigen Herrschern in einem Buche ausführlich behandelte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/48>, abgerufen am 22.07.2024.