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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Muse Deutschamerikas

Und dann, schon ein wenig peinlich:

Diese Verse sind um ihres Deutschbekcnntnisses willen durch den Beifall
aller deutschfreudigen Kreise geheiligt; sonst könnte man sich nicht erwehren, sie
literarisch anzusprechen als den Sang eines Epigonen jenes berühmten Gottlieb
Biedermayer, Schullehrer in Schwaben, dessen Geist sich über den gelehrten
Buchbinder Horatius Treuherz, den Oberlehrer Eberhard Treubier und den
Münchener Biedermeier (mit el!) auf uns forterbte. Auch die Gedichte des
"größten deutschamerikanischen Dichters" Konrad Nies oder des berühmten
Preislieddichters Hildebrand bedeuten für eine deutsche Geso.mtlitero.tur nichts
oder sehr wenig, obgleich eine neuere deutsche Literaturgeschichte auch die deutsch¬
amerikanische Dichtung in ihren Kreis gezogen hat, und obgleich man jene
Poeten als Zeugen deutschen Heimatsinnes nur ungern missen würde.

Neben dieser hochdeutschen Dichtung, die das Verdienst hat, für den gesamt¬
deutschen Gedanken nach ihren Kräften zu wirken, gibt es aber noch eine deutsch¬
amerikanische Dichtung, die in vielerlei Zungen redet, "letzeburgisch", hessisch,
pfälzisch, schwäbisch, platt. In ihr haben wir Auswirkungen eines von unseren
Auswanderern mit über das Meer genommenen und vielfach noch verstärkten
Hanges zum Stammessondertum. Blättert man deutschamerikanische Zeitungen
durch, so wird auch dem Unbefangensten bald halb rührend, halb peinlich auf¬
fallen, daß darin ganz erheblich mehr die Hessen, Pfälzer, Württemberger,
Bayern sich umtummeln als die Deutschen. Es ist, als ob man Deutschland
drüben immer noch nur für einen geographischen Begriff hielte. Nächstdem
hört man ziemlich wenig von Preußen, dagegen mehr von Pommern und
Westfalen. Preußen als solches ist nicht beliebt. In diesen Namen sind immer
noch am stärksten all jene Tendenzen gebannt, die einst so viele Söhne deutschen
Bodens über das Meer trieben. So haben die Deutschen ihren Partikularismus,
ihre Vaterländlerei nicht etwa diesseits des Ozeans gelassen, sondern frönen
drüben, soweit sie überhaupt deutsch geblieben sind, erst recht einem ausgesprochenen


Die Muse Deutschamerikas

Und dann, schon ein wenig peinlich:

Diese Verse sind um ihres Deutschbekcnntnisses willen durch den Beifall
aller deutschfreudigen Kreise geheiligt; sonst könnte man sich nicht erwehren, sie
literarisch anzusprechen als den Sang eines Epigonen jenes berühmten Gottlieb
Biedermayer, Schullehrer in Schwaben, dessen Geist sich über den gelehrten
Buchbinder Horatius Treuherz, den Oberlehrer Eberhard Treubier und den
Münchener Biedermeier (mit el!) auf uns forterbte. Auch die Gedichte des
„größten deutschamerikanischen Dichters" Konrad Nies oder des berühmten
Preislieddichters Hildebrand bedeuten für eine deutsche Geso.mtlitero.tur nichts
oder sehr wenig, obgleich eine neuere deutsche Literaturgeschichte auch die deutsch¬
amerikanische Dichtung in ihren Kreis gezogen hat, und obgleich man jene
Poeten als Zeugen deutschen Heimatsinnes nur ungern missen würde.

Neben dieser hochdeutschen Dichtung, die das Verdienst hat, für den gesamt¬
deutschen Gedanken nach ihren Kräften zu wirken, gibt es aber noch eine deutsch¬
amerikanische Dichtung, die in vielerlei Zungen redet, „letzeburgisch", hessisch,
pfälzisch, schwäbisch, platt. In ihr haben wir Auswirkungen eines von unseren
Auswanderern mit über das Meer genommenen und vielfach noch verstärkten
Hanges zum Stammessondertum. Blättert man deutschamerikanische Zeitungen
durch, so wird auch dem Unbefangensten bald halb rührend, halb peinlich auf¬
fallen, daß darin ganz erheblich mehr die Hessen, Pfälzer, Württemberger,
Bayern sich umtummeln als die Deutschen. Es ist, als ob man Deutschland
drüben immer noch nur für einen geographischen Begriff hielte. Nächstdem
hört man ziemlich wenig von Preußen, dagegen mehr von Pommern und
Westfalen. Preußen als solches ist nicht beliebt. In diesen Namen sind immer
noch am stärksten all jene Tendenzen gebannt, die einst so viele Söhne deutschen
Bodens über das Meer trieben. So haben die Deutschen ihren Partikularismus,
ihre Vaterländlerei nicht etwa diesseits des Ozeans gelassen, sondern frönen
drüben, soweit sie überhaupt deutsch geblieben sind, erst recht einem ausgesprochenen


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[0384] Die Muse Deutschamerikas Und dann, schon ein wenig peinlich: Diese Verse sind um ihres Deutschbekcnntnisses willen durch den Beifall aller deutschfreudigen Kreise geheiligt; sonst könnte man sich nicht erwehren, sie literarisch anzusprechen als den Sang eines Epigonen jenes berühmten Gottlieb Biedermayer, Schullehrer in Schwaben, dessen Geist sich über den gelehrten Buchbinder Horatius Treuherz, den Oberlehrer Eberhard Treubier und den Münchener Biedermeier (mit el!) auf uns forterbte. Auch die Gedichte des „größten deutschamerikanischen Dichters" Konrad Nies oder des berühmten Preislieddichters Hildebrand bedeuten für eine deutsche Geso.mtlitero.tur nichts oder sehr wenig, obgleich eine neuere deutsche Literaturgeschichte auch die deutsch¬ amerikanische Dichtung in ihren Kreis gezogen hat, und obgleich man jene Poeten als Zeugen deutschen Heimatsinnes nur ungern missen würde. Neben dieser hochdeutschen Dichtung, die das Verdienst hat, für den gesamt¬ deutschen Gedanken nach ihren Kräften zu wirken, gibt es aber noch eine deutsch¬ amerikanische Dichtung, die in vielerlei Zungen redet, „letzeburgisch", hessisch, pfälzisch, schwäbisch, platt. In ihr haben wir Auswirkungen eines von unseren Auswanderern mit über das Meer genommenen und vielfach noch verstärkten Hanges zum Stammessondertum. Blättert man deutschamerikanische Zeitungen durch, so wird auch dem Unbefangensten bald halb rührend, halb peinlich auf¬ fallen, daß darin ganz erheblich mehr die Hessen, Pfälzer, Württemberger, Bayern sich umtummeln als die Deutschen. Es ist, als ob man Deutschland drüben immer noch nur für einen geographischen Begriff hielte. Nächstdem hört man ziemlich wenig von Preußen, dagegen mehr von Pommern und Westfalen. Preußen als solches ist nicht beliebt. In diesen Namen sind immer noch am stärksten all jene Tendenzen gebannt, die einst so viele Söhne deutschen Bodens über das Meer trieben. So haben die Deutschen ihren Partikularismus, ihre Vaterländlerei nicht etwa diesseits des Ozeans gelassen, sondern frönen drüben, soweit sie überhaupt deutsch geblieben sind, erst recht einem ausgesprochenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/384>, abgerufen am 22.07.2024.