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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Elektrische Überlandzentralen

weit genug gedeihen, so legt das Reich die Hand auf diese Betriebe, kauft die
übrigen auf und verhindert so, daß hier ein natürliches Privatmonopol -- wie
es in manchen Ländern die Eisenbahnen bilden -- entstehe.

Dann beginnen allerdings erst die Schwierigkeiten. Es handelt sich zunächst
darum, zu verhindern, daß die Überschüsse allmählich herabgewirtschaftet werden.
Es könnte so gehen wie bei der Post: dein Publikum oder einigen Parlamentariern
zuliebe muß hier und dort eine Postagentur errichtet werden oder die täglichen
Briefbestellungen werden um eine vermehrt. Das kostet hier einige hundert, dort
einige tausend Mark jährlich, und schließlich kommen Unsummen heraus. In
ähnlicher Weise könnte es auch bei den Zentralen gehen. Die zweite Gefahr
ist, daß die Zentralbehörden des Reiches allmählich die Leitung der Betriebe
an sich ziehen, daß uniformiert wird, und daß dadurch das ganze Geschäfts¬
gebaren schwerfällig wird. Das geht natürlich nicht. Wer springen soll, dem
darf man nicht die Füße, wer Geschäfte machen soll, nicht die Hände zusammen¬
binden. Die Betriebsleiter der Zentralen müßten Verfügungsfreiheit haben.
Das dritte Bedenken ist das Bewilligungsrecht des Parlamentes. Die Betriebe
müßten neu auftauchenden Ansprüchen an ihre Leistungsfähigkeit sofort durch
Neuanschaffungen von Maschinen, durch Erweiterungen des Leitungsnetzes, durch
Umbauten begegnen können. Wenn da gewartet werden soll, bis der nächste
Staatshaushalt fertig ist, so ist die günstige Geschäftslage vielleicht schon wieder
vorbei.

Allen diesen Bedenken kann durch gesetzliche Dezentralisation der Ver¬
waltung begegnet werden. Die auf Tantieme gestellten Betriebsleiter bekommen
das Recht, über einen Teil der Einnahmen zum Besten des Werkes zu verfügen;
die Aufsichtsbehörden werden tatsächlich auf die Aufsicht beschränkt. Allzu großer
Fiskalität der Betriebsleiter zu begegnen, werden sich immer noch Wege finden.

Aber nun die Personalfrage I Das ist das schwierigste. Über die Frage
der Vorbildung wird man schon hinwegkommen. Die Kenntnisse sind nicht das
Wichtigste, die Hauptsache ist der Mann -- und seine Weltanschauung. Wer in
der Anschauung groß geworden ist: "Geld haben ist vornehm, aber Geld verdienen
ist nicht fein", wer nur die Rente und das Gehalt als anständig erworbenes
Einkommen ansieht, der wird nie dazu zu bringen sein, "Verdienen groß zu
schreiben", wie man zu sagen pflegt. Hier genügt nämlich nicht die Anerkennung,
daß es so sei, sondern die Anschauung muß in Fleisch und Blut übergegangen
sein. Der Mann muß ein geborener Kaufmann sein, einerlei ob er diese oder
eine andere Ausbildung bekommen hat. Aber auch dieser Schwierigkeit wird
man Herr werden können, wenn man von der Beförderung nach dem Dienst¬
alter absieht, sorgfältig ausgewählte Leute, jung genug, ehe der Mut zur Über¬
nahme von Verantwortlichkeiten erloschen ist, in verfügungsberechtigte Stellen
bringt und jeden, der sich nicht bewährt, sofort wieder auf ruhigere Posten,
deren bei einer großen Verwaltung immer genug zu sein pflegen, abschiebt.




Elektrische Überlandzentralen

weit genug gedeihen, so legt das Reich die Hand auf diese Betriebe, kauft die
übrigen auf und verhindert so, daß hier ein natürliches Privatmonopol — wie
es in manchen Ländern die Eisenbahnen bilden — entstehe.

Dann beginnen allerdings erst die Schwierigkeiten. Es handelt sich zunächst
darum, zu verhindern, daß die Überschüsse allmählich herabgewirtschaftet werden.
Es könnte so gehen wie bei der Post: dein Publikum oder einigen Parlamentariern
zuliebe muß hier und dort eine Postagentur errichtet werden oder die täglichen
Briefbestellungen werden um eine vermehrt. Das kostet hier einige hundert, dort
einige tausend Mark jährlich, und schließlich kommen Unsummen heraus. In
ähnlicher Weise könnte es auch bei den Zentralen gehen. Die zweite Gefahr
ist, daß die Zentralbehörden des Reiches allmählich die Leitung der Betriebe
an sich ziehen, daß uniformiert wird, und daß dadurch das ganze Geschäfts¬
gebaren schwerfällig wird. Das geht natürlich nicht. Wer springen soll, dem
darf man nicht die Füße, wer Geschäfte machen soll, nicht die Hände zusammen¬
binden. Die Betriebsleiter der Zentralen müßten Verfügungsfreiheit haben.
Das dritte Bedenken ist das Bewilligungsrecht des Parlamentes. Die Betriebe
müßten neu auftauchenden Ansprüchen an ihre Leistungsfähigkeit sofort durch
Neuanschaffungen von Maschinen, durch Erweiterungen des Leitungsnetzes, durch
Umbauten begegnen können. Wenn da gewartet werden soll, bis der nächste
Staatshaushalt fertig ist, so ist die günstige Geschäftslage vielleicht schon wieder
vorbei.

Allen diesen Bedenken kann durch gesetzliche Dezentralisation der Ver¬
waltung begegnet werden. Die auf Tantieme gestellten Betriebsleiter bekommen
das Recht, über einen Teil der Einnahmen zum Besten des Werkes zu verfügen;
die Aufsichtsbehörden werden tatsächlich auf die Aufsicht beschränkt. Allzu großer
Fiskalität der Betriebsleiter zu begegnen, werden sich immer noch Wege finden.

Aber nun die Personalfrage I Das ist das schwierigste. Über die Frage
der Vorbildung wird man schon hinwegkommen. Die Kenntnisse sind nicht das
Wichtigste, die Hauptsache ist der Mann — und seine Weltanschauung. Wer in
der Anschauung groß geworden ist: „Geld haben ist vornehm, aber Geld verdienen
ist nicht fein", wer nur die Rente und das Gehalt als anständig erworbenes
Einkommen ansieht, der wird nie dazu zu bringen sein, „Verdienen groß zu
schreiben", wie man zu sagen pflegt. Hier genügt nämlich nicht die Anerkennung,
daß es so sei, sondern die Anschauung muß in Fleisch und Blut übergegangen
sein. Der Mann muß ein geborener Kaufmann sein, einerlei ob er diese oder
eine andere Ausbildung bekommen hat. Aber auch dieser Schwierigkeit wird
man Herr werden können, wenn man von der Beförderung nach dem Dienst¬
alter absieht, sorgfältig ausgewählte Leute, jung genug, ehe der Mut zur Über¬
nahme von Verantwortlichkeiten erloschen ist, in verfügungsberechtigte Stellen
bringt und jeden, der sich nicht bewährt, sofort wieder auf ruhigere Posten,
deren bei einer großen Verwaltung immer genug zu sein pflegen, abschiebt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/382>, abgerufen am 22.07.2024.