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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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dem Zustande von Unbestimmtheit, in dem sich die ganze Angelegenheit noch
befindet, zusammenzubringen ist. Also muß man das Angebot der drei oder
vier großen Elektrizitütsfirmen, die es zurzeit in Deutschland gibt und
die sich bei einigermaßen aussichtsreichen Plänen vollzählig zu melden
pflegen, kostenlose Entwürfe vorlegen zu wollen, annehmen. Darin liegt
immer schon ein Nachteil, dem Komitee werden -- wenigstens moralisch --
die Hände gebunden. Inwiefern hierbei ein wirklicher Wettbewerb stattfindet,
mag unerörtert bleiben. Wenn man das Gebähren der Ingenieure der Firmen
ansieht, so gewinnt es mitunter den Anschein, als wenn das wirklich der Fall
wäre. Die Herren sind mit Rücksicht auf ihr Einkommen und Fortkommen
mehr an der einzelnen Sache, für die sie oft lange Zeit gearbeitet haben,
interessiert als ihre Firmen. Die leitenden Persönlichkeiten werden schon dafür
sorgen, daß keine Schädigung aller durch allzu scharfen Wettbewerb eintritt, und
ein etwa neu auftretender Außenseiter wird nicht allzulange ein solcher
bleiben.

Die nun einlaufenden Entwürfe sind in der Regel nicht unmittelbar mit¬
einander vergleichbar, meistens auch ziemlich unbestimmt, namentlich was die
Abgrenzung des Versorgungsgebietes angeht. Gewöhnlich heißt es: Wir wollen
da und da eine Zentrale von soundso viel Pferdekräften bauen, Maschinen
des und des Systems verwenden. Das wird etwa soundso viel kosten. Fragt
man, ob diese Ortschaft, jenes Gut einbezogen werden soll, so heißt es: Ja,
wenn die Leute ihre Straßenbeleuchtung von uns nehmen wollen -- oder:
wenn mindestens soundso viele Anschluß suchen -- oder: wenn der Herr
Rittergutsbesitzer die Leitung von da bis da selbst bezahlen will. Mit "Wenn"
und "Aber" ist aber schlechtes Arbeiten. Der Plan zum Leitungsnetze wird
in der Regel auf Grund völlig phantastischer Annahmen aufgestellt. Es wird
als wahrscheinlich betrachtet, daß in dieser Ortschaft so viel, in jener so viel
Kilowatt gebraucht werden, und danach die Stärke der Leitungen bemessen.
Wenn es hoch kommt, erkundigt man sich bei den voraussichtlichen größeren
Abnehmern, ob sie geneigt sein würden, Anschluß zu nehmen, und schätzt bei
bejahender Antwort ihren Bedarf ein. Viel Nutzen gewährt diese größere
Sorgfalt, die sehr zeitraubende und kostspielige Ermittelungen nötig macht, nicht,
denn eine bindende Zusage, nun fünf oder gar zehn Jahre lang jährlich so¬
undso viel Kilowattstunden abnehmen oder bezahlen zu wollen, ist doch uicht
zu erreichen. Nun wird man sagen: bei der Kleinbahn hat man auch keine
Gewähr dafür, daß sie später in gewünschter Weise in Anspruch genommen
wird. Ganz recht! Aber bei der Kleinbahn braucht man sich auch nicht in den
Konstruktionen nach der späteren Inanspruchnahme so unbedingt zu richten.
Man baut sein Gleis, läßt zwei Zugpaare täglich fahren und legt das dritte,
vierte Zugpaar ein, sonne sich der Bedarf zeigt. Ein elektrisches Leitungsnetz
dagegen, das nicht genau in der Weise und an den Orten, wie beim Entwürfe
angenommen wurde, beansprucht wird, ist verpfuscht.


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dem Zustande von Unbestimmtheit, in dem sich die ganze Angelegenheit noch
befindet, zusammenzubringen ist. Also muß man das Angebot der drei oder
vier großen Elektrizitütsfirmen, die es zurzeit in Deutschland gibt und
die sich bei einigermaßen aussichtsreichen Plänen vollzählig zu melden
pflegen, kostenlose Entwürfe vorlegen zu wollen, annehmen. Darin liegt
immer schon ein Nachteil, dem Komitee werden — wenigstens moralisch —
die Hände gebunden. Inwiefern hierbei ein wirklicher Wettbewerb stattfindet,
mag unerörtert bleiben. Wenn man das Gebähren der Ingenieure der Firmen
ansieht, so gewinnt es mitunter den Anschein, als wenn das wirklich der Fall
wäre. Die Herren sind mit Rücksicht auf ihr Einkommen und Fortkommen
mehr an der einzelnen Sache, für die sie oft lange Zeit gearbeitet haben,
interessiert als ihre Firmen. Die leitenden Persönlichkeiten werden schon dafür
sorgen, daß keine Schädigung aller durch allzu scharfen Wettbewerb eintritt, und
ein etwa neu auftretender Außenseiter wird nicht allzulange ein solcher
bleiben.

Die nun einlaufenden Entwürfe sind in der Regel nicht unmittelbar mit¬
einander vergleichbar, meistens auch ziemlich unbestimmt, namentlich was die
Abgrenzung des Versorgungsgebietes angeht. Gewöhnlich heißt es: Wir wollen
da und da eine Zentrale von soundso viel Pferdekräften bauen, Maschinen
des und des Systems verwenden. Das wird etwa soundso viel kosten. Fragt
man, ob diese Ortschaft, jenes Gut einbezogen werden soll, so heißt es: Ja,
wenn die Leute ihre Straßenbeleuchtung von uns nehmen wollen — oder:
wenn mindestens soundso viele Anschluß suchen — oder: wenn der Herr
Rittergutsbesitzer die Leitung von da bis da selbst bezahlen will. Mit „Wenn"
und „Aber" ist aber schlechtes Arbeiten. Der Plan zum Leitungsnetze wird
in der Regel auf Grund völlig phantastischer Annahmen aufgestellt. Es wird
als wahrscheinlich betrachtet, daß in dieser Ortschaft so viel, in jener so viel
Kilowatt gebraucht werden, und danach die Stärke der Leitungen bemessen.
Wenn es hoch kommt, erkundigt man sich bei den voraussichtlichen größeren
Abnehmern, ob sie geneigt sein würden, Anschluß zu nehmen, und schätzt bei
bejahender Antwort ihren Bedarf ein. Viel Nutzen gewährt diese größere
Sorgfalt, die sehr zeitraubende und kostspielige Ermittelungen nötig macht, nicht,
denn eine bindende Zusage, nun fünf oder gar zehn Jahre lang jährlich so¬
undso viel Kilowattstunden abnehmen oder bezahlen zu wollen, ist doch uicht
zu erreichen. Nun wird man sagen: bei der Kleinbahn hat man auch keine
Gewähr dafür, daß sie später in gewünschter Weise in Anspruch genommen
wird. Ganz recht! Aber bei der Kleinbahn braucht man sich auch nicht in den
Konstruktionen nach der späteren Inanspruchnahme so unbedingt zu richten.
Man baut sein Gleis, läßt zwei Zugpaare täglich fahren und legt das dritte,
vierte Zugpaar ein, sonne sich der Bedarf zeigt. Ein elektrisches Leitungsnetz
dagegen, das nicht genau in der Weise und an den Orten, wie beim Entwürfe
angenommen wurde, beansprucht wird, ist verpfuscht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/376>, abgerufen am 23.07.2024.